Die schlechte Nachricht: „Wir sind fast gleichgeschaltet“, meint Hans Gerzlich in der Disharmonie, mit Blick aufs Fernsehprogramm: „Die größte kollektive Gehirnwäsche seit 1933.“ Dieter Bohlen ist für ihn eine Art Fernsehfreisler, Heidi Klum hübsche Propaganda fürs neoliberale Gedankengut. Die Botschaft: Belohnt wird der Egoist, der seine Konkurrenz beiseite räumt und dabei zugleich Gehorsam übt. Nein, der Westfale auf seinem Stuhl regt sich gar nicht auf.
Mit adrettem Anzug und gemütlichem Gelsenkirchner Barock in der Stimme verschanzt er sich einfach lakonisch hinter der Wochenzeitung: „Als Reicher hätte ich auch Angst, dass mir die Armen die Paläste stürmen.“ Was ist aus „sozialer Marktwirtschaft“, was aus dem „rheinischen Kapitalismus“ geworden? „Asoziale Marktwirtschaft“, „schweinischer Kapitalismus“. Die gute Nachricht: Hans Gerzlich weiß, wovon er spricht, als studierter Wirtschaftswissenschaftler, später Referent für Marketing Controlling. Der Mann kennt den Büroalltag ebenso wie theoretische Modelle eines John Maynard Keynes oder Milton Friedman. Die ungefähr funktionieren, wie Prognosen beim ersten Kontakt der weißen Siedler Amerikas mit den Indianern: „Häuptling, wie wird der Winter?“ Kalt. Die Einwanderer schlagen ordentlich Brennholz, und holen sich noch mal Rat: Wie wird der Winter? Sehr kalt. Also wird noch mehr Holz gehackt, und wieder beim Experten nachgefragt. Der Häuptling ist überzeugt, es wird der kälteste Winter überhaupt. Ist ja klar: Wenn die Weißen wie verrückt Feuerholz sammeln. Pseudologik und Zirkeltrugschlüsse, sie beherrschen Management und Wirtschaftspolitik. Jede Einsparung in der Abteilung erhöht den Gewinn – glauben die Chefs. Die Abteilungsleiter nebeln sich panisch ein, in verwirrende Zahlen und Daten. Überhaupt: „Wachsen, wachsen, wachsen? Vorsicht, wir sind hier nicht bei der chinesischen Frauenschwimmstaffel.“ „Bodenhaltung. Käfighaltung. Buchhaltung“, nennt sich das Programm, nirgendwo wird die Kreatur mehr gequält wie beim „Homo Oeconomicus.“
Gerzlich ist zur Überzeugung gelangt, dass Wirtschaftswissenschaft wenig fürs praktische Leben taugt. Man stelle sich vor, man könnte seine Kinder vor Geburt zum Vorstellungsgespräch bitten: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ Beim Vollkrakeln der Tapete? Nein, Kinder rechnen sich nicht. Kein Wunder, dass Deutschland das geburtenschwächste Land Europas ist, nach dem Vatikan. Manchmal ist die totale Herrschaft der Ökonomie eben selbst unwirtschaftlich. Zeit, auch hier den Rotstift anzusetzen. Uwe Eichler