Der Theologieprofessor Dr. Martin Ebner, emeritierter Bibelwissenschaftler an den Universitäten in Münster und in Bonn, sprach in Gerolzhofen auf Einladung der örtlichen Initiative "Maria schweige nicht" über die Stellung der Frau in den Anfängen des Christentums. Rund 70 Frauen und zehn Männer waren gekommen. Der hochinteressante Vortrag des renommierten Experten für Bibelauslegung, ein langjähriger Freund von Pfarrer Stefan Mai, brachte für viele Zuhörer Überraschendes – letztlich aber auch Ernüchterndes – an den Tag.
Das Christentum hat sich demnach in seinen Anfängen zunächst in den großen Städten des römischen Reichs mit seiner klar strukturierten Gesellschaftsordnung verbreitet. Ein Abbild der damaligen Gesellschaftsstruktur ist die bauliche Gestaltung der auch heute noch erhaltenen Amphitheater: die Ranghöchsten des Staates saßen, deutlich gekennzeichnet auch durch einen Kleidercode mit unterschiedlich breiten purpurnen Streifen auf der Toga, vorne direkt an der Bühne. Danach kam der Bereich für die freien Bürger und auf den hoch aufsteigenden Rängen saßen dann die Unfreien. Im obersten Parkett war schließlich der Bereich für die Frauen - so ganz nach dem Motto "Du bist, wo Du sitzt".
Struktur aufgebrochen
Die Lehre Jesu hatte großen Erfolg, weil die neue Religion eine Art von Gegengesellschaft zu den damalig herrschenden Strukturen entwarf. Das frühe Christentum hat diese strikte Trennung von Ständen und Geschlechtern bewusst aufgebrochen. Dies sei, so Martin Ebner, im Galaterbrief des Apostel Paulus nachzulesen: "Da ist nicht mehr Jude noch Grieche, kein Sklave noch Freier, kein Mann noch Frau. Denn ihr seid einer in Christus." Dies sei das "christliche Grundgesetz", gleichsam der Knall, der vom Urchristentum ausgeht. Jeder ist gleichberechtigt in diesem neuen Sozialraum, dem man durch die Taufe angehört. Es ist einleuchtend, dass gerade Sklaven und Frauen diesen Entwurf einer brüder- und schwesterlichen Gesellschaft anziehend fanden.
Diese neue Ordnung auf Grundlage der Gleichberechtigung drückte Paulus um das Jahr 50 auch damit aus, indem er die Mitglieder der frühen christlichen Hausgemeinschaften mit dem Leib verglich. Wie der menschliche Körper verschiedene Glieder, Hände, Füße, Ohren oder Nase hat, so sollte auch das Christentum organisiert sein: Jedes Mitglied bringt seine persönlichen Fähigkeiten je nach Begabung ein, um ein lebendiges Ganzes zu formen. Und jeder ist gleich wichtig, unabhängig davon was er kann und tut. "Dass hier nicht nach Geschlecht getrennt wird, ist damals so selbstverständlich gewesen, dass Paulus es nicht extra erwähnt", sagte Ebner.
Dank der Arbeit heutiger Archäologen, Inschriftenkundlern und Literaturwissenschaftlern gibt es inzwischen genug Beweise neben der Bibelexegese, dass Frauen in der frühen Kirche führende Rollen ebenso wie die Männer innehatten. Inschriften und Bilder, die man auf Papyrusrollen, Grabsteinen, Fresken und Mosaiken entdeckt hat, zeigen dies.
Gleiches Recht für Frauen
Auch das Neue Testament belegt dies. Im Philemonbrief des Paulus ist nachzulesen, dass es Frauen gab (namentlich beispielsweise eine Apphia), die in der Gemeindeleitung tätig waren. Und im ersten Korintherbrief lässt sich erkennen, dass es in der frühen Kirche auch für Frauen gleiches und freies Recht bei Rede und Abstimmung gab. Paulus erwähnt hier sogar Frauen, die "prophetisch reden", sich also kritisch zu Wort melden.
Dies ist die eine Seite des Paulus. Dann gibt es aber im ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth auch eine Stelle, wo zu lesen ist, dass die Frau in der Kirche zu schweigen und sich unterzuordnen hat, am besten nur in Stille verharren soll. Wie ist dieser drastische Gegensatz zu erklären?
Die Erklärung ist laut Martin Ebner ganz einfach, fast bestürzend einfach: Diese Textpassagen, die bis heute als Hauptargumente für die zweitrangige Rolle der Frau in der Kirche herangezogen werden, wurden erst nachträglich, lange nach dem Tod des Apostels, in den Paulusbrief eingefügt. Die originale Textaussage wurde dadurch massiv verfälscht.
