Beim Surfen im Internet ist der ehrenamtliche Gerolzhöfer Museumsleiter Bertram Schulz durch Zufall auf den Namen eines wegweisenden deutschen Maschinenbau-Ingenieurs und Lokomotiv-Konstrukteurs gestoßen: Valentin Litz. Er ist ein gebürtiger Gerolzhöfer.
Valentin Litz wurde am 21. Januar 1879 in der Mühle in der Bleichstraße als Sohn des Müllermeisters Paul Litz geboren. Das altehrwürdige Gebäude wird auch heute noch als "Litzenmühle" bezeichnet. Ein Blick in die Familiengeschichte.
Im April 1831 heiratet der kurz zuvor verwitwete Gerolzhöfer Müllermeister Nikolaus Neeb, Eigentümer der "Steinmühle" in der Bleich, Anna Maria Litz, eine Tochter des Müllermeisters Georg Litz aus Elsendorf im Bezirksamt Höchstadt an der Aisch. Die Ehe der Neebs scheint kinderlos geblieben zu sein, denn im Jahr 1838 wird ein Michael Litz in den Urkunden im Stadtarchiv als neuer Mühlenbesitzer genannt.
Als Bürger angenommen
Dieser Michael Litz, der Großvater von Valentin, wurde am 20. April 1814 als Sohn des Elsendorfer Müllermeisters Georg Litz geboren. Er war ein Bruder von Anna Maria Litz und somit der Schwager von Nikolaus Neeb. Im Jahr 1840 wird Michael Litz als Gerolzhöfer Bürger angenommen und heiratet ein Jahr später Anna Maria Krämer, eine Tochter von Michael und Dorothea Krämer aus Stadelschwarzach. Sie ist eine Schwester des inzwischen in der Gerolzhöfer Schuhstraße ansässigen Bierbrauermeisters Paulus Krämer. Am 21. Dezember 1847 wird Paul Litz geboren, der spätere Vater von Valentin.
Paul Litz heiratet im Jahr 1876 die Elisabeth Bauer, eine Tochter des Gerolzhöfer Landwirts Andreas Bauer, und übernimmt die Leitung der elterlichen Mühle. 1880 wird er in den Stadtmagistrat berufen. Senior Michael Litz stirbt laut den Sterbematrikeln der Pfarrei Gerolzhofen als "ehemaliger Mühlenbesitzer und Witwer im Alter von 75 Jahren, sieben Wochen und acht Tagen am 28. November 1889".
Valentin Litz ist der Zweitgeborene
Aus der Ehe von Paul und Elisabeth Litz gehen mindestens drei Kinder hervor: der im Jahr 1878 erstgeborene Sohn Michael Litz (er übernimmt später das Geschäft in der Litzenmühle von seinem Vater Paul, der im April 1925 als Privatier stirbt); am 21. Januar 1879 kommt der zweite Sohn Valentin, der spätere Maschinenbauingenieur zur Welt; und laut den lückenhaften Tauf- und Sterbematrikeln der katholischen Pfarrei gab es noch mindestens eine Tochter, die 1883 geborene Josepha, die mit nur acht Monaten im Säuglingsalter stirbt.
Während sein älterer Bruder Michael den elterlichen Betrieb übernehmen muss und das Müllerhandwerk erlernt, darf Valentin ein Gymnasium, mutmaßlich ein Internat, besuchen. Nach dem Schulabschluss beginnt er das Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule in München und an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Nachdem er seine universitäre Ausbildung in Berlin 1902 als Diplom-Ingenieur abgeschlossen hat, startet er seine berufliche Laufbahn bei der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, heutzutage unter dem Kürzel MAN bekannt. Seinen Lebenslauf kann man auf einer Wikipedia-Seite im Internet gut nachvollziehen.
Wechsel zu Borsig
Bereits 1904 wechselt der junge Maschinenbauingenieur mit 25 Jahren als Lokomotivkonstrukteur dann nach Berlin-Tegel zur Lokomotivfabrik August Borsig in Berlin-Tegel. Das Unternehmen Borsig war damals in Europa der größte und nach den Baldwin Locomotive Works in den USA der zweitgrößte Lokomotiven-Lieferant weltweit.
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Das erste Aufgabengebiet für den gebürtigen Gerolzhöfer bei Borsig ist die Mitarbeit an der Konstruktion einer "Mallet-Lokomotive" für die argentinische Central-Nordbahn. Bei der speziellen "Mallet"-Bauart hat die Lokomotive zwei getrennte, eigenständig angetriebene Fahrgestelle. Sie kann damit auch auf kurvenreichen Bergstrecken mit relativ geringen Kurvenradien eingesetzt werden.
Baureihe 76 entwickelt
Ab dem Jahr 1908 beschäftigt sich Valentin Litz dann mit der Entwicklung der neuen Tenderlokomotive T 10 für die Preußischen Staatseisenbahnen, die später bei der Deutschen Reichsbahn als Baureihe 76 auf den Schienen unterwegs ist. Die letzte verbliebene Maschine von insgesamt zwölf Borsig-Exemplaren wurde erst 1965 aus dem aktiven Dienst ausgemustert.
Im Jahr 1909 wechselt Litz bei Borsig als Akquisiteur in den Vertrieb. Er findet dabei Zeit, seine Maschinenbau-Kenntnisse weiter zu vertiefen und eine Doktorarbeit zu schreiben. 1921 wird er an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg zum Doktor der Ingenieurwissenschaften promoviert. Mit der Promotion erfolgt der nächste Schritt auf der Karriereleiter: Litz wird in die Geschäftsführung der Lokomotivfabrik A. Borsig berufen.
