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Gerolzhofen
Wegen Coronavirus: Zeit zum Nachdenken über den eigenen Lebensstil
Bei aller Dramatik und Gefährlichkeit: Vielleicht findet durch das Coronavirus auch weltweit ein neues Umdenken statt, meint Pfarrer Stefan Mai in seinem Gastbeitrag.
In Zeiten des Coronavirus: Familien haben jetzt wieder einmal Zeit, miteinander zu reden, müssen sich neu über längere Zeit miteinander arrangieren, greifen nach langem vielleicht wieder einmal zu Gesellschaftsspielen, können miteinander zum Essen gemeinsam am Tisch sitzen.
Foto: Felix Kästle | In Zeiten des Coronavirus: Familien haben jetzt wieder einmal Zeit, miteinander zu reden, müssen sich neu über längere Zeit miteinander arrangieren, greifen nach langem vielleicht wieder einmal zu ...
Von Pfarrer Stefan Mai
 |  aktualisiert: 25.03.2020 02:10 Uhr

„Ruhe Bitte! - Die Stille hat das Wort.“ Unter dieses Thema haben wir die Ausstellung in der Johanniskapelle mit einem umfangreichen Begleitprogramm während der Fastenzeit gestellt. Die Bilder und Themen der Ausstellung sollten wieder einmal in einer überhitzten Gesellschaft auf ein verlorengegangenes Gut aufmerksam machen, auf den Wert der Stille. Die Corona-Pandemie hat die Ausstellung zum Stillstand gebracht. Aber dieses Virus, das die Welt bedroht und vor dem die Menschheit Angst hat, bringt es fertig, was in unserer Gesellschaft niemals ein Ohr fand: Ruhe bitte!

Was „Fridays-for-Future“ und Umweltschutzengagierte nicht schaffen, gelingt diesem Corona-Virus. Fanden Öko-Mahnungen und Warnungen vor einem die Welt vernichtendem Temperaturanstieg nur wenige Ohren, das Corona-Virus hat es geschafft: Massenhaft werden Reisen abgesagt. Flugzeuge bleiben am Boden. Das Auto wird häufiger stehengelassen. Es werden nicht mehr gedankenlos Kreuzfahrtschiffe für entlegene Reisen auf den Weltenmeeren gebucht und nur, weil ein zweiwöchiger „all inclusive Urlaub“ in Hurghada angeblich billiger ist als die Lebenshaltungskosten zuhause, wird kein dritter Urlaub zusätzlich eingeplant.

Der beliebte Ski-Massentourismus in den Alpen bricht zusammen. Das Wochenendfieber nach immer neuen Events wird deutlich abgekühlt. Shopping-Messen werden abgesagt. Die beliebten Frühjahrsmessen, die Tausende sonntags in die Städte oder nach Holzhausen zogen - plötzlich kein Thema mehr. Corona bringt zum Nachdenken und fragt: Können wir im Konsumwahn so verschwenderisch weitermachen wie bisher?

Bei aller Dramatik und Gefährlichkeit, frage ich mich: Findet vielleicht durch Corona weltweit ein neues Nach- und Umdenken statt. Bringt Corona es fertig, wozu in der christlichen Tradition die österliche Bußzeit schon immer anregen will, zu einem Überdenken des eigenen Lebensstils, zu einem Nach- Innen-gehen, statt sich in reine Äußerlichkeiten zu verzetteln? Macht Corona nicht darauf aufmerksam, dass in der selbstverständlich gewordenen Lebensweise etwas Grundlegendes nicht mehr stimmt? Corona - bei aller Dramatik auch eine Chance zur Besinnung, Gewissenserforschung, Reue und Umkehr, um es mit großen Wörtern des Christentums auszudrücken oder in der Sprache unserer Zeit: eine Chance zur Überprüfung des eigenen Lebensstils und Aufruf zum Maßhalten?

Inmitten von Furcht und Schrecken, die das Corona-Virus verbreitet, sehe ich Ansätze zum Umdenken in den Köpfen und Umschalten im Handeln: In einer Gesellschaft von „immer schneller“ kehrt Entschleunigung ein. In einer Gesellschaft von „immer mehr, immer höher“ schauen Menschen in den verordneten Auszeiten tiefer in sich hinein. In einer Gesellschaft von „immer weiter“ wird Menschen bewusst, wie wertvoll ihr Nahbereich ist.

Der Klimawandel wird zur Zeit abgebremst. Weniger Produktion verringert in China die Luftverschmutzung drastisch. Die Weltenmeere freuen sich über weniger Abfälle. Die Kerosin-Schwaden am Himmel verringern sich. Statt Flüge in aller Herren Länder zu oft kurzen Konferenzen verständigen sich Firmen und Geschäftsleute über Videokonferenzen. Kommt es über den 19. April mittelfristig oder gar langfristig zu einem Umdenken?

Menschen werden aufmerksam auf die Not von alten und einsamen Menschen. Nachbarn oder freiwillige Helfer besorgen für diese Risikogruppe das Lebensnotwendige. Eine neue Welle der Solidarität ist im Entstehen. Familien haben wieder einmal Zeit, miteinander zu reden, müssen sich neu über längere Zeit miteinander arrangieren, greifen nach langem wieder einmal zu Gesellschaftsspielen, können miteinander zum Essen gemeinsam am Tisch sitzen. Man kocht wieder öfters gemeinsam zuhause, statt ins Restaurant zu gehen. Wächst in diesen Wochen vielleicht wieder eine neue Familienkultur?

Es gibt zwar Hamsterkäufe, aber auch Sensibilisierung für ein Zusammenstehen in der Not, ein wachsendes Bewusstsein, dass eine Gesellschaft keinen Bestand haben kann, wenn einer nur sein eigenes Schäfchen ins Trockene bringen will und nicht an das Wohl aller denkt. Und es wird uns bewusst, wie ohnmächtig Menschen in solchen Krisen sein müssen, die nicht wie wir in einem Land mit hoher medizinischer Versorgung leben dürfen. Entsteht vielleicht ein neues Gefühl für Solidarität?

Und so macher, der gemeint hat, wir haben alles im Griff, und dem die Worte Gott und Gebet zu Fremdwörtern geworden sind, erinnert sich vielleicht daran, dass Gebete Menschen wie gute Schutzengel begleiten können und im Schweren ein Stück Halt geben. Auch wenn aus Schutzmaßnahmen keine Gottesdienste stattfinden dürfen, gibt es neue Erfahrungen mit dem Gebet?

Liebe Leser und Leserinnen, ich weiß um die Bedrohung durch die Corona-Pandemie, weiß um die Angst und Sorge, die sich Menschen machen. Ich weiß, dass es für viele junge Familien ein großes Problem ist, wenn Kindergärten, Horte und Schulen bis nach den Osterferien geschlossen sind. Ich weiß um die Existenzbedrohung mancher Berufssparten. All das möchte ich nicht kleinreden.

Aber ich sehe auch die Chance, dass die Umstände im Kampf gegen den Corona-Virus Zeit zum Nachdenken über unseren Lebensstil geben und Anstoß zu einer Gewissensprüfung sind. Hoffentlich über die Fastenzeit hinaus.

Ihr Pfarrer Stefan Mai

 
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