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SCHWEINFURT
Vom Giebel grüßt die Gerechtigkeit
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 11.12.2019 10:28 Uhr

„Recht und Gerechtigkeit (sind) aus dem Bedürfnisse der Menschen innerhalb einer Menschengemeinschaft entstanden, ihre Beziehungen zueinander friedlich zu regeln, um so gewalttätige Konflikte wenn möglich zu vermeiden. Von diesem Gesichtspunkte aus gesehen erscheint es natürlich, daß die Menschen Recht und Gerechtigkeit als ordnungsspendendes Element, als 'segensreiche Himmelstochter' begrüßen.“ So hat es der Wiener Rechtswissenschaftler Rudolf Blühdorn in den 1930er-Jahren in einer „Einführung in das angewandte Völkerrecht“ formuliert.

Unabhängige Gerichte entscheiden

Dass in der Stadt Schweinfurt Recht und Gerechtigkeit als zivilisatorische Errungenschaften von großer Bedeutung sind, dafür steht – sozusagen als Verkörperung der „segensreichen Himmelstochter“ – die Figur mit der Waage auf dem Rathausgiebel. Die Waage ist Ausdruck des Abwägens von Taten und ihren Umständen, von schuld- oder nichtschuldhaftem Handeln, von Argumenten bei Zivilstreitsachen. All dies misst sich an Recht und Gesetz, das für alle gleich zu sein hat, sonst ist es nicht gerecht – und darum geht es am Ende immer und ausschließlich.

Ob etwas Recht oder Unrecht ist, darüber entscheiden unabhängige Gerichte. In Schweinfurt sind es das Amtsgericht und das Landgericht mit Sitz in der Rüfferstraße, das Arbeitsgericht in der Alten Bahnhofstraße und auch eine Außenstelle des Landessozialgerichts am Rusterberg.

Rechtsverstöße sind oft auch ungewöhnlich

In der öffentlichen Wahrnehmung sind Verfahren vor den Strafgerichten meist am interessantesten und oft besonders spektakulär. Geht es um Mord und Totschlag, Drogenhandel und Bandendiebstahl, Unterschlagung und dreiste Betrügereien mit hohen Schadenssummen, ist die Aufmerksamkeit in der Regel höher als beim Streit zweier Nachbarn über und um den sie trennenden Maschendrahtzaun, wobei ein solcher Zivilprozess zumindest Unterhaltungswert haben kann.

Der Gerichtsort Schweinfurt ist diesbezüglich ein ergiebiges Pflaster. Die Strafrechtsverstöße und Gaunereien im Landgerichtsbezirk sind zahlreich und oft auch ungewöhnlich. Etwa wenn ein forscher Rechtsanwalt in großem Umfang seine Mandanten abzockt und sogar einen Einbruch in seine Kanzlei fingiert, um bei seiner Versicherung abzukassieren. Sicher, das kommt sehr selten vor, und weil die Unverfrorenheit auch den Ruf der Rechtsanwaltsbranche zu schädigen geeignet ist, hat die Große Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt für Recht erkannt, den kriminellen Advokaten vier Jahre hinter Gitter zu schicken.

Die Frage des gerechten Urteils

War es ein gerechtes Urteil? Auch dagegen gibt es ein Rechtsmittel, das der Revision beim Bundesgerichtshof. Niemand muss sich mit dem Spruch der Erstinstanz zufriedengeben. Ob sich in der nächsten am Ergebnis etwas ändert, ist eine ganz andere Frage, und grundsätzlich auch, ob ein Verurteilter selbst seine Strafe jemals als „gerecht“ empfindet oder stets als zu hart.

Dann gibt es noch ein Gericht in Schweinfurt, beziehungsweise in seinem vor 99 Jahren einverleibten Stadtteil Oberndorf. Nur einmal im Jahr tagt im Pfisterpark das „Walpurgisgericht“ – und der „Schultheiß“ hat ein gerechtes Urteil über Vorkommnisse zu sprechen wie etwa dieses, dass des Ochsensepps Ochse Herkules sich immer vor dem Haus der feschen Witwe Lisbeth erleichtert und gar das Gartentürchen ramponiert hat. Eine knifflige Sache mit Nebenaspekten, die sehr ins Persönliche gehen – doch auch hierzu ergeht ein weises Urteil: Im Wiederholungsfalle fünf Fuhren Steine für die Reichsstadt, das Türchen ist zu richten und die Gattin vom Sepp hat die Hinterlassenschaft des Herkules zu beseitigen.

Folkloristisches Walpurgisgericht

Nun ist das „Walpurgisgericht“ natürlich nur eine folkloristische Reminiszenz an vormoderne Zeiten, als auch schon Recht gesprochen wurde – oft zu Alltagszwist der genannten Tragweite. Ob die Figur mit der goldenen Waage auf dem Rathausgiebel auch für derlei Angelegenheiten steht? Wahrscheinlich schon. Auch sie rufen nach einem Urteil – und Rechtssicherheit.

22 Steinfiguren – die Serie

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts standen Kriegerfiguren auf den Rathausgiebeln. Es folgten 100 Jahre ohne Figurenschmuck, ehe nach dem Dachstuhlbrand im April 1959 die Schweinfurter Bürger spendeten. 80 000 Mark kamen zusammen, mit welchen zehn Bildhauer aus Unterfranken für 22 neue Giebelfiguren aus Sandstein bezahlt wurden. Die Putten und Statuen verkörpern Tugenden, die Elemente und Berufe.

Zu jedem Symbol erzählt im Rahmen unserer Sommerserie ein Mitglied der Redaktion eine Geschichte.

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