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UNTERFRANKEN
Was Sie über Kräutermischungen wissen müssen
Kräuter als Träger für gefährliches Rauschgift.       -  Eine Kriminalpolizistin hält im Landeskriminalamt (LKA) in Mainz eine mit Drogen versetzte Kräutermischung in der Hand. (Symbolfoto)
Foto: Fredrik Von Erichsen (dpa) | Eine Kriminalpolizistin hält im Landeskriminalamt (LKA) in Mainz eine mit Drogen versetzte Kräutermischung in der Hand. (Symbolfoto)
Nike Bodenbach
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:45 Uhr
Die 60er waren LSD, die 80er Kokain, die 90er Ecstasy - und die 2010er Jahre sind auf dem besten Weg, das Jahrzehnt der "Legal Highs" zu werden. Neben Crystal Meth vielleicht. Getarnt als Kräutermischungen, Badesalze oder Lufterfrischer, werden die (noch) nicht verbotenen Drogen vor allem im Internet verkauft. Kräutermischungen sind besonders verbreitet, sie werden in bunten Plastiktütchen verkauft und haben lustige Namen wie "Scooby Doo" oder "Bomb Marley" - und sind brandgefährlich. Allein in Unterfranken sind im letzten Jahr vier Menschen gestorben, nachdem sie eine Kräutermischung geraucht hatten. Viele, vor allem junge Menschen, landeten im Krankenhaus. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Warum sind die Kräutermischungen so gefährlich?

Weil die Konsumenten niemals wissen, was sie da eigentlich genau rauchen oder schnupfen. Die Hersteller verändern ihre Rezepturen ständig. Wer in einer Woche "Scooby Doo" raucht und sich super fühlt, kann beim nächsten Tütchen einen Kreislaufkollaps bekommen. Die Menge der psychotropen Substanz, der Reinheitsgrad und die Qualität variieren stark. "Deshalb kommt es häufig zu Überdosierungen", so der Würzburger Apotheker Wolfgang Schiedermair kürzlich beim Forum Jugendhilfe des Kreisjugendamtes Würzburg. Dass die Menschen für das Thema sensibilisiert sind, zeigte der Andrang bei der Veranstaltung, wo sogar Besucher zurückgewiesen werden mussten. Ein Päckchen der Mischung "Scooby Doo" war es übrigens auch, das im Januar dieses Jahres einer Frau in Schweinfurt den Tod brachte.

Welche körperlichen Symptome können nach dem Konsum auftreten?

Schwitzen, Übelkeit und ein rasender Puls sind noch die kleineren Probleme, sagt der Chefarzt der Neurologie am Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus, Dr. Johannes Mühler. "Es kann zu schwersten Herz-Kreislauf-Problemen kommen", so der Mediziner. Er hat bereits mehrere Fälle auf der Intensivstation behandelt. Der Kreislauf kann zusammenbrechen, die Menschen werden bewusstlos, der Atem setzt aus oder das Herz bleibt einfach stehen. Oder der Blutdruck steigt so massiv an, dass es sogar zu Hirnblutungen kommen kann.

Welche psychischen Probleme können ausgelöst werden?

Die Substanzen sind hoch psychoaktiv, werden von Experten auch unter dem Begriff NPS (Neue psychoaktive Substanzen) zusammengefasst. Neurologe Mühler beschreibt es so: "Da wird in der Birne ein Kino angestellt. Wenn's ein schöner Liebesfilm ist, ist alles gut, aber wenn es ein Horrorfilm wird, kann man den auch nicht einfach ausknipsen." Er warnt davor, dass ein Horrortrip nicht nach ein paar schlechten Stunden beendet sein muss. Stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie und langwierige Psychosen können die Folgen sein. Mühler kennt selbst Fälle junger Menschen, die sehr lange brauchten, um wieder in die Spur zu kommen.

Was ist in den Kräutermischungen eigentlich drin?

Die Kräuter- oder auch Räuchermischungen enthalten Wirkstoffe, die dem Cannabis ähnlich sein sollen. Meist wirken sie deutlich stärker als herkömmliches Marihuana oder Haschisch. Die Stoffe werden künstlich hergestellt und heißen als Stoffgruppe "synthetische Cannabinoide", teilweise sind auch amphetamin-ähnliche Stoffe enthalten. Die Pflanzenteile der Mischung werden mit dem Chemie-Produkt versetzt. Der Rausch kommt also gar nicht von den "Kräutern". Mit natürlichen Inhaltsstoffen oder "Bio" hat das also nichts zu tun. Auf die bunten Tütchen drucken die Händler meist den Satz "Not for human consumpition" (Nicht zum menschlichen Verzehr geeignet), um sich vor ihrer Verantwortung zu drücken. Entstanden sind die Stoffe häufig ursprünglich in der medizinischen Forschung, weshalb sie manchmal auch als "Research Chemicals" bezeichnet werden.

