Dass die wichtigsten mainfränkischen Reliquien der katholischen Kirche während des so genannten Dritten Reiches gerade in Gerolzhofen versteckt wurden, ist ein Indiz für die Wertschätzung, die man im Würzburger Ordinariat dem als Nazigegner bekannten, aber gleichzeitig als klug, besonnen und vorsichtig geltenden Gerolzhöfer Stadtpfarrer Josef Hersam entgegenbrachte. Beim Verstecken der Reliquien und Teilen des Domschatzes im Nordturm der Pfarrkirche scheint es weniger um eine Sicherung vor möglichen Kriegsschäden gegangen zu sein. Denn dass die wegen ihrer überragenden Kunst- und Kulturschätze berühmte Bischofsstadt am Main je einem flächendeckenden alliierten Bombenangriff ausgesetzt sein würde, daran hat damals niemand geglaubt. Vielmehr fürchtete man seitens der Kirche Übergriffe der Nationalsozialisten auf die fränkischen Glaubenssymbole.
Hier gibt es einen Ausschnitt aus dem historischen Film von 1949:
Schon im Jahr 1937 wurde von den damaligen Machthabern ein Verbot erlassen, Privathäuser, etwa bei der Fronleichnamsprozession, in den Kirchenfarben gelb und weiß zu beflaggen. 1939 wurden die Wallfahrten eingeschränkt und es gab Restriktion hinsichtlich des Läutens der Kirchenglocken. Im Juni 1941 mussten die Kruzifixe aus den Schulen entfernt werden, der Religionsunterricht wurde eingeschränkt. Im November 1941 schließlich begann man mit der Abnahme und dem Einschmelzen der Glocken aus den Kirchtürmen.
Tochter nach Gailana benannt
Der mainfränkische Gauleiter Otto Hellmuth war ein besonders eifernder Gegner der katholischen Kirche. Seine älteste Tochter hatte er nach der fränkischen Herzogstochter Gailana genannt, die der Legende nach Anstifter in des Mordes an Kilian, Kolonat und Totnan war. Deshalb lag die Gefahr nahe, dass die Nazis in einem nächsten Schritt sich der Reliquien der Frankenheiligen bemächtigen könnten, um sie zu zerstören – oder sie in den Nazismus zu integrieren, in einen Nazismus als säkularisierte Religion mit Hitler als den neuen Messias an der Spitze der Bewegung.
Das Verbringen der Reliquien nach Gerolzhofen wurde auch innerkirchlich streng geheim gehalten. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen (etwa in Form von einer wie auch immer gearteten „Quittung“ gegenüber dem Domkapitel), welche Gegenstände Pfarrer Hersam und seine verschwiegenen Helfer aus Würzburg herausholten. Einzige Quelle ist ein handschriftlicher Zettel von Eugen Kainz, damals Subkustos am Kiliansdom. Auf dem Zettel hat der Subkustos, der für die Pflege des Domschatzes, der Reliquien und der liturgischen Geräte und Gewänder verantwortlich war, vermerkt, dass er am 25. August 1943 sich eine leere Eisenkiste besorgt hat, die dem Priesterseminar gehörte. In diese Kiste legte er die drei Häupter der Frankenapostel und außerdem vier wertvolle Bischofs-Mitren, die er auch kurz beschreibt. Die Kiste wurde dann in die vermeintlich sicheren Gewölben unter den Glockentürmen der Kathedrale gebracht.
Gerolzhöfer Ehrenmänner halfen mit
Vermutlich Ende 1943 konnte der Gerolzhöfer Pfarrer Hersam den Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried davon überzeugen, die Reliquien aus den Kellern herauszunehmen. Hersam sprach den ihm gut bekannten Lagerhaus-Besitzer Karl Wolf in Gerolzhofen an, der einen Lastwagen besaß. „Unter absoluter Verschwiegenheit“, so erinnerte sich später Karl Wolf, seien die Heiligtümer mit dem Büssing-Lastwagen seiner Firma nach Gerolzhofen gebracht worden. Die Reliquien wurden am Bischöflichen Palais abgeholt. Dies war unverfänglich. Neben dem Bischofspalais befand sich das Internat der Englischen Fräulein, das die Töchter von Karl und Antonia Wolf besuchten. Dort waren schon häufiger Gepäckstücke und Kisten vom Kraftwagen der Firma Wolf abgeholt worden, so dass die jetzige Aktion nicht auffiel.
