An das Sterben hat sie sich gewöhnt, zwangsläufig. Seit 30 Jahren engagiert sich Susanne Zirkel für den Tierschutz. Und ebenso lange ist ihre Wohnung die Kinderstube unzähliger Wildtiere. Von der Blindschleiche über jede Art von Vögeln bis hin zu Eichhörnchen – oder, wie aktuell, Kaninchen. Die beiden sind winzig, und die beiden Überlebenden eines Wurfs, dessen Bau unglücklicherweise in einem Sandhaufen lag. Und einstürzte, als der Sand gebraucht wurde. Wie so oft wurden die fast Neugeborenen zu der 54-Jährigen gebracht. Überall ist sie bekannt. Feuerwehr, Polizei, Tierheime, private Initiativen. Jeder hat ihre Nummer – und weiß, wenn jemand hilft und helfen kann, dann Susanne Zirkel.
Was die Menschen ihr bringen, hat oft schlechte Chancen. Küken von Wildvögeln, die noch völlig nackt sind, Fledermäuse, die versehentlich in eine Tür gequetscht wurden oder Vögel, die von Katzen angeschleppt wurden. Bei Susanne Zirkel "bekommt jedes Tier eine Chance". Auch wenn die Perspektive noch so gering ist, einen Versuch ist es wert, sagt die ausgebildete Tierpflegerin, die im Wildpark An den Eichen arbeitet und sich privat für die Wildtierauffangstation des Vogelschutzvereins Schweinfurtengagiert. Damit, dass es einige ihrer Schützlinge nicht schaffen, muss sie klar kommen. Am Anfang, erinnert sie sich, war das nicht einfach.
Umso schöner sind die Momente, wenn Zirkel einen ihrer Schützlinge in die Freiheit entlassen kann. Denn dort gehören sie nun mal hin. Das Eichhörnchen, die Mauersegler oder der Spatz, der während unseres Gesprächs in seinem Käfig auf dem Balkon ordentlich Rabatz macht. Der Herr hat keine Lust mehr auf die Kinderstube und ist ziemlich aufmüpfig, als Susanne Zirkel ihn fürs Foto in die Hand nimmt. Was sie sonst, wie sie sagt, kaum macht. Denn: Kümmern und füttern ist wichtig, aber mehr nicht. Zirkel zieht die wilden Babys menschenfremd groß. Auch wenn das, vor allem bei besonders flauschigen und süßen Exemplaren wie Eichhörnchen, schon mal schwer fällt. Doch die Tiere sollen wild bleiben, um so schnell und einfach wie möglich in ihr wildes Leben entlassen werden zu können.
Gezählt hat sie nicht, wie vielen Tieren sie im Lauf der Jahre schon geholfen hat. Früher alleine, ("das war manchmal schon hart an der Grenze") heute hat sie viele Helfer, ein ganzes Netzwerk hinter sich – und viele Kontakte zu anderen Tierschützern geknüpft. Entstanden ist aus einer solchen Zusammenarbeit auch dieStadttaubenhilfe White Angels, die Jasmin Poyotte im März ins Leben gerufen hat. Trotzdem bleibt viel zu tun, doch Susanne Zirkel macht es gerne, das spürt man sofort.
Einen passenderen Beruf hätte sich die geborene Niedersächsin nicht suchen können. Oder welcher Teenager lässt schon Disco Disco sein, um einen verletzten Vogel zu retten? Am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung hat sie gelernt, als eine der ersten Tierpfleger in Deutschland ihre Ausbildung gemacht. Warum dann Schweinfurt? Der Liebe wegen. 1982 hat Susanne Zirkel ihren Mann kennengelernt, einen Schweinfurter, der damals bei der Bundeswehr Dienst schob. Der Start in Schweinfurt war nicht leicht, der Job am Wildpark schließlich ein Volltreffer. Bis heute arbeitet Zirkel dort.
