
In den vergangenen Wochen hat sich in der Altstadt durchaus Ungewöhnliches am Himmel abgespielt: Laut schreiend haben mindestens vier Turmfalken auf der Stadtpfarrkirche, der Johanniskapelle und auf den Fenstersimsen des Weißen Turms nach Sitzmöglichkeiten gesucht. Und zugleich sind immer weniger Tauben auf den Dächern der Altstadt zu sehen. Der Grund: Die Wanderfalken sind da.
Konkurrenz für die Turmfalken
Seit rund drei Jahren haben Turmfalken den Nistkasten angenommen, der im obersten Stockwerk an der Ostseite des Nordturms der Stadtpfarrkirche eingebaut ist und dort ihre Jungen großgezogen. Man konnte die Greifvögel beobachten, wie sie mit Beute in den Fängen den Nistkasten ansteuerten.
Auf dem Pflaster in der Kirchgasse lagen auch regelmäßig Stücke von Mäusen herum, die beim schnabelgerechten Zerteilen der Beute auf der Plattform des Nistkasten nach unten gefallen waren. Die flügge gewordenen Jungtiere saßen später beispielsweise auf dem Dach des Weißen Turms und wurden dort noch gefüttert. Auch hier fielen gelegentlich Mäuse-Stücke zu Boden.
Tauben als Beute
In diesem Jahr hat sich aber einiges geändert. Peter Dreßel hat vom Marktplatz aus beobachtet, wie die Greifvögel im Nordturm der Kirche ganze Tauben in den Nistkasten schleppen. Ganze Tauben? Peter Dreßel lässt sich auch durch skeptische Nachfragen nicht beirren. "Ja, die Vögel haben Tauben geschlagen."
Dieser Umstand klingt irritierend, denn zur Speisekarte von Turmfalken zählen zumeist Kleinsäuger, in erster Linie also Mäuse, und kleine Vögel. Dass die Greifvögel auch große Stadttauben schlagen, ist eigentlich unmöglich, weil sie dazu von ihrem Körperbau her zu klein sind. Sind es vielleicht gar keine Turmfalken, die im Kirchturm nisten?

Das Rätsel klärt sich schnell auf. Anwohnerin Christel Fehlbaum hat vom Dachfenster ihrer Wohnung in der Kirchgasse aus einen prima Blick auf die Stadtpfarrkirche. Und weil sich ihre Familienmitglieder selbst als "Fotoverrückte" bezeichnen, haben die Fehlbaums für ihr Hobby auch hochauflösende Teleobjektive für ihre Kameras zur Hand. Mit dieser Spezialausrüstung sind Christel Fehlbaum tolle Aufnahmen von den Greifvögeln am Turm gelungen. Die Überraschung war groß, als die Bilder ausgewertet wurden.
Im Kirchturm haben sich tatsächlich Wanderfalken angesiedelt. Für hiesige Greifvögel-Experten ist dies eine "ornithologische Sensation", denn Wanderfalken sind normalerweise Felsenbrüter. Doch sie brüten zunehmend auch auf "künstlichen Felsen", einem hohen Kirchturm beispielsweise.
Die Turmfalken verdrängt
"In den vergangenen Jahren hatten Turmfalken im Brutkasten mehrere Jungvögel aufgezogen", berichtet Christel Fehlbaum, die selbst schon lange Jahre Mitglieder beim Landesbund für Vogelschutz ist. "Die Wanderfalken sind aber heuer neu hier – und haben die Turmfalken verdrängt." Dies erklärt auch den Umstand, warum die obdachlos gewordenen Turmfalken in der Altstadt in den vergangenen Tagen nach neuen Nistmöglichkeiten gesucht haben.
"Seit ein paar Tagen bringt der Terzel ein Brautgeschenk nach dem anderen zum Weibchen, das scheinbar schon Eier gelegt hat, weil es den Kasten kaum verlässt", hat die Fotografin von ihrer Wohnung aus beobachtet. Bei diesen "Geschenken" handelt es sich tatsächlich, wie von Peter Dreßel beobachtet, um Stadttauben. Das sieht man auch, wenn man durch die Kirchgasse läuft: Statt Mäuse-Stückchen liegen nun Tauben-Reste auf dem Pflaster.
Und noch etwas hat Christel Fehlbaum durch ihr Teleobjektiv entdeckt: Der weibliche Vogel ist beringt. Die Fotografin hat sogar die Nummer auf dem Ring ablesen können und im Internet recherchiert, dass das Weibchen einst in Esslingen den Ring erhalten hat. Die Kinderstube des Vogels war dort ebenfalls in einem Kirchturm.