Anregungen aus den USA
Auf einer USA-Reise beschäftigt sich Valentin Litz intensiv mit den modernen Produktionsmethoden in der dortigen Auto- und Maschinenbauindustrie. Er erkennt sofort, dass Fließbandarbeit ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für ein Unternehmen sein kann. Zurück in Deutschland führt Litz auch bei Borsig die neuen Produktionsmethoden ein.
In mehreren Vorträgen, Fachaufsätzen und Schriften veröffentlicht er seine Ideen. Als Borsig-Betriebsdirektor schreibt Litz beispielsweise über "Die Vorteile der Massenherstellung von Maschinenteilen gegenüber ihrer Einzelherstellung im allgemeinen Maschinenbau" (1921) und über "Hohlbohrer und Messerköpfe" (1921), er vergleicht die Lohn- und Angebotskalkulation von Maschinen- und Handarbeit (1922), schildert seine "Sozialpolitischen Reiseeindrücke in den Vereinigten Staaten" (1925) und schreibt als Herausgeber über "Spanlose Formung – Schmieden, Stanzen, Pressen, Prägen, Ziehen" (1926). In der Wissenschaft wird der Gerolzhöfer Litz heute als eine der entscheidenden Personen der Einführung der Fließbandarbeit in der deutschen Maschinenbauindustrie angesehen.
Erster Chef der Lokfabrik Hennigsdorf
Die Weltwirtschaftskrise geht auch an A. Borsig nicht spurlos vorüber. Ab dem Jahr 1931 werden die Lokomotivbau-Aktivitäten von Borsig und der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft – kurz AEG – zusammengelegt. Es entsteht die eigenständig geführte Borsig-Lokomotiv-Werke GmbH. Valentin Litz ist Technischer Geschäftsführer der neuen Gesellschaft und nach Verlagerung des Unternehmens von Berlin-Tegel nach Hennigsdorf wird er der erste Chef der neuen "Borsig-Lokfabrik Hennigsdorf", die nach dem Kriegsende in der DDR in den Volkseigenen Betrieb "Lokomotivbau Elektrotechnische Werke Hans Beimler" umbenannt wurde.
In Henningsdorf ist Valentin Litz 1934 maßgeblich bei der Entwicklung und dem Bau von modernen Stromlinienlokomotiven, unter anderem an der legendären Geschwindigkeitsweltrekord-Dampflokomotive der Baureihe 05, beteiligt. Die Maschine mit der Nummer 001 ist ab dem Jahr 1936 im Schnellzugverkehr zwischen Hamburg und Berlin eingesetzt. Heute steht die rote Lok in Nürnberg im DB-Museum.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist Litz auch Geschäftsführender Vorsitzender des Verbands der deutschen Lokomotiv-Industrie, einem Vorgänger des heutigen Verbands der Bahnindustrie.
Mitarbeiter von Degenkolb
Während des Kriegs zeigt sich, dass die bisherige Art der Lokomotiv-Beschaffung nicht in der Lage ist, ausreichend viele Lokomotiven für den durch den Krieg stark gestiegenen Transportbedarf zu beschaffen. Im März 1942 wird deshalb von Albert Speer der "Hauptausschuss Schienenfahrzeuge" im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition gegründet. Vorsitzender ist der frühere DEMAG-Direktor Gerhard Degenkolb. Der Manager wird wegen seines ausgesprochen harten und diktatorischen Führungsstils als "Diktator der Lokindustrie" bezeichnet. Da Degenkolb als allgemeiner Maschinenbauer aber nicht ausreichend sachkompetent ist, wird Valentin Litz zu seinem Stellvertreter im Hauptausschuss berufen. Wie Litz zu den damaligen nationalsozialistischen Machthabern stand, ist nicht bekannt.
Deportation in den Osten
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Werk in Hennigsdorf von der sowjetischen Militärverwaltung beschlagnahmt. Direktor Litz wird von den Sowjets zur Mitwirkung bei der Umgestaltung der Lokomotivfabrik Luhansk und bei der Errichtung des Hüttenwerkes auf dem Gebiet der heutigen Ukraine verpflichtet. Später kann er nach Deutschland zurückkehren und wohnt als Ruheständler in München.
Valentin Litz stirbt am 2. Januar 1950 in der bayerischen Landeshauptstadt an den Folgen eines Schlaganfalls. In einem kurzen Nachruf im Gerolzhöfer Heimatblatt "Bote vom Steigerwald" ist zu lesen, dass der ehemalige Borsig-Generaldirektor "aus treuer Anhänglichkeit zu seiner Geburtsstadt" regelmäßig zu Treffen mit seinen früheren Schulkameraden nach Gerolzhofen kam. Er sei auch entschlossen gewesen, seinen Lebensabend in seiner Heimat zu verbringen. Tatsächlich gibt es in einem Neubauten-Akt im Stadtarchiv den Hinweis, dass Litz den Neubau eines Hauses in Gerolzhofen plante, hat Museumsleiter Bertram Schulz recherchiert. Wo es entstehen sollte, ist aber unklar. "Der rasche Tod machte nunmehr diesen Plan zunichte", heißt es im Nachruf.
Dr.-Ing. Valentin Litz wird am 4. Januar 1950 auf dem Münchener Ostfriedhof beigesetzt. In seiner Heimatstadt geriet er danach allmählich in Vergessenheit. Bis zu dieser Veröffentlichung.