
Volkswandern ist gesund. Regelmäßige Bewegung ist gut für das Herz-Kreislauf-System. Darüber sind sich Mediziner aller Couleur einig. Der Leistungssport dagegen ist in jüngster Zeit, nicht zuletzt durch den plötzlichen Herztod bekannter Sportler, ein bisschen in Verruf geraten. Dass Leistungsport deshalb gesundheitsgefährdend sein soll, wollen Ärzte dennoch nicht sagen. Es ist vermutlich wie immer und überall: man darf's halt nicht übertreiben.
Auch als die Volkslaufbewegung in den 1960er Jahren entstand, ging es zunächst um den Leistungsgedanken. Aber das wollten immer weniger der Teilnehmer, die meisten wollten die Bewegung mit dem Erleben der Natur und dem Zusammensein mit Freunden einfach nur genießen, ohne jeden Leistungsdruck. Und so entstand die Volkssportbewegung, es wurde nicht mehr gelaufen, sondern gewandert. 1968 wurde der Internationalen Volkssportverband (IVV) und 1970 der Deutsche Volkssportverband (DVV) aus der Taufe gehoben.
1972 ging es los
Zwei Jahre später entschlossen sich die Verantwortlichen des SC Weyer anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Sportvereins einen Volkswandertag zu veranstalten. Der Sportverein trat dem IVV bei und so gab es am Pfingstmontag 1972 den ersten internationalen Volkswandertag „rund um die Bergheide“, die der SC Weyer organisierte. Heuer hat die Wanderabteilung des Vereins bereits ihren 46. Internationalen Wandertag ausgerichtet.
Das zeugt von Durchhaltevermögen, denn in der Volkswanderbewegung verschwinden immer mehr Vereine und damit auch Wanderveranstaltungen von der Bildfläche. Die damals 30- bis 40-jährigen Wanderer sind inzwischen auch in die Jahre gekommen. Die Teilnehmerzahlen sinken, es fehlt der Nachwuchs. „Die Leute aus meiner Generation gehen lieber ins Fitnessstudio als 20 Kilometer im Kreis zu laufen“, weiß Stefan Michler.
Vier Wanderungen an einem Wochenende
Er ist die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Mit zehn Jahren ist er das erste Mal an einem Volkswandertag mitgelaufen. Es sollte eine Leidenschaft werden, die ihn nicht mehr losgelassen hat. Seit seinem 18. Lebensjahr wandert er regelmäßig. Vier mal 20 Kilometer am Wochenende sind für den 38-Jährigen keine Seltenheit. Er hat auch die Aufgabe des Abteilungsleiters der Sparte Wandern beim SC Weyer übernommen.
Bei den Volkswandertagen des eigenen Vereins kommt er nicht zum Wandern, da sei er „Mädchen für alles“, meint er lachend, aber sonst lässt er in der näheren und weiteren Umgebung kaum einen Volkswandertag aus, „einfach weil‘s Spaß macht.“
Wandervereine besuchten sich gegenseitig
Früher gab es im Radius von 50 Kilometer zwei bis drei Wandervereine, erinnert sich Streckenwart Horst Mika, jeder hat Volkswandertage ausgerichtet und es war selbstverständlich, dass man sich gegenseitig besuchte.
Vor allem die Amerikaner ließen sich damals begeistern, erinnert er sich, sie hätten immer einen großen Prozentsatz der Teilnehmer gestellt. Ohne ein großes Zelt aufzustellen wäre das gar nicht gegangen, erinnert sich der Vorsitzende des SC Weyer, Martin Göpfert. Zwischen 2000 und 3000 Wanderer waren die Regel. Inzwischen sind es meistens so um die 1000. „Heuer war das Wetter schlecht, da waren es nur 626 Teilnehmer“, berichtet Göpfert. Wenn die Zahlen weiter so sinken, dann müsse sich der Verein schon überlegen, ob sich der Aufwand noch lohnt.
Enormer Personaleinsatz
Der Stunden- und Personaleinsatz für den Verein ist nämlich enorm. Nicht nur die Bewirtung der Teilnehmer muss für die zwei Wandertage sichergestellt werden. Horst Mika ist seit 25 Jahren Streckenwart. „Inzwischen kenn ich hier jeden Winkel“, sagt er. Trotzdem müssen die Strecken, die in Weyer sechs, acht, zehn und 20 Kilometer lang sind, wohl bedacht ausgesucht werden. Dabei achtet Mica darauf, dass es in erster Linie breite Wege sind, wegen der Zeckengefahr will er möglichst niemanden durch Trampelpfade schicken.
Die Strecken müssen notfalls drei Tage vor der Austragung auch noch gemäht werden und rund 70 Hinweisschilder und 300 Richtungsanzeiger sind aufzustellen.
Zur Vorbereitung der zwei Volkswandertage sind circa 60 Leute im Einsatz. „Das geht nur, weil wir den Sportverein im Rücken haben und jeder, auch Nichtwanderer, mit anpackt“, betont Mika.
Die Schilder werden im Voraus gedruckt und laminiert. Vor Jahren schon haben zwei ehemalige Schreiner Ständer für die Schilder gezimmert und Thomas Rückert entwirft dann auch noch einen anspruchsvollen Faltprospekt für das Wochenende.
Begehrte „Mitgebsel“
„Früher“, erinnert sich Mika, „haben die Teilnehmer auch noch besondere Auszeichnungen erhalten. Begonnen hat es mit Medaillen, dann kamen Wandteller, Kachelfliesen, Bierkrüge, Gläser, Keramikflaschen, Porzellanfiguren und zuletzt gab es einen kleinen Rucksack. Irgendwann aber ist dies zu teuer gekommen und die Nachfrage war auch nicht mehr so da.“ 2008 hat der Verein diese „Mitgebsel“ für die Teilnehmer eingestellt.
Von der Quelle bis zur Mündung
Nicht ohne Stolz berichten Mika und Michler, dass die großen Fernwanderwege Deutschlands auf Wege der Volkswandertage zurückgehen. So beispielsweise der Main-Wanderweg, der von der Quelle des Weißen Mains am Ochsenkopf bis zur Mündung des Mains in Mainz führt.
Die Volkswanderbewegung habe Teilstrecken davon abgesteckt, die Kommunen hätten diese Ideen aufgegriffen und sie touristisch vermarktet, erklärt Mika.
Zusammenarbeit mit dem Bund Naturschutz
Inzwischen geht es auch nicht mehr nur um Wandern, auch Nordic-walking-Teilnehmer oder Jogger sind auf den Volkswandertagen willkommen. Unter anderem um die Idee des Volkswanderns wieder salonfähiger zu machen, hat sich der DVV seit 2015 mit dem Bund Naturschutz zusammengetan und bietet geführte Tageswanderungen zum Thema der biologischen Vielfalt an. Da wird dann der Fokus beispielsweise auf den Baum oder Vogel des Jahres gelegt.
„Es kommen dann oft auch mehr Leute aus der Region“, erlebt es Göpfert, aber das sei nicht das eigentliche Volkswanderpublikum.