Die Altstadt ist taubenfrei
Einen beeindruckenden Effekt hat das Wanderfalken-Paar im Steigerwalddom ausgelöst: Die Altstadt ist quasi über Nacht fast frei geworden von Stadttauben. Während sich die Tauben früher in keinster Weise um die kleinen, für sie ungefährlichen Turmfalken geschert haben, sieht dies nun ganz anders aus. Jetzt müssen sie um ihr Leben fürchten – und haben die Altstadt verlassen.
Wurden früher von Marktplatz-Anwohnern mit viel Tagesfreizeit noch bis zu 260 Tauben gezählt, sind die Dächer ringsum nun wie leer gefegt. Neben dem Jagddruck durch die pfeilschnellen Jäger der Lüfte dürfte aber auch der strenge Winter und der Umstand, dass die Tauben wegen der durch Corona beschränkten Freiluft-Gastronomie weniger Futter im Pflaster fanden, zu ihrer Dezimierung beigetragen haben.
Vergrämungsaktionen ohne Erfolg
Damit hat die Natur das geschafft, was dem Menschen mit verschiedenen Vergrämungsaktionen nie gelungen ist: die Flut von Tauben einzudämmen. Wir erinnern uns: Im Jahr 2015 begann die Stadt mit ihrer Aktion "Erst fangen, dann freilassen". Mit Futter wurde das Federvieh auf einem Balkon neben dem "Köhler-Haus" am Marktplatz in einen Schlag gelockt. Sobald genügend Tauben darin waren, ging es ab in Richtung Steigerwald.
Zu Hunderten wurden die Vögel im Steigerwald ausgewildert – bis sich schließlich Naturschützer zu Wort meldeten. Ihrer Meinung nach kam die Auswilderung im Steigerwald einem Todesurteil gleich, da die Tauben im für sie ungewohnten Wald zu wenig Nahrung finden würden. Schließlich wurde die ganze Aktion nach Intervention des Landratsamts Schweinfurt wieder abgeblasen.

Auch die Idee des Jahres 2006, Taubenhäuser an der Verwaltungsgemeinschaft und oberhalb des Kindergartens an der Grabenstraße aufzustellen, war kein durchschlagender Erfolg. Zwar wurden den Tauben, die dort einzogen waren, regelmäßig Gips-Eier untergeschoben, aber zu einer deutlich sichtbaren Verringerung der Population führte diese Geburtenkontrolle auch nicht. Es mussten erst die neuen Wanderfalken auftauchen.

Nistkästen werden gebaut
Zu den Verlierern der neuen Entwicklung gehören neben den Stadttauben aber auch die Turmfalken, die ihr angestammtes Quartier am Steigerwalddom verloren haben. Natur- und Tierfreunde aus Gerolzhofen haben über die Osterfeiertage allerdings sofort reagiert: In Absprache mit Bürgermeister Thorsten Wozniak fertigt der städtische Bauhof momentan neue Nistkästen an, die in diesen Tagen so schnell wie möglich aufgehängt werden sollen. Ein Kasten soll an die Ostseite des Weißen Turms kommen. Weitere mögliche Standorte für weitere Kästen sind die ehemalige Trafo-Station neben dem alten Kühlhaus an der Östlichen Allee und der Eulenturm.
Ich würde mich freuen, wenn Frau Fehlbaum am Jahresende mal mitteilt, was die Wanderfalken alles erlegten. Sie wird staunen, am wenigsten Stadttauben, aber viele mit Ringe und welche von der roten Liste.
Wunderschöne Tiere die Wanderfalken!!
Und wenn der Marktplatz leer gefuttert ist, dann werden die Wanderfalken weiter wandern, an einen frisch gedeckten Marktplatz. Ausser sie würden, wie häufig die Tauben, mit geeignetem Vogelfutter gefüttert.
Dass Wanderfalkenfreunde lebende Tauben in die Luft werfen würden kann ich mir aber kaum vorstellen
Aber ob da die Tierfreunde der "White Angels" begeistert sind? Vermutlich nicht, ihr Einsatz für die Natur erstreckt sich nur auf die schöne Fütterei. Mit den dunklen Seiten der Natur wollen sie nichts zu tun haben.
Es wäre super wenn sich die Stadt Schweinfurt bemüht Wanderfalken auch in der Stadt zu etablieren. Dickgefütterte Tauben sollte es dort zu Genüge geben. Und die White Angels würden sehen wie Natur wirklich funktioniert ohne weiteren Eingriff des Menschen. Da ist eben nicht alles kuschelig.