Doch Karl Wolf war nicht der einzige verschwiegene Helfer von Pfarrer Hersam. Ende Februar oder Anfang März 1945, also nur wenige Tage vor dem verheerenden Bombenangriff, war Hersam wieder in einer Nacht- und Nebelaktion in Würzburg unterwegs. Diesmal hatte er den Gerolzhöfer Nikolaus Pfister um Hilfe gebeten. Dessen Witwe Antonie berichtete später über die Geheimaktion: „Mein Mann hat damals zur mir gesagt, Frau, ich muss morgen mit Pfarrer Hersam eine gefährliche Fahrt mit dem Lastwagen nach Würzburg machen. Sag niemand, wohin ich gefahren bin und mit wem ich gefahren bin. Bete für uns, dass wir wieder glücklich heimkommen!“ Man holte „Kartons und Kisten“ aus dem Dom und dem benachbarten Neumünster. Über den Inhalt der Kisten wollte – und konnte – Nikolaus Pfister nichts sagen. Die Witwe erinnerte sich: „Mein Mann sagte nur: Frau, ich darf dir nichts sagen.“
Zugang zu den Türmen verweigert
Neben Wolf und Pfister hat Hersam noch einen dritten Mann um Hilfe gebeten: den Gerolzhöfer Fuhrunternehmer Josef Weißenberger. Auch mit Weißenberger ist Hersam mit dessen Lkw nach Würzburg gefahren, um Kisten nach Gerolzhofen zu holen. Auch hier herrschte strengste Verschwiegenheit. Details dieser Fahrt hat Josef Weißenberger zu Lebzeiten nicht einmal seinen beiden Söhnen erzählt. Durch die Geheimhaltung wusste so gut wie kein Gerolzhöfer, dass sich die Reliquien der Frankenapostel und wichtige Teile des Domschatzes in den oberen Stockwerken der Kirchtürme befanden. Als es 1945 in der Stadt zum so genannten "Frauenaufstand" kam und angesichts der anrückenden US-Verbände an einigen Gebäuden weiße Fahnen gehisst wurden, verweigerte Pfarrer Hersam den Gerolzhöfern ohne Angabe von Gründen den Zugang zu den Kirchtürmen des Steigerwalddoms - das Geheimnis sollte gewahrt bleiben.
Nach Kriegsende fragte Hersam am 12. Juni 1946 beim ins Kloster Oberzell ausgelagerten Bischöflichen Ordinariat an, ob die Häupter der Frankenapostel wieder nach Würzburg überführt werden sollten. Doch daran war aufgrund der immensen Kriegsschäden noch nicht zu denken. Erst im Jahr 1949 kam es zur Rückführung. Pfarrer Hersam erlebte dies tragischerweise nicht mehr. Er war am 12. Oktober 1948 mit nur 58 Jahren an einer Lungenkrankheit gestorben.
Neuer Glasschrein
Am 4. Juli 1949 wurde in der Sakristei der Stadtpfarrkirche in Gerolzhofen im Beisein von Domkapitular Theodor Kramer und Pfarrer Franz Bauer die Eisenkiste mit den Schädeln der Frankenheiligen geöffnet. Die Häupter wurden dann in der Kirche in den neuen Glasschrein gesetzt, den Goldschmied Joseph Amberg aus Würzburg mitgebracht hatte. Danach wurden die Häupter auf dem Frankenapostel-Altar im Steigerwalddom zur Andacht öffentlich ausgestellt.
Am Dienstag, 5. Juli 1949, startete nach einem Festgottesdienst im Steigerwalddom die dreitägige Prozession von Gerolzhofen nach Würzburg. Tausende Gläubige hatten sich in der Steigerwaldstadt versammelt, Hunderte marschierten in der Prozession mit. Viele Menschen am Straßenrand zeigten sich tiefbewegt. Nach all den Kriegsjahren mit Not, Elend und Verzweiflung war das plötzliche Wiederauftauchen der Frankenapostel für die Gläubigen ein Lichtstrahl im Dunkeln, an dem man sich wieder aufrichten konnten. „Man war durchschauert von diesem einzigartigen Geschehen, als junge Menschen den Schrein der Heiligen durch die sonnige Landschaft trugen“, heißt es denn auch in einem zeitgenössischen Pressebericht.
Über Frankenwinheim, Lülsfeld und Rimbach wurde am Abend Volkach erreicht. In allen Gemeinden wurden die Reliquien von großen Menschenmengen empfangen, in den örtlichen Kirchen fand jeweils eine einstündige Anbetung statt.
Station in der Abtei
Am Mittwoch, 6. Juli, ging es von Volkach zunächst über Nordheim, Sommerach, Gerlachshausen zur Abtei Münsterschwarzach, wo die Prozession vom Abt empfangen wurde. Weiter ging es über Schwarzenau zur Wallfahrtskirche Dettelbach und dann in die dortige Stadtpfarrkirche.
Am Donnerstag, 7. Juli, erreichten die Häupter über Biebelried, Theilheim und Randersacker die Bischofsstadt, wo sie zunächst in die Adalbero-Kirche einzogen. Nach einer kurzen Andacht wandte sich der lange Zug dann in Richtung Residenzplatz, wo ein großer Freiluft-Altar aufgebaut war und bereits mehrere Zehntausend Menschen, an der Spitze Bischof Julius Döpfner, die Frankenapostel erwarteten. Dicht gedrängt standen die Menschen an den Straßen, als Bischof Döpfner in der Abendsonne den Schrein schließlich von der Residenz quer durch das zerbombte Würzburg hinunter zur Neumünsterkirche geleitete.
Um 21 Uhr hielten die Reliquien wieder ihren Einzug in der Kiliansgruft. Sie waren heimgekehrt.