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Schweinfurt
Weg mit dem Patriachat
Münchner Kammerspiele mischen Shakespeares "König Lear" kräftig auf-Gastspiel in Schweinfurt begeistert
Samouil Stoyanow als Kent und Narr sowie Thomas Schmauser (rechts) als Lear in der Inszenierung der Münchner Kammerspiele.
Foto: Arno Declair | Samouil Stoyanow als Kent und Narr sowie Thomas Schmauser (rechts) als Lear in der Inszenierung der Münchner Kammerspiele.
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 13.03.2020 02:10 Uhr

Nein, ein Greis ist dieser Lear keineswegs, so richtig amtsmüde auch nicht. Das wird sich gleich zeigen. Grell gekleidet, viele Blüten auf grünem Grund, später wird er auch noch einen Hippiehut und eine runde John-Lennon-Brille tragen, wirkt er wie ein ausgeflippter Aussteiger, der einfach nur Spaß will. Die drei Töchter hat er nach ihrer Liebe zu ihm gefragt und den beiden Schmeichlerinnen, Goneril und Regan, das Reich vermacht. Die Dritte, Cordelia, muss in die Verbannung wie der getreue Kent, der sich zu Widerworten hat hinreißen lassen.

Thomas Melle hat Shakespeares "King Lear" für die Münchner Kammerspiele nicht nur neu übersetzt, sondern ziemlich frei neugestaltet, mit einer Sprache die rustikal daherkommt. Die Töchter sind nicht nur intrigant. Der Vater soll nicht nur weg, weil er ihre persönliche Entfaltung stört. Er soll weg, weil er für ein System, für das Patriachat steht, das die beiden überwinden wollen. "Kein Paradies ohne Höllenritt", ist ihre Überzeugung, für die sie blenden, quälen, morden. Es geht um die Zukunft, die nur durch unbedingte Radikalität zu sichern ist. Aktuelle Bezüge zu Me too oder Fridays for Future sind unverkennbar.

Gespielt wird vor einem bühnenhohen Himmel in rosa-roter Abendstimmung (Nina Peller). Im Zentrum steht ein  sich drehender bungalowartiger Kubus, der auf der einen Seite als Projektionsfläche für schnelle Videoeinspielungen dient, die die Figuren übergroß erscheinen lassen, und auf der anderen Seite einen Einblick in den herrschaftlichen Hof geben, mit edlem Chaiselongue und vergoldeter Kloschüssel. Über allem steht der große Schriftzug "The End".

Thomas Schmauser spielt den Lear zwischen Hochmut, Enttäuschung, Zorn, Verzweiflung und Wahn, als er erkennt, dass er die Macht nicht nur ein bisschen abgeben kann. Die Rolle des Grafen Gloster ist weiblich besetzt. Wiebke Puls trägt, ganz Politikerin, einen Hosenanzug, sucht zwischen Lear und den Töchtern zu vermitteln und wird dafür grauenvoll bestraft. Edmund (Thomas Hauser), ihr außerehelich geborener Sohn, der Bastard, schürt die Intrige gegen den verhassten Bruder aasig überlegen. Dieser, Edgar (Christan Löber), schwebt dann nach der Flucht als David Bowies "Master Tom" gitarrenbehängt aus dem Schnürboden. Die verstoßene Tochter Cordelia (Jelena Kuljiæ) bringt die Problematik auf den Punkt: "Wer die Figuren austauscht ohne die Regeln zu ändern, der spielt das alte Spiel."

In Stefan Puchers Inszenierung kollidieren Melles hohe Ansprüche jedoch mit den girliehaft ausstaffierten Luxustöchtern (Kostüme Annabelle Witt) – Julia Windischbauer und Gro Swantje Kohlhof – denen man die hehren Ziele nur schwerlich abnehmen kann.

Pucher lässt 140 nie langweilige Minuten ohne Pause spielen, überschüttet die Zuschauer im hohen Tempo mit einer Unzahl von Einfällen, die sich auf Anhieb nicht immer gleich entschlüsseln. Dabei spielt ein Ensemble, das hochmotiviert, begeistert bei der Sache ist (der urkomische Samouil Stoyanow als Kent und Narr darf nicht unerwähnt bleiben).

Zum Ende hin gehen mit der Regie jedoch die Ideen durch. Das wird dann kräftig und anhaltend gesungen, ohne dass sich der Sinn wirklich erschließt.  Dass Publikum im Schweinfurter Theater ist dennoch begeistert. Lang anhaltender Beifall.

 
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