Wenn man als Kind hinfällt und sich das Knie blutig schlägt, wenn man als Erwachsener sich an einem zerbrochenen Glas schneidet, dann entsteht eine Wunde. Im Idealfall wird der Schmerz mehr oder weniger schnell gestillt und die Wunde verheilt. Zurück bleibt eine oberflächliche Narbe. Seelische Wunden aber, die einem durch Worte oder Gesten geschlagen werden, sind ungleich tiefer, verheilen langsamer, besonders wenn sie durch eine Person oder Institution zugefügt wurden, der man vertraut hat. Um Verwundungen durch die Kirche ging es am Dienstagabend im Museum Johanniskapelle. „Ein Tabuthema“, wie der Referent Dr. Ruthard Ott eingangs meinte.
Einige der Besucher hatten sicherlich einen klassischen Vortrag von Ott erwartet, der als Pastoralpsychologe bei der Diözese Würzburg arbeitet. Doch statt Referenten-Monolog lud Ott zu einer „Thomasrunde“ ein, zu einem Gespräch mit Gläubigen über Glaubenszweifel, zu einer Zeit der Erinnerung, zu einer Zeit des Aussprechens.
Nach anfänglicher Scheu entwickelte sich in den sich bildenden Kleingruppen dann doch ein reger Meinungsaustausch. Ruthard Ott hatte als Anstoß dazu Fragen in den Raum gestellt. Gibt es aus Kindheit und Schulzeit ein Ereignis mit kirchlichen Personen, das besonders unangenehm oder schmerzhaft war? Wie war es in der Jugendzeit im Spannungsfeld der erwachenden Sexualität und den kirchlichen Geboten? Gibt es heute etwas, das persönlich verletzt, irritiert, kränkt, weh tut, wenn man an „Mutter Kirche“ denkt? Ist man dadurch vorsichtiger, kritischer geworden, ging man innerlich und äußerlich mehr auf Abstand zur Kirche? Die Besucher konnten anonym ihre Verletzungen auf rote Kärtchen schreiben, die dann im Plenum von Ruthard Ott vorgelesen und zur Diskussion gestellt wurden.
Nonnen drangsalierten
Von einem „durch und durch verlogenen System“ war da die Rede, als es um Erinnerungen an die Schulzeit in einem von Nonnen geführten Internat ging. Regelverstöße und angebliche Sünden der Schülerinnen seien öffentlich gemacht worden, die Mädchen wurden bloßgestellt. Briefe nach Hause mussten bei den Nonnen abgegeben werden, die sie erst durchlasen, ehe sie zur Post kamen. Und offenbar wurden sogar die Schränke und die wenigen privaten Habseligkeiten regelmäßig durchwühlt. Zur Sprache kamen auch „Züchtigungen“ und das „Abreagieren von Emotionen“.
Schwer zu schaffen machte vielen der zumeist älteren Besucherinnen und Besuchern des Gesprächsabends die „einschränkende Sexualmoral“ der Kirche. Die radikale Begrenztheit der Sexualität ausschließlich auf den Akt der biologischen Fortpflanzung und das Verbot der Empfängnisverhütung auch für Eheleute, die sich treu sind, hat offenbar gerade in den 60-er und 70-er Jahren tiefe Verunsicherung, ein schlechtes Gewissen oder gar Schuldgefühle hinterlassen. Diese Sexualmoral der Kirche habe sich ja bis zum heutigen Tag nicht geändert, meinten einige. „Aber das interessiert halt heute niemanden mehr.“
Hostie verweigert
Auch die strikt ablehnende Haltung der katholischen Kirche den konfessionsverschiedenen Ehen gegenüber kam zur Sprache. Früher, wenn ein Mann eine evangelische Frau heiraten wollte, habe der Pfarrer von der Kanzel dessen Ausschluss von der Kommunion verkündet. Vergleichbar sei heute auch die Ausgrenzung von Geschiedenen, denen der Zugang zu den Sakramenten verwehrt werde. Es gebe auch heute noch Pfarrer, die Gottesdienstbesuchern, von denen sie wissen, dass sie geschieden sind, die Hostie verweigern. Ein Spießrutenlauf ohne Gleichen.
Ein anderes schmerzhaftes Thema: Frauen werden in der Kirche nicht als vollwertig erachtet. Der Würzburger Bischof weigere sich, am Gründonnerstag auch Frauen die Füße zu waschen – obwohl der Papst in Rom dies vormache.
Schließlich wurden auch grüne Kärtchen beschriftet mit positiven Erfahrungen durch die Kirche, die die Verwundungen heilen helfen. Doch die, die durch autoritäres Auftreten des kirchlichen Bodenpersonals einst massiv verprellt wurden, dürften an diesem Abend erst gar nicht in die Johanniskapelle gekommen sein.