Innostranzi – das ist das russische Wort für Ausländer – waren wir 160 Tage und 27 300 Kilometer lang.
Unsere Reiseroute führte uns nach Kasachstan und Südsibirien, dort waren wir in den autonomen Republiken Altai und Tuva unterwegs und wir können bestätigen, dass hier die Uhren anders gehen. Bis zu sechs Stunden waren wir der mitteleuropäischen Zeit voraus.
Die Entfernungen, die wir dabei zurückgelegt haben, sind nicht nach europäischen Maßstäben zu berechnen, da finden sich schon mal Straßenschilder mit Entfernungsangaben im Tausenderbereich. Nicht immer waren die Straßen so gut wie in Westeuropa, Baustellen gab es manchmal mehr als 300 Kilometer lang und oft war die Strecke nur eine Piste oder zwei Spuren in der Landschaft.
Besonders beeindruckt waren wir von den bizarren Felsformationen des Ustjurt-Plateaus auf der kasachischen Halbinsel Mangyschlak und den traumhaften, naturbelassenen Stränden des kaspischen Meeres. Die Steppe werden wir nicht vergessen, die sich oft so eben vor uns ausgebreitet hat, dass man glaubte unendlich weit sehen zu können. Dort wachsen viele unterschiedliche Kräuter und Gräser, die sich im plötzlich aufkommenden Wind biegen und im Sonnenlicht schimmern, die schwer und intensiv duften und es gibt eine reiche Tierwelt mit vielen kleinen Nagetieren, Echsen und Schlangen.
Wolkenschwer und grün in allen Nuancen hat sich uns diesmal der Altai gezeigt, das mächtige Gebirge im südlichsten Zipfel Sibiriens. Dort waren wir bis weit in die Berge hinein unterwegs, auf den Spuren des Künstlers und Weltverbesserers Nikolai Roerich, auf der Suche nach den letzten Schamanen und immer mit interessiertem Blick auf das Leben in den Dörfern, die oft auch heute noch im Winter schneebedeckt und abgeschieden daliegen.
Geheimnisvoll erschien uns das abgelegene Tuva, mit seinen Nomaden und den kahlen, in Brauntönen variierenden Berghängen, die sich unendlich dahinzuziehen scheinen. Ungezähmte Natur am Ufer des Jenissej und die bunten buddhistischen Gebetstücher versetzten uns in eine fremde Welt.
Gestaunt haben wir über die glitzernden Hochhäuser in Kasachstans Hauptstadt Astana genauso, wie über die kleinen windgebeugten Holzhütten russischer Dörfer, die auch in 100 Jahren noch in keinem Reiseführer erwähnt sein werden. Die eleganten Frauen mit ihrer Vorliebe für extravagante Schuhmode in den quirligen sibirischen Großstädten haben uns genauso verwundert wie die unendlich vielen Kolchosenruinen auf dem Land, die von einer ganz anderen Seite der russischen Geschichte erzählen.
Wir haben die Kriegsgräber der deutschen Soldaten gesucht, aber auch auf russischen und kasachischen Friedhöfen nach den Spuren der Vergangenheit geforscht.
Alte Karawansereien und berühmte Moscheen haben wir entlang der Seidenstraße erkundet, in Chakassien Steinkreise und Kurgane gefunden. Bei einer archäologischen Ausgrabung durften wir erleben, wie ein skythisches Grab geöffnet wurde und von einem Anthropologen haben wir neueste Forschungsergebnisse über die Rentierzucht im östlichen Sajan-Gebirge erfahren.
Die Begegnung mit der kasachischen Stutenmilchverkäuferin, die uns fragte, ob wir ihre Freundin Irina kennen, die ja auch in Deutschland wohnt, war ebenso erfreulich wie die Einladung zum Mittagessen beim Nationalparkwächter in den Kent-Bergen oder der Besuch, den uns ein sibirischer Viehzüchter abstattete. Dieser kam mit seinem Laptop auf dem Pferd angeritten, um sich mit uns über Fotografie und Pixel und Bytes auszutauschen.
Bereichernd war das Gespräch mit Ottilie und Rebecca, den letzten zwei deutsch sprechenden Einwohnerinnen des kleinen Dorfes Wischniovka und berührend war die Begegnung mit den Straßenkids von Minusinsk, die uns voller Stolz durch die baufällige Ruine eines ehemaligen Handelshauses führten, die ihnen heute als Jugendtreffpunkt dient.
Unterwegs zu sein, das heißt, auf Gewohntes zu verzichten und Neues auszuprobieren. Da weiß man nicht, wo der nächste Supermarkt zu finden ist, da muss man sich auf die Suche machen. Da lernt man, dass es Gemüse am besten direkt an der Straße vom Hobbygärtner zu kaufen gibt, der Imker bietet auch seinen Honig am Straßenrand feil. Da gibt es die Pilzsammler und die Angler, die den Trockenfisch anbieten und sogar Destilliergeräte zur Schnapsherstellung werden direkt vom Auto aus verkauft. Wir haben erfahren, dass es Chips auch in den Geschmacksrichtungen Kaviar, Gurke oder Schaschlik gibt, Landkarten in Russland im Postamt zu haben sind und Marmelade löffelweise zum Tee gegessen wird.
Begonnen haben wir die Reise mit einer ungefähr festgelegten Reiseroute, die wir im Laufe der Zeit mehrmals den Möglichkeiten vor Ort angepasst haben. Zeit haben wir uns gelassen, um Landschaften und Menschen kennenzulernen und wir sind glücklich über jedes Erlebnis und jede Erfahrung, die wir machen durften.
Gerne sind wir nach dieser Zeit des Reisens zurückgekehrt. Aber ein wenig Fernweh bleibt immer übrig.
Über die Autorin:
Manuela und Rudi Twardzik aus Dittelbrunn waren in ihrem umgebauten Lkw-Transporter unterwegs durch Kasachstan und Sibirien. Über fünf Monate berichtete Manuela Twardzik sporadisch fürs Tagblatt über ihre Erlebnisse.