Mäßigung, was ist das eigentlich außer einem etwas aus der Mode gekommenen Wort? Mäßigung, das ist zum Beispiel eine von vier der von Platon als „Kardinaltugenden“ bezeichneten Charaktereigenschaften. Der Mäßigung ist auch eine der markanten Figuren am Nordgiebel des Schweinfurter Rathauses gewidmet, mit der sich unsere Sommerserie beschäftigt.
Wer sich auf die Suche nach Mäßigkeit, nach „Maß halten“ macht, der begegnet erst einmal viel häufiger deren Gegenteil – dem Überfluss und der Maßlosigkeit, oder wird mit Kalauern wie „Maß halten, na klar, so lange sie gut eingeschenkt ist“ abgespeist. Die Mäßigung, die da wie es scheint ein wenig traurig vom Rathausgiebel herunterschaut, hat einen schweren Stand in Zeiten der Fülle und fast schon Übersättigung. Oberflächlich betrachtet wird sie gerne mit Verzicht oder „sich nichts gönnen“ gleichgesetzt. Hat die Mäßigkeit überhaupt noch ihren Platz in Zeiten des „größer, höher, weiter“ oder gehört sie, vom Zeitgeist etwas angestaubt, in die Mottenkiste?
Mäßigung als Lebenshaltungsprinzip
Auf der Suche nach gelebter Mäßigung, die letztlich ein Leben bereichert, ja erfüllt, trifft man auf jene Menschen, die schon rein äußerlich, durch ihre Ordenstracht, ein Zeichen setzen, dass es ihnen nicht um materielle Dinge geht, sondern darum, ihr persönliches Lebensglück darin zu finden, die frohe Botschaft in Wort und Tat zu den Menschen zu tragen und für sie da zu sein. Ein gutes Beispiel dafür sind die Erlöserschwestern, von denen es noch 13 am Krankenhaus Sankt Josef in Schweinfurt gibt. Schwester Lydia Wießler ist dort Kommunitätsleiterin der Gemeinschaft der Ordensschwestern, früher hätte man einfach „Oberin“ gesagt.
Überangebot kann zu geistiger Verarmung führen
Seit 43 Jahren gehört die 70-Jährige zur Kongregation der Schwestern des Erlösers. Mäßigung, Mäßigkeit ist ihr in all den Jahren eine Grundeinstellung geworden. Sie war viel in der Welt unterwegs. In Afrika und anderswo hat sie Menschen geholfen, die wirklich arm waren, die ihre ganze Energie aufwenden mussten, an eine Handvoll Reis, sauberes Wasser oder ein sicheres Dach über dem Kopf zu kommen. „Wir sind nicht arm“, sagt sie heute, vielmehr hätten viele Menschen nur das Zufriedensein verlernt. „In der Fülle der Angebote liegt auch die Gefahr, geistig ärmer zu werden“, so ihre Einschätzung. Dass beinahe alles immer und überall zur Verfügung stehe, mache die Menschen auch nicht glücklicher, wenn sie in diesem Überangebot verlernt haben, sich auch an den kleinen Wundern des Lebens zu erfreuen.
Die schönen Dinge des Lebens genießen, auch mal einen Schoppen oder ein gut gebrautes Bier, das kann auch Schwester Lydia, die Mäßigkeit nicht mit weniger, sondern eher mit mehr bewusst erlebter Lebensfreude gleichsetzt. Auswählen, bewusst und maßvoll konsumieren, das hat für sie auch viel mit Wertschätzung für die Mitmenschen zu tun. „Wer ständig neue und billige Kleidung kauft, fördert die Kinderarbeit in Ländern, in denen die Kinder lieber zur Schule gehen sollten.“ Bewusst einkaufen, auch beim Essen, das ist für sie Bewahrung der Schöpfung und Nachhaltigkeit.
Auch Schwester Lydia hat die Erfahrung gemacht, dass immer mehr Menschen in Zeiten, „in denen ein Wunsch den nächsten erzeugt“, ihr persönliches Maß und Ziel verloren haben. Das zeige sich auch im Krankenhausbetrieb, wo heute mehr Betten oder Behandlungstische gebraucht werden, die auf das Gewicht von deutlich übergewichtigen Menschen ausgelegt sind. Süchte, wie zum Beispiel auch Kaufsucht, seien gute Beispiele dafür, dass man mit materiellen Dingen keine innere Leere ausfüllen könne.
Maßvoller Umgang mit digitalen Medien
Maß, Ziel und Mäßigung, das gilt für Schwester Lydia auch für den elektronischen Bereich. Freilich hat sie ein Handy, schon um mit ihren Mitschwestern in Verbindung zu stehen. Aber all diese Angebote der neuen digitalen Zeit, die auch für sie nicht mehr wegzudenken sind, müsse man mit Augenmaß nutzen. Wichtig wäre in ihren Augen, wenn schon kleine Kinder eine vernünftige Medienerziehung genießen, die sie in die Lage versetzt, dass sie selber Entscheidungen darüber treffen können, was sie tun und was sie besser lassen sollen. „Weniger ist mehr“, so ihre Erfahrung. Wer zum Beispiel einmal am Sonntag das Auto stehen lässt und mit dem Rad fährt, entdeckt vielleicht Dinge, die er sonst einfach übersehen hätte. „Aus Unmäßigkeit wird Mangel“, so ihre Überzeugung.
Das Leben genießen, das kann sie bei Brettspielen, auch mal beim Schafkopf und beim Wandern. Auf dem Land groß geworden, liebt sie auch die Gartenarbeit, für die allerdings angesichts vieler Aufgaben wenig Zeit bleibt. Manchmal reicht aber schon ein kleiner Ausflug in den kleinen Therapiegarten im Innenhof des Krankenhauses.
Ein paar Mohrrüben, ein paar Erdbeeren und die Paprikapflanze sieht auch schon ganz gut aus. Die zwei Quadratmeter Hochbeet-Garten, die auch für die Patienten da sind, versprechen zwar nur mäßigen Ernteertrag, aber maximale Freude am Wachsen und Gedeihen. Gelebte Mäßigkeit eben, denn drei selbst gezogene Erdbeeren schmecken einfach besser als ein ganzes Kilo aus dem Supermarkt.
22 Steinfiguren – die Serie
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts standen Kriegerfiguren auf den Rathausgiebeln. Es folgten 100 Jahre ohne Figurenschmuck, ehe nach dem Dachstuhlbrand im April 1959 die Schweinfurter Bürger spendeten. 80 000 Mark kamen zusammen, mit welchen zehn Bildhauer aus Unterfranken für 22 neue Giebelfiguren aus Sandstein bezahlt wurden. Die Putten und Statuen verkörpern Tugenden, die Elemente und Berufe.
Zu jedem Symbol erzählt im Rahmen unserer Sommerserie ein Mitglied der Redaktion eine Geschichte.