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Waschen wenn der Wind weht
Waschen wenn der Wind weht
Norbert Finster
Norbert Finster
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:17 Uhr

Wenn die Sonne scheint und der Wind weht, am besten gleichzeitig, dann könnte es in Zukunft sein, dass viele Menschen mit einem Mal die Waschmaschinen anwerfen. Warum das? Ganz einfach. Weil sie dann so günstigen Strom bekommen, dass sich eine Veränderung von Zeitplänen finanziell einfach lohnen wird.

Sie können dann aus einem „Stromsee“ schöpfen. Denn zu gewissen Zeiten produzieren Sonne und Wind auch in der Region jetzt an vielen Stunden mehr Strom, als gebraucht wird. Kurz: Strom und sein Preis werden immer mehr mit dem Wetter zu tun haben. Das sagen die Experten im Stromhandel bei der Unterfränkischen Überlandzentrale (ÜZ) in Lülsfeld.

Für die Lülsfelder wird schon jetzt das Stromgeschäft immer komplizierter. Schuld daran sind die schwer prognostizierbaren Strommengen, die aus regenerativen Energien kommen und die nun mal immer noch nicht speicherbar sind, zumindest nicht wirtschaftlich.

Strom-Einkäufer Michael Münch: „Der Lieferant wird immer mehr zur Feuerwehr, der Eigenverbraucher nur noch dann versorgt, wenn zum Beispiel nichts von Dach kommt.“ Deswegen ist die ÜZ gezwungen, neue Wege beim Stromhandel zu gehen.

Seit Anfang 2013 verfahren die Lülsfelder nach dem Prinzip des Portfolio-Managements. Eine zentrale Rolle spielt dabei die eigene Wetterstation. Die schauen sich Portfolio-Managerin Ilona Feth, Michael Münch und Melanie Kaiser-Friedrich jeden Tag genau an und ermitteln aus ihren Prognose-Erkenntnissen einen Bedarfsplan für Strom. „Die ersten beiden Tage gehen in der Regel gut, der dritte schon nicht mehr so und der vierte wird problematisch“, sagt Michael Münch zur Sicherheit der Prognosen.

Nach der Wettervorhersage entwerfen die drei ihre Verbrauchs- und Einspeisemengen und zwar mittlerweile in viertelstündlichen Segmenten. Also genau 35 040 Mal im Jahr. Auf Basis dieser Berechnungen wird dann an der Börse Strom bestellt oder angeboten.

Dabei versuchen die Experten der ÜZ natürlich Abgabe und Bezug in jeder Viertelstunde so weit wie möglich abzugleichen. Ein „Heimvorteil“ der Lülsfelder ist es dabei, dass sie das Verbrauchsverhalten ihrer Bezieher kennen. „Wir fragen ab, wann ein Betrieb Betriebsurlaub hat oder an einem Brückentag schließt“, sagt Münch.

Bis 9.30 Uhr des Vortrags muss der Börse ein verbindliches Gebot für Kauf und Verkauf von Strom vorliegen. Ziel dieser neuen Strategie im Stromhandel ist es für die ÜZ, vorrangig regional erzeugten Strom zu beziehen. Die ÜZ hat hier eine Vorreiterrolle unter den Stromversorgern.

Nun ist es aber schier unmöglich, das Wetter trotz modernster Technik genau vorherzusagen. Selbst im eigenen Versorgungsgebiet von Wasserlosen bis Wiesentheid und von Gramschatz bis Sand kann das Wetter manchmal sehr unterschiedlich ausfallen – von Dunkelflaute (keine Sonne, kein Wind) bis zum Idealzustand.

Eine grobe Fehlprognose kann für die ÜZ richtig ins Geld gehen und bis zu 2000 Euro pro Viertelstunde kosten. Beispiel: Es entsteht über die Regenerativen viel mehr Strom als vorhergesagt. Wenn dann alle mit ihren Mengen an die Börse strömen, kann es sein, dass ein Stromproduzent für die Einspeisung von überschüssiger Menge sogar zahlen muss. „Wie das Wetter wird, weiß man sicher erst am nächsten Tag“, sagt Ilona Feth mit einem Schuss Ironie.

