
„Ich wollte mein Land nie verlassen“, sagt Najeebullah Noorzai. Der junge Afghane wollte Polizist werden oder wie sein Vater zum Militär gehen, das war schon in der Kindheit sein Traum gewesen. Jetzt ist er in der Schweinfurter Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) für Asylbewerber. Zusammen mit anderen jungen Männern hat er in der Disharmonie von seiner Flucht nach Deutschland erzählt.
„Die Taliban haben meine Familie und mich bedroht“, sagt Noorzai, den hier alle nur Toni nennen. Toni, den Namen gaben ihm Holländer. Mit denen arbeitete er in seiner Heimat im Kampf gegen die Taliban zusammen, weil er damals beim afghanischen Geheimdienst war.
Auf seiner Flucht habe ihn die türkische Polizei vier Tage lang eingesperrt, geschlagen und ihm nichts zu essen gegeben. „Ich war vorher noch nie im Gefängnis“, sagt Noorzai, die Erfahrung dieser Tage habe tiefe Wunden hinterlassen. „Den Weg nach Deutschland habe ich wie in Trance zurückgelegt.“
Dolmetschen als Teamwork
Najeebullah „Toni“ Noorzai erzählt das alles auf Dari, der Sprache der Afghanen. Die Besucher der proppenvollen Disharmonie – es mussten am Eingang sogar Zuschauer abgewiesen werden – hängen an seinen Lippen, auch wenn sie ihn nicht verstehen. Die Übersetzung von Noorzais Geschichte wird zur Gemeinschaftsaufgabe.
Den ersten Schritt macht Farhad Omari, der im Moment auch in der EAE lebt. Er spricht Dari und Englisch – schon mal sehr hilfreich. Um die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche kümmert sich erst Organisatorin Lena Mohr, dann hilft noch der Schweinfurter Künstler Christopher Tate, der wie die Band „So Izzy“ ein Lied zum Abend beigesteuert hat.
Was Mohr und Tate nicht richtig verstanden haben, korrigieren andere Zuschauer, füllen Lücken, präzisieren Details. Ein bisschen holprig alles, aber herzlich. Noorzai und Omari grinsen. Dann die Rettung: Aus einer der hinteren Reihen meldet sich ein junger Mann, der von Dari direkt ins Deutsche übersetzen kann. Johlender Applaus. „Du hast es aber spannend gemacht“, sagt Sänger Tate.
Der Abend war für den guten Zweck
Dabei wäre es beinahe schade gewesen, hätte beim Dolmetschen gleich alles geklappt. Die Improvisation passt zum Abend, den die Organisatoren kurzfristig auf die Beine gestellt haben. Sie sammeln Spenden für das Projekt „Mobile Flüchtlingshilfe“ aus Würzburg.
Die drei Initiatoren Julie Michelle Brustmann, Christian Ludwig und Vera Hoxha fahren am 23. November mit einem Spendenkonvoi nach Serbien und Kroatien, um dort Flüchtlinge auf der Balkanroute mit dem Nötigsten zu versorgen. „In den Camps dort müssen die Helfer entscheiden, ob sie einem alten Mann oder einem Kind eine Banane geben“, sagt Christian Ludwig in der Disharmonie.
Der gute Zweck der Veranstaltung war auch der Grund, warum sich die Flüchtlinge aus der EAE überwunden haben, vor so vielen Menschen zum Teil sehr persönliche Dinge preiszugeben.
Farhad Omari, der für „Toni“ übersetzte, erzählt zum Beispiel, wie ihn in Afghanistan die Taliban anwerben wollten. Er war in der Heimat Lehrer für Englisch und Politikwissenschaft, studierte Jura. Ein kluger Kopf, den die Radikalen gut hätten gebauchen können. „Sie wollten mich immer wieder überzeugen.“ Aber Omari lehnte ab – und dann drehte sich der Wind. Er flüchtete allein aus Afghanistan, noch immer stehen regelmäßig Taliban bei seiner Familie vor der Tür und fragen nach ihm.
Was sich die Asylbewerber für ihre Zukunft in Deutschland wünschen
Was sein Wunsch für seine Zukunft in Deutschland sei, will einer aus dem Publikum wissen. „Meine Ausbildung fortsetzen und Richter werden“, sagt Omari. Noorzai würde gerne mal zur Polizei. Die Sehnsucht nach Sicherheit und Ordnung ist offensichtlich. Als Lena Mohr den letzten Sprecher, Ahmad Mohammad Ali, auf die Bühne holt, sind sie schon längst über dem Zeitplan, so viele Fragen kommen aus dem Publikum.
Der syrische Archäologiestudent Ali ist Flüchtling und Helfer zugleich. Er war aus Aleppo in den Libanon geflohen, wollte dort weiter studieren. Dort begann er, sich in Flüchtlingscamps zu engagieren. „Die Situation dort ist deutlich schlechter als hier in Schweinfurt“, meint er. Als die libanesischen Behörden ihn ausweisen wollten, machte er sich auf den Weg nach Deutschland. In der Erstaufnahme tut er nun das, was er auch schon im Libanon tat: Er hilft beim Sortieren in der Kleiderkammer des Roten Kreuzes.