Und bis heute kennt sie jeder als die Frau vom Wildpark, die sich um gefundene Wildtiere kümmert. Und dafür viel Zeit investiert. Denn wilde Babys sind nicht viel anders als ganz kleine Menschen-Kinder. Man muss sie füttern, hegen und pflegen. Zwischen 6 und 20 Uhr jede Stunde, manchmal auch alle zwei oder vier Stunden. Wann sie Hunger haben, lässt sich unschwer angesichts der aufgerissenen Schnäbeln und dem lautstarken Piepsen übersehen. Zu Stoßzeiten, und die gibt es vor allem im Frühjahr, wenn die ersten Vögel brüten bis hin Anfang August, wenn auch die kleinen Mauersegler flügge werden, hat Zirkel alle Hände voll zu tun. Aber auch später sind Susanne Zirkel, ihr Mann und die kleine Dackeldame Molly nicht allein zuhaus. Dann pflegt die 54-Jährige Unfallopfer. Die Menschen, die Tiere bringen, kommen inzwischen nicht nur aus Schweinfurt. Bis nach Gerolzhofen, Kitzingen oder auch in die Haßberge reicht ihr Ruf.
Nestling oder Ästling? Wer den Unterschied kennt, weiß was zu tun ist
In einigen Fällen aber muss und darf der Mensch nicht helfen, sagt Susanne Zirkel. Beispiel Vögel: Der Nestling, der noch keine oder wenig Federn hat und sich nicht selbstständig fortbewegen kann, braucht Hilfe, um zu überleben.
Anders der Ästling. Er heißt so, weil ihn seine Eltern aus dem Nest gelockt haben – in ein Gebüsch oder in einen Baum. Dort ist Vogelschule angesagt, der Kleine muss lernen, wo es Futter gibt, vor wem er flüchten muss. Viele, sagt Zirkel, meinen, dass diese kleinen Vögel Hilfe brauchen. Doch das tun sie nicht, es sei denn, sie sind verletzt.
Wer sieht, wie eine Katze einen solchen Ästling belauert, kann ihn in sichere Höhe umsetzen. Anlangen schadet nichts, Vögel sind da nicht so, sagt Zirkel. Eigentlich kein Wildtier, selbst Rehkitze würden von ihren Müttern wieder angenommen, wenn sie nur etwas mit Erde oder Gras abgerieben würden.
Warum Schwalben und Mauersegler ein Sonderfall sind
Wer eine Schwalbe oder einen Mauersegler auf dem Boden sitzen sieht, sollte helfen. Denn: diese Vögel sind definitiv aus dem Nest gefallen, verlassen es eigentlich nur, wenn sie zum ersten Flug starten. Und: Mauersegler, auch ausgewachsene Tiere, können nicht vom Boden aus starten. Zirkels Tipp: Tier auf die Hand nehmen, hochhalten und einige Minuten warten. Fliegt der Vogel los, ist alles gut. Fliegt er nicht, kann man immer noch Hilfe bei Susanne Zirkel suchen.
Hände weg von Feldhasen
Die versucht – auch auf Facebook, über ihre eigene Seite, Foren oder Plattformen – immer wieder zu informieren. Auch darüber, dass man kleine Feldhasen, die scheinbar mutterseelenallein in einer Erdmulde sitzen, auf keinen Fall von dort wegholen soll. Denn: Bei Feldhasen ist die Kinderstube groß, verteilt auf das ganze Feld wird der Nachwuchs durchaus von der Mutter betreut. Zweimal am Tag kommt sie zum Säugen, ansonsten sind die Kleinen alleine.
In diesem Jahr, sagt Susanne Zirkel, sind es vor allem Säugetiere, die zu ihr gebracht werden; nur wenig Singvögel. Ob das mit dem großen Amselsterben 2018 zu tun hat, wer weiß das schon, sagt Zirkel achselzuckend. Eine Art übrigens holt sich selbst Hilfe: Wenn kleine Eichhörnchen dem Menschen hinterherlaufen, ist das ein ganz klares Zeichen, sagt Zirkel, die in diesem Fall mal wieder gefragt wäre. Eine Lebensaufgabe, scheint es. Doch eine, die sie erfüllt.
Kontakt: Bei Notfällen oder Fragen ist Susanne Zirkel unter 0160 98 33 32 99 jeweils bis 20 Uhr erreichbar.