Kontraste waren angesagt beim Gastspiel des Spellbound Contemporary Ballets mit "Vivaldi-Variations". Gegensätze zwischen dem düsteren und beklemmend wirkenden ersten Teil "Vivaldiana" des Choreografen und künstlerischen Leiters Mauro Astolfi und dem heiteren Licht durchfluteten "Seasons" von Jean-Guillaume Weis. In beiden Choreografien erklang Musik aus Antonio Vivaldis "Die vier Jahreszeiten", im "Vivaldiana" im Original, in "Seasons" in einer Rekomposition des zeitgenössischen Komponisten Max Richter.
Choreograf Astolfi beleuchtet in seinem Werk "Vivaldiana" mit seinen neun großartigen Tänzerinnen und Tänzern den Zustand unserer Welt, in der Egoismus, Aggressivität, Unterdrückung und Angst oft das Sagen haben. "Wir leben in einem Albtraum", so hatte dies neulich Choreograf Aakash Odedra bei seinem Oktober-Gastspiel formuliert.
Die Choreografie folgt dem Tempo der kurzen Musikstücke. Astolfi kreiert Minuten-Tanzszenen in ständig wechselnden Tänzer-Formationen: Ein Kaleidoskop der Disharmonie entsteht, das die Tänzer voller Dynamik und packender Ausdruckskraft gestalten. Ein Pas de deux etwa zu einem filigranen Cembalo-Solo beginnt zwar zunächst mit einer Umarmung, doch schon bald kommt Gewalt ins Spiel mit brutalen Gesten der Unterdrückung und der Geringschätzung.
Es scheint so, dass sich viele Choreografen zum Ausdruck von Angst und Gewalt der gleichen Chiffren bedienen: So war es zumindest in den Choreografien "Carrying a Dream" von Tim Rushton oder in "Je suis" von Aakash Odedra, die im Theater zu sehen waren. Auch hier zeigt nun Astolfi solche Chiffren: Unkontrollierte konvