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Üchtelhausen
Was wenige wissen: Barbie kam in Franken zur Welt und hatte jede Menge Cowboy- und Indianer-Geschwister
Die berühmteste Puppe der Welt entstand aus einer Verlegenheit heraus. Der Üchtelhäuser Bildhauer Peter Vollert ist ein Kenner ihrer Geschichte und der ihrer Geschwister.
In Peter Vollerts Atelier tummeln sich Indianer, Kavalleristen, Siedler, Cowboys und Trapper.
Foto: Anand Anders | In Peter Vollerts Atelier tummeln sich Indianer, Kavalleristen, Siedler, Cowboys und Trapper.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 15:08 Uhr

Die Barbie von Mattel ist die bekannteste Puppe der Welt, für viele Menschen Symbol amerikanischer Plasikkultur. Dabei entstand sie einst in Deutschland - als Verlegenheitslösung auf Papier: Kurz vor Drucklegung der ersten Ausgabe der "Bild"-Zeitung für den 24. Juli 1952 tat sich eine Lücke auf. Also zeichnete Karikaturist Reinhard Beuthin eine hübsche junge Frau, die "Bild-Lilli". Sie sollte bis 1961 ihren festen Platz im Blatt haben und die Leserschaft mit Sprüchen unterhalten, die man damals "kess" fand, etwa: "Ich könnte ohne alte Glatzköpfe auskommen, aber meine Urlaubskasse nicht!"

Mehr als 100 verschiedene Kleidungsstücke

Ihre Geburt als Anziehpuppe erlebte Lilli drei Jahre später: Max Weißbrodt, Chefmodelleur der Spielzeugfirma O. & M. Hausser im oberfränkischen Neustadt bei Coburg, schuf aus der Zeichnung eine dreidimensionale Figur. Hausser stellte fortan die Bild-Lilli in zwei Größen her - 18 und 30 Zentimeter hoch. Bis 1964 wurden 130.000 Modelle produziert. Der Clou: Zur Puppe waren über 100 verschiedene Kleidungsstücke erhältlich, und diese sind es auch, die heute den Sammlerwert einer Original-Lilli bestimmen.

 Peter Vollert vor einer Vitrine mit Elastolin-Figuren mit Wild-West-Motiven.
Foto: Anand Anders |  Peter Vollert vor einer Vitrine mit Elastolin-Figuren mit Wild-West-Motiven.

Schluss mit Lilli war 1964. Schon 1959 hatte Mattel-Mitgründerin Ruth Handler in der Schweiz ein Exemplar gesehen und kurzerhand in den USA eine leicht abgewandelte Kopie auf den Markt gebracht. Als Mattel schließlich 1964 alle Rechte und Patente an Lilli übernahm, hatte die Firma bereits 500.000 Exemplare unter dem neuen Namen Barbie verkauft.

Die Figuren faszinierten Generationen von Jungs der Kriegs-, Nachkriegs- und Boomer-Generation

Was wenige wissen: Bild-Lilli hatte jede Menge kleine Cowboy-, Indianer-, Soldaten- und Ritter-Geschwister. Hausser stellte schon seit 1910 (und bis 1983) die Elastolin-Spielfiguren her, die Generationen von Jungs der Kriegs-, Nachkriegs- und Boomer-Generation faszinierten, und die heute, als handbemalte Minikunstwerke, unter Sammlern begehrt sind.

Diorama eines Indianerlagers. Geschichte, Bräuche und Kultur der nordamerikanischen Ureinwohner faszinieren Peter Vollert schon lange.
Foto: Anand Anders | Diorama eines Indianerlagers. Geschichte, Bräuche und Kultur der nordamerikanischen Ureinwohner faszinieren Peter Vollert schon lange.

Der Bildhauer Peter Vollert aus Üchtelhausen bei Schweinfurt kennt sich aus mit den Figuren; er sammelt sie und baut Dioramen mit ihnen, also jene Modellumgebungen, die auf kleinstem Raum ganze Lebenswelten darstellen, etwa ein Indianerlager oder ein Trapper-Fort aus der Wild-West-Zeit.

Peter Vollert, 83, dessen Bildstöcke, Madonnen und ausdrucksstarke Tierplastiken an vielen Orten der Region zu sehen sind, besaß als Kind nur ein paar wenige Hausser-Figuren. "Die waren damals schon teuer", erzählt er. Aber sie gingen verloren, als er mit 14 nach Freiburg in die Lehre zum Bildhauer Karl Rissler geschickt wurde. Es war aufgefallen, dass er schon als kleiner Bub geschickt Figuren aus Wachs oder Plastilin formte.