Mit der möglichst genauen Wetterprognose alleine ist es aber nicht getan. Die Stromhändler der ÜZ hören sich auch ständig Stimmungs- und technische Analysen der Märkte an. Sie müssen sofort auf Nachrichten reagieren können, die den Strommarkt beeinflussen können.

Eine große Unwägbarkeit für den Versorger sind auch die vielen kleinen Einspeiser bei der Photovoltaik. Hier sind den Stromplanern die aktuellen Mengen im zeitlichen Verlauf nicht bekannt, weil die Zähler nur einmal im Jahr abgelesen werden. Deshalb fordert Michael Münch den intelligenten Zähler für den Haushalt, der nicht nur eingespeiste Mengen misst, sondern auch, was der Kunde wann braucht.

Da liegt die nächste Unsicherheit. Wie das Wetter ist auch das Verbraucherverhalten oft schwer zu prognostizieren. Ein Beispiel: das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft zwischen Deutschland und Argentinien am Sonntag, 13. Juli. Hier verzeichnete die ÜZ einen hohen Stromabsatz bis um 1 Uhr nachts. Denn viele Fans feierten den Sieg. „Die Deutschen hätten aber auch verlieren können, dann wäre das ganz anders gekommen“, sagt Robert Ruppenstein, Leiter der Abteilung Vertrieb/Beschaffung bei der ÜZ.

Trotzdem wird es wohl dazu kommen, dass sich das Verhältnis Versorger-Kunde verändern wird. „Früher hat sich der Lieferant nach dem Verbraucher gerichtet, jetzt könnte es anders herum kommen“, sagt Ruppenstein. Wer von seinem Energiebedarf her planbar und gezielt auf Marktsignale sein Verbrauchsverhalten ändern kann, wird künftig den besseren Tarif haben als der volatile Kunde, lautet seine Prognose.

Aus der Sicht eines Stromlieferanten ist eine Biogasanlage eine weitaus zuverlässigere Komponente bei den Erzeugungsmöglichkeiten als Windkraft und Sonnenenergie. Denn Biogas ist speicherbar und kann bei der Stromerzeugung Fluktuationen des Tages ausgleichen, die durch Windkraft und Photovoltaik auftreten. Die Unterfränkische Überlandzentrale (ÜZ) hat eine Reihe von Biogasanlagen unter Vertrag. Ein Viertel des Strombedarfs wird inzwischen aus Biogas abgedeckt.

Doch auch hier verändern sich die Voraussetzungen. „Biogasbetreiber sollten animiert werden, nicht mehr konstant einzuspeisen, sondern ihre Erzeugung herunterzufahren, wenn die Photovoltaik hoch ist“, sagt Bernhard Bedenk, der Energieberater für regenerative Energien bei der ÜZ. Auf Sicht, so meint der Experte, ist bei Biogasanlagen ohne bedarfsorientierte Erzeugung bald keine Wirtschaftlichkeit mehr erreichbar.

Damit erreicht die Dynamik des Strommarkts jetzt auch die kleinen Betreiber von Biogasanlagen. Der Erzeuger wird sich jetzt wohl auch um die Vermarktung seines Produkts Strom mit einem Vermarkter kümmern müssen. Denn wenn viel Strom gebraucht wird, erhält der Erzeuger mehr Geld als wenn er überschüssig ist. Bis zu 9000 Euro im Jahr kann die bedarfsorientierte Erzeugung für einen kleinen Anlagenbetreiber bei Biogas ausmachen.

Eine Schlüsselstelle ist nach Bedenk die Kommunikation zwischen ÜZ und Erzeuger, um festzulegen, wieviel Energie gerade gebraucht wird. Damit ist gewährleistet, dass analog der Nachfrage das Energiedargebot besteht. Das sieht Bedenk als die größte Herausforderung.

Durch die bedarfsorientierte Abgabe von Strom werde kein Gramm mehr Mais gebraucht, meint der Experte. Allerdings: Landwirte sind jetzt schon bis an die Grenze ihrer Arbeitskraft belastet, da werde es schwer, wenn ein Landwirt sich auch noch um die Planung der eigenen Energieabgabe kümmern muss.

 
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