Wie verbreitet sind Kräutermischungen?

Wie viele Menschen die Drogen tatsächlich konsumieren, weiß keiner. Es gibt aber Kennzahlen, die auf eine wachsende Verbreitung schließen lassen. 2014 gab es in Unterfranken noch keinen Todesfall im Zusammenhang mit Legal Highs, 2015 dann schon vier. Nach Auskunft von Michael Zimmer, Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken, "zeichnet sich 2015 ein merklicher Anstieg der Fallzahlen im Zusammenhang mit Legal Highs ab". Im Leopoldina-Krankenhaus "waren Kräutermischungen vor fünf Jahren noch absolut kein Thema", sagt Neurologe Mühler. Auch bei den Drogenberatungen suchen mehr Menschen Hilfe. "2015 haben wir über 1000 Klienten beraten", sagte der Leiter der Würzburger Einrichtung, Holger Faust, beim Forum Jugendhilfe. Das seien so viele wie noch nie in der Geschichte der Beratungsstelle. Unter den Ratsuchenden waren auch 70 junge Menschen, die Kräutermischungen zu sich nahmen. Eine Nachfrage bei der Drogenberatung in Schweinfurt ergibt allerdings, dass insbesondere junge Legal-High-Konsumenten von klassischer Drogenberatung nur schwer erreicht werden.

Wo werden Legal Highs verkauft?

Vor allem im Internet. Es gibt endlos viele Shops. Wer nach Kräutermischungen googelt, landet eher auf einem Legal-High-Versand als bei Kräutern der Provence. Derzeit beobachtet das EU-Frühwarnsystem laut Florian Daxer, Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie Würzburg, mehr als 450 neue psychoaktive Substanzen, die aktuell in über 650 Onlineshops europaweit vertrieben werden.

Warum sind die Drogen nicht verboten?

Zum deutschen Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gehört eine Liste mit Wirkstoffen, die illegal sind. Seit 2009 steht zum Beispiel der Wirkstoff der ersten bekanntgewordenen Kräutermischung "Spice" darauf. Jeder Stoff muss exakt beschrieben sein, mit seiner genauen chemischen Zusammensetzung. "Bis ein Stoff XY auf der Liste ist, ist der Stoff nicht nach dem BtMG verboten", erklärt die Leitende Oberstaatsanwältin in Schweinfurt, Ursula Haderlein. Landet ein Stoff auf dieser Liste, haben die Drogenköche die Molekülstruktur schon wieder ein klitzekleines bisschen abgewandelt - und der Stoff ist wieder legal. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Behörden und Herstellern.

Gibt es keine rechtliche Handhabe?

Derzeit gibt es kaum Möglichkeiten, um gegen Handel und Konsum vorzugehen. Die Gerichte haben in der Vergangenheit teilweise Händler nach dem Arzneimittelgesetz verurteilt, "doch das hat der Europäische Gerichtshof 2014 gekippt", so der Schweinfurter Staatsanwalt Johannes Koschek. Einige Gerichte versuchten, Händler über das sogenannte vorläufige Tabakgesetz dranzukriegen, doch auch hier gibt es selbst innerhalb des Bundesgerichtshofs unterschiedliche Meinungen. Hier wird demnächst eine Entscheidung erwartet. Bis dahin ruhen viele Fälle. In Schweinfurt etwa gibt es laut Koschek zwei Fälle, die die Staatsanwaltschaft angeklagt hat, die Verfahren aber deshalb noch nicht eröffnet wurden. Gleichzeitig arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetzentwurf, der Legal Highs bekämpfen soll. Dann könnten nicht mehr einzelne Substanzen, sondern ganze Stoffgruppen verboten werden.

Wer sind die Konsumenten?

Staatsanwalt Koschek, der sich in Schweinfurt um alle BtMG-Fälle kümmert, sieht die Hauptklientel im Alter bis Mitte 20. "Es sind viele Jugendliche und Heranwachsende - aus allen sozialen Schichten", so der Jurist. Aktuelle wissenschaftliche Studien zu dieser Frage sind allerdings rar. In der Uni-Kinderklinik Würzburg landet derzeit etwa einmal im Monat ein Minderjähriger wegen Kräutermischungen im Krankenhaus, schätzt Oberarzt Dr. Frank Maier. Neurologe Mühler sagt, sein ganz persönlicher Eindruck aus der Klinik ist, dass die Konsumenten nicht unbedingt zum "typischen Drogenklientel" gehören. Möglicherweise würden durch die harmlose Anmutung neue "Zielgruppen" angesprochen.
 
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