Gussform für ein Miniaturgewehr. Peter Vollert ergänzt beschädigte Figuren, indem er fehlende Teile aus Kunststoff nachgießt.
Foto: Anand Anders | Gussform für ein Miniaturgewehr. Peter Vollert ergänzt beschädigte Figuren, indem er fehlende Teile aus Kunststoff nachgießt.
Das fertige Gewehr: Erst wenn alles stimmt, gibt Peter Vollert sich zufrieden.
Foto: Anand Anders | Das fertige Gewehr: Erst wenn alles stimmt, gibt Peter Vollert sich zufrieden.

Die unterbrochene Figuren-Faszination lebte erst wieder auf, als Vollerts Sohn, Jahrgang 1971, ins entsprechende Alter kam. "Ich schenkte ihm eine Postkutsche und wollte weitere Figuren kaufen, aber die gab's nicht mehr. Erst da habe ich mit dem Sammeln angefangen."

Vollert korrigiert Fehler des Herstellers

Wie viele Figuren er heute besitzt, kann der Bildhauer nicht sagen. In seinem Atelier mit Blick ins Grüne am Ortsrand von Üchtelhausen sind sie fast allgegenwärtig. Zwischen Tonmodellen, vollendeten und unvollendeten Bronze- und Steinskulpturen, zwischen Maschinen und Werkzeug, Büchern und Ordnern, in Regalen, auf Kommoden und Arbeitsflächen tummeln sich Indianer, Kavalleristen, Siedler, Cowboys und Trapper, grasen Pferde, fahren Postkutschen. Die meisten von Hausser, aber auch von anderen Herstellern, manche aus der Vorkriegszeit.

Blick in Peter Vollerts Atelier: Kunst und Spielzeug pflegen hier ein friedliches Miteinander.
Foto: Anand Anders | Blick in Peter Vollerts Atelier: Kunst und Spielzeug pflegen hier ein friedliches Miteinander.

Man verwechsle dieses bunte Miteinander von Kunst und Spielzeug nicht mit Unordnung. Peter Vollert weiß genau, wo was ist. Und warum. Geschichte, Bräuche und Kultur der nordamerikanischen Ureinwohner und die Zeit des Wilden Westens faszinieren ihn, seit er als Jugendlicher Karl May und "Lederstrumpf" las. Er hat seither praktisch jedes erreichbare Buch über das Thema gelesen, Freunde schleppen ihm dauernd neue ins Haus.

So stellt der Künstler immer wieder werksseitige Fehler fest. Zum Beispiel, dass die Kavalleriesoldaten, anders als auf den Figuren dargestellt, gelbe statt rote Halstücher trugen. Also ändert er das mit feinem Pinsel. Es ist bei den Elastolin-Figuren wie bei seiner Kunst: Erst wenn alles stimmt, gibt sich Peter Vollert zufrieden.

Wenn Peter Vollert für seine Dioramen bestimmte Exemplare braucht, baut er aus mehreren Figuren eine neue.
Foto: Anand Anders | Wenn Peter Vollert für seine Dioramen bestimmte Exemplare braucht, baut er aus mehreren Figuren eine neue.

Peter Vollert wäre nicht Bildhauer, würde er nicht weitaus tiefer eingreifen. So ergänzt er beschädigte Figuren und stattet andere neu aus, indem er fehlende Teile aus Kunststoff nachgießt oder neue nachschöpft, etwa einen historisch korrekten indianischen Frauensattel. Die Figur von Lex Barker als Old Shatterhand, die von Hausser nur einen "Prügel" (Vollert) mitbekam, hat er mit einem winzigen originalgetreuen Henrystutzen, der Winchester 66, ausstattet. 

Wenn er für seine Dioramen bestimmte Exemplare braucht, baut Peter Vollert aus mehreren Figuren eine neue. Zerlegt sie, verformt Gliedmaßen, fräst winzige Stellen zurecht, verspachtelt Risse. "Wie ein Zahnarzt", sagt der Bildhauer und grinst. Da kann es schon mal passieren, dass er eine ganz neue Sorte Figuren in die Welt setzt: "Es gab nur stehende oder galoppierende Kavallerie-Pferde, aber keine trabenden auf Patrouille. Die habe ich dann gemacht."

 
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