Riesig – für Reiner Gehles das Wort, das China wohl am besten beschreibt. Größer muss man hier denken, sagt er – in jeder Hinsicht. Die Städte, die Menschenmassen, die Fabriken, das Land. Alles in China ist immens groß. Auch seine wirtschaftliche Bedeutung. Reiner Gehles hat den ökonomischen Sprint im Land des Lächelns hin zur wirtschaftlichen Großmacht miterlebt. Acht Jahre hat er hier gewohnt, eigentlich sollten es einmal zwei sein.
Mit 54 ist Gehles nach China gekommen, hat hier den Aufbau des Bereichs Maschinenbau von Schaeffler miterlebt. Nicht seine erste Begegnung mit Asien. Schon vorher war der gebürtige Schweinfurter für das Unternehmen weltweit unterwegs. Und doch waren die ersten Tage im April 2011 in China so etwas wie ein Schock, erinnert er sich. Die Hochhäuser, die Menschenmassen, die Lautstärke, Straßen, die – wie am Schachbrett gezogen – einander glichen wie ein Ei dem anderen. Auch die Luft war nicht die beste, sagt Gehles. Doch: "man gewöhnt sich daran". Und lernt viel Neues kennen und schätzen.
Wo eine "Kleinstadt" 900 000 Einwohner hat
Gewohnt hat er vor den Toren der 20-Millionen-Metropole Shanghai, in der "Kleinstadt" Taicang. Wie viele Einwohner? 900 000, sagt Gehles, und lächelt. In China, das mit 1,4 Milliarden Menschen vor Indien an der Spitze der bevölkerungsreichsten Länder liegt, ist das nicht viel. 6000 Mitarbeiter hat das Schaeffler Werk am Standort Taicang, insgesamt mehrere in China. Und Schaeffler ist nicht allein, auch nicht in Taicang. Es ist eines von vielen internationalen Unternehmen, die sich hier angesiedelt haben.
Über 150 Firmen sind es, sagt Gehles, 100 davon deutsche. Nicht nur Shanghai, auch Taicang hat sich darauf eingerichtet. Es gibt internationale Kneipen, in denen die Ausländer oft unter sich bleiben. Der normale chinesische Mitarbeiter kann sich das nicht leisten. Die Mieten sind explodiert, erzählt Gehles. "Es gibt viele Reiche, aber auch viele Menschen, bei denen das, was sie verdienen, gerade mal so zum Leben reicht."
Und doch hat sich viel zum Besseren gewandelt, hat der Schweinfurter beobachtet, zumindest was den Lebensstandard der Menschen betreffe. Und die Chinesen? Sie seien stolz auf ihr Land, perfekte Organisatoren, freundlich, und nicht nur weltoffen. Auch und gerade was neue Technik betrifft, sind die Menschen hier begeisterungsfähig, immer offen für neues, sagt Gehles. Während in Deutschland der E-Scooter langsam Einzug hält und die Meinungen geteilt sind, flitzt man in China schon längst mit dem elektrischen Untersatz auf zwei Rädern durch die Straßen. Nicht nur mit E-Scootern, auch mit großen Elektrorollern. Das Thema Elektromobilität ist hier ein ganz anderes, viel weiter. Auch in Sachen CO2-Reduktion hat China Fortschritte gemacht.
Es sei erstaunlich, wie sich das Land wirtschaftlich positioniere, sagt Gehles, und doch werde China von vielen nicht ernst genug genommen. Auch, was seine Bedeutung für die Welt betrifft. Man sollte unbedingt einmal hierher reisen, nach Asien allgemein, so der 62-Jährige, "allein schon, um die Proportionen zu sehen, um alles einzuordnen". Dann wird manches noch kleiner, auch die Bemühungen eines Landes wie Deutschland für Umwelt- und Klimaschutz. Obwohl die wichtig sind, betont der Schweinfurter schnelll.
Zwei Leben hat Reiner Gehles gelebt: Eines in Unterfranken, eines in China
Zwei Leben hat er in den acht Jahren gelebt – eines in China, wo er mit seiner Familie gelebt hat, seine Tochter, sein Sohn zur Schule gegangen sind, wo er am Wochenende das schier unüberschaubare Kulturangebot Shanghais auskosten konnte, wo der Frühling und der Sommer für die harten Winter entschädigt haben, wo er die reiche Kultur dieses riesigen Landes auf etlichen Reisen durch China kennengelernt hat – und eines in Unterfranken, zu dem er für Besuche immer wieder zurückgekehrt ist. Gerne, wie er sagt.
Seit einigen Wochen ist die alte Heimat die neue geworden. Reiner Gehles kam zurück, das Arbeitsvisum war ausgelaufen, ein neues nicht zu bekommen. "Warum auch immer." Zurück ist er an seinem alten Arbeitsplatz, muss sich neu orientieren. Generell. Alles ist so viel kleiner, so viel beschaulicher. Was er vermisst hat, ein gutes, frisches Brot, kann er nun jeden Tag haben. Auch deutsches Essen, wobei das kulinarische Angebot in China die Augen des Schweinfurters leuchten lässt, wenn er davon erzählt. Jetzt isst er sich durch Linseneintopf, Haxen, Schäufele und Co.: "lecker".
Zu tun gibt es vieles, Gehles muss sein Leben in Deutschland neu einrichten. Und bekommt schon jetzt ein Wenig Sehnsucht. Zwei Jahre hat er noch bis zur Rente. Ob er dann in Schweinfurt bleiben wird? Mal sehen, sagt er. Vielleicht zieht es ihn dorthin, wo das Wetter das ganze Jahr über schön ist, Asien, Thailand, so etwas. Gehles Tipp: "Reisen Sie mal nach Asien". Es lohnt sich. Nur eines, das müsse der Franke unbedingt wissen, sollte er nach China gehen: "Sagen Sie niemals 'Tschüß'!" Denn was bei uns ein freundlicher Abschiedsgruß ist, heißt in China wörtlich übersetzt: "Geh und stirb" . . .