Ergänzungen beim Kopieren
Die Bibelforschung ist sich heute weitgehend einig, dass beim -zigfachen Kopieren der originalen Paulusbriefe durch handschriftliches Abschreiben in der Zeit um 130 bis 150 n. Chr. mehrere kleine Textpassagen durch die "Paulus-Enkel" ergänzt wurden. Dies wurde teils durch besondere Markierungen am Rand auch kenntlich gemacht. Das Motiv: Man wollte damals darlegen, was Paulus, wenn er noch gelebt hätte, heutzutage sagen würde. Die nachträglich ergänzten Textpassagen spiegeln also den Zeitgeist wider, der um 130/150 in den christlichen Gemeinden herrschte: Die Frauen wurden gesellschaftlich massiv zurückgedrängt.
Gesellschaftlicher Mainstream
Doch warum kam es zu dieser dramatisch veränderten Einstellung zur Rolle der Frau in der Kirche? Die Christen wollten sich damals an die reichsrömische Ordnung, an den gesellschaftlichen Mainstream anpassen, sagt Professor Ebner. So nach dem Motto: Seht her, wir sind verlässliche Bürger. Die offene Struktur der paulinischen Gemeinden wurde bewusst umgebaut, man schaute sich jetzt den streng patriarchalischen Sozialcode ab, wie er in den römischen Familien praktiziert wurde. Über die christliche Hausgemeinschaft herrschte nun ein Episkopos (später "Bischof"), vergleichbar dem römischen männlichen Familienoberhaupt, der wie ein Monarch alle Fäden in der Gemeinde in den Händen hielt. Ehefrauen und Töchter hatten sich jetzt – im alltäglichen Leben und beim Praktizieren ihres Glaubens – dem Episkopos unterzuordnen.
Die Gleichberechtigung der Geschlechter früherer Tage wurde bewusst abgeschafft, um sich besser in die Gesellschaft integrieren zu können und um nicht angreifbar zu sein. Letztlich aber verharrt die katholische Kirche bis heute in dieser alten römischen Gesellschaftsstruktur der Jahre 130/150 nach Christus, obwohl sich heutzutage längst eine moderne Gesellschaft mit Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgebildet hat. Sich auch dieser Gesellschaftsform wieder anzupassen ("Seht her, wir sind aufrechte Demokraten"), auf diese Idee kommt die heutige Amtskirche aber leider nicht.
Die Rolle der Witwen
Eine Sonderrolle spielten in der damaligen römischen Gesellschaftsstruktur die christlichen Witwen. Gemäß 1 Tim 5 sind nur die „wirklichen“ Witwen - eben aus der jetzt geltenden römischen Perspektive heraus - die braven: die über 60 Jahre alt, ohne Kinder und Enkel, die Tag und Nacht beten – und ansonsten aber still sind. Nur sie sollen nach einer neuen Verordnung in Zukunft noch von der Gemeinde besoldet werden als Armenunterstützung, nicht mehr dagegen die jüngeren, die "falschen Witwen“ unter 60: Diese sollen gefälligst wieder heiraten und sich wieder einem Familienverband mit einem Pater familias an der Spitze unterstellen.
Mit dem Streichen der Besoldung für junge Witwen unter 60 Jahren wollte man unterbinden, dass die jungen Witwen wie bisher in die Häuser gehen und über Dinge reden, von denen sie angeblich keine Ahnung haben. Da diese Witwen frei waren und keinem Episkopos unterstanden, nutzten sie ihre Freiheit bislang für Seelsorge und Katechese, besuchten Kranke und Sterbende, kurzum: Sie praktizierten christliche Nächstenliebe. Frauen in dieser Funktion waren den männlichen Religionsführern ein Dorn im Auge und man schärfte deshalb entsprechende kirchliche Verordnungen nach.
Vermutlich hat das Streichen der Witwenbesoldung für junge alleinstehende Frauen aber nicht den erhofften Erfolg gebracht, zumindest nicht in Syrien. Denn im frühen 3. Jahrhundert wird noch immer in schärfsten Tönen gegen solche Witwen polemisiert, die auf eigene Faust Seelsorge betreiben, sich einfach nicht dem Bischof unterstellen wollen – und auch die empfangenen Spenden nicht beim Bischof abliefern.
Der entscheidende Bruch
Anfang des dritten Jahrhunderts dann der nächste markante Einschnitt, Professor Ebner nennt es einen "entscheidenden Bruch": Die männlichen Gemeindeleiter werden von ihren jeweiligen Berufen freigestellt. Aus nebenamtlichen Freizeit-Bischöfen werden nun hauptamtliche Kleriker. Als Vorbild für dieses Modell dient der Stamm Levi aus dem Alten Testament. Wie damals die Leviten, werden nun auch die Gemeindeleiter über den Zehnten von den Gemeindemitgliedern besoldet, damit sie sich nicht mehr "von Altar und den Opfern" entfernen müssen. Mit "übler Polemik", so Ebner, wird nun auch aus Finanzneid heraus gegen die Witwen vorgegangen, um diese im Gemeindeleben noch weiter zurückzudrängen. "Es entsteht eine Kluft zwischen Klerus und Laien". Eine Kluft, die immer größer wird.
Priestertum wurde aufgepfropft
Und dann die überraschende Aussage des Theologieprofessors: Das Priestertum wurde den damaligen Christen im dritten Jahrhundert regelrecht aufgepfropft. Jesus selbst habe nie Priester in seiner Gefolgschaft verlangt und vom Darbringen von Opfern sei auch nie die Rede gewesen, betonte Martin Ebner. "Über Priester steht nur Negatives im Neuen Testament." Schließlich seien es die Priester gewesen, die Jesus ans Kreuz brachten. Deshalb stehe er, so Professor Ebner, auch voll und ganz hinter der auf den ersten Blick irritierenden Aussage von Dr. Katharina Ganz, der Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, die immer betont, dass das Frauenpriestertum nicht das Ziel sei.
"Was wir heute brauchen, das ist eine neue Art der Gemeindeleitung, eine Abschaffung der Zwei-Stände-Gesellschaft", sagte der Professor. Eine Rückbesinnung auf das, was mit dem Christentum des Jesus von Nazareth ursprünglich gedacht war. Einen nüchternen Blick auf die Geschichte, um die Beweggründe freizulegen, wie und warum die Frauen in ihre zweitklassige Rolle hineingedrängt wurden. Was es braucht, ist eine Treue zum Ursprung.
Krise des Christentums
Die Kleriker-Kirche sei momentan dabei, sich selbst komplett gegen die Wand zu fahren. "Das Christentum droht in die Bedeutungslosigkeit zu rutschen", stellte Professor Martin Ebner fest. Der Klerus, von Papst Franziskus einmal abgesehen, wolle einfach nicht hören, zumal die von den beiden Vorgänger-Päpsten verbreiteten "zynischen und frauenverächtlichen" Meinungen noch immer hoch im Kurs stünden und eine Frauenfeindlichkeit befeuern.
Unter Johannes Paul II. habe sich die Kirche hinsichtlich der Priesterweihe von Frauen (im Jahr 1994: Ordinatio Sacerdotalis) höchst demütig einer Selbstbeschränkung unterworfen mit dem Satz „Die Kirche hält sich aus Treue zum Vorbild ihres Herrn nicht dazu berechtigt, die Frauen zur Priesterweihe zuzulassen.“ So könne man durch behauptete Ohnmacht besonders intensiv Macht ausüben, kritisierte Professor Ebner. Und auch Joseph Ratzinger habe in seinen theologischen Werken, zum Teil recht verklausuliert, darauf hingewiesen, dass die Macht nur in die Hand der Männer gehöre, weil es sonst zu einer Verwirrung des anthroposophischen Menschenbildes komme. Und dies könne Jesus schließlich nicht gewollt haben. Heißt: Gegen Gottes Willen kann der Mensch doch nicht vorgehen.
Rege Diskussion
Langanhaltender Beifall am Ende des spannenden Vortrags. Bei der abschließenden Diskussionsrunde wurde mehrfach die Frage gestellt, warum sich trotz vieler Bemühungen und Proteste einfach nichts ändere bei der katholischen Kirche. Jeder aus dem Stand der Kleriker, vom Papst über Kardinal über Bischof bis hinunter zum kleinen Dorfpfarrer, wisse doch aufgrund seines Studiums von den geschichtlichen Vorgängen in der Kirche des Anfangs. Und trotzdem korrigiere niemand die damaligen gegen die Frauen gerichteten Fehlentwicklungen.
Was könnte das Motiv sein für das sture Festhalten an der Gesellschaftsform aus dem Rom des zweiten Jahrhunderts auch in heutiger Zeit? Macht. Und Machterhalt.