Das Bundeskanzleramt dürfte in diesen Tagen viele Pakete mit gebrauchten Tanzschuhen und Nägeln bekommen. Der Grund: Mit der bundesweiten Aktion "Hängt die Tanzschuh an den Nagel" des Tanzlehrers Ramon Gechnizdjani aus Saarbrücken möchten Tanzschulen, Tanzschaffende und Bildungseinrichtungen für künstlerischen Tanz verbandsübergreifenden auf den Jahrestag des ersten Corona-Lockdowns am 17. März und die prekäre Lage der Tanzbranche hinweisen.
Auch Savanna, Allegra und Mirella haben bei der symbolischen Aktion mitgemacht. Wie mehr als die Hälfte der etwa 160 Kinder und Jugendlichen der Schweinfurter Dance Academy haben sie einen Nagel in ihren Tanzschuh getackert und im Paket nach Berlin geschickt, wie Dance Academy-Leiterin Nathalina Maldonado in einem Telefongespräch mit dieser Redaktion berichtete.
Maldonado erinnert sich noch sehr gut an den Beginn des ersten Lockdowns im März 2020. Erst am Wochenende zuvor musste nämlich bereits die große Bühnenshow im Evangelischen Gemeindehaus abgesagt werden, auf die alle in der Dance Academy seit Monaten hin gefiebert hatten. Ganz umsonst die intensiven Trainingsphasen, die liebevoll gefertigten Kostüme, das Bühnenbild – stattdessen: enttäuschte Kinder und Jugendliche, die sich so darauf gefreut hatten, vor großem Publikum ihr Können zu zeigen und wohlverdienten Applaus einzuheimsen.
Start in eine andere Welt
Für die Bühnentanzschule begann genau vor einem Jahr eine andere Welt: Statt Training in den zwei Tanzsälen gab es kontaktlosen Zoom-Unterricht, statt persönlichen Anleitungen Videos und Tutorials im Online-Portal. Erst nach den Pfingstferien wurde mit einem strengen Sicherheitskonzept wieder geöffnet, das laut Maldonado sehr schnell bewies, dass ein hygienekonformer Tanzbetrieb sehr wohl möglich ist.
Fünf Monate später war der zweite Lockdown da und alles wieder dicht – eine Katastrophe sagt Maldonado, die die Dance-Academy nach zehn Jahren unter dem Dach der TG Schweinfurt erst im Frühjahr 2019 in neuen Räumlichkeiten eröffnet hatte. Der einzige Lichtblick: Nach dem ersten Lockdown hatten alle schon etwas Übung mit dem Online-Tanzunterricht, der aktuell nach normalem Stundenplan in den Bereichen Ballett und Commercial Styles abläuft, ebenso wie Fitnesskurse, Pilates und Yoga. Die Profis der Dance Academy trainieren online weiter regelmäßig, und auch die Ausbildungen für Bühnentanz und Tanzpädagogik laufen. Die Dozenten unterrichten nun über Zoom.
"Wir haben glücklicherweise sehr viele Stammkunden", die der Tanzschule weiter die sprichwörtliche Stange halten, berichtet Nathalina Maldonado dankbar, stellt aber mittlerweile auch fest, dass es mit fortdauerndem Lockdown immer schwieriger wird, alle zu erreichen.
Eine "zweite Heimat"
Den Tanzenden fehlt das gesellige und kreative Miteinander, die Auftritte, der Applaus. Für viele Jugendliche ist die Tanzschule "zweite Heimat", hier treffen sie ihre Freunde und konnten tanzen, selbst als die Clubs im letzten Sommer geschlossen waren. Nun ist alles online, und gerade die ganz kleinen Balletteleven ab drei Jahre sind schwer zu motivieren. Sie verstehen noch nicht wirklich, dass neben Drehungen im Tutu auch Stretching und Fitness wichtig sind, bewegen sie sich doch noch, sagt Maldonado, in einer spielerischen Fantasiewelt. Deshalb ist die Trainerin so froh, dass die Eltern trotz der Mehrfachbelastung auch da mitmachen und ihre Kindern in der Online-Class unterstützen.
Mit der Schuh-Aktion setzten Tanzeinrichtungen wie die Schweinfurter Dance Academy nun ein Zeichen für die ums Überleben kämpfende Tanzbranche. Alle hoffen, die Bundesregierung so erfolgreich von der relevanten Bedeutung des Tanzes für das körperliche und seelische Wohl zu überzeugen.
Den zweiten Schuh behalten die Teilnehmenden übrigens als Symbol der Hoffnung, dass niemand seine Tanzschuhe wirklich an den Nagel hängen muss.
Es geht halt einfach momentan nicht.
Solche Aktionen üben Druck auf Politiker aus der dann zu verfrühten Öffnungen führt.
Was daraus entsteht sehen wir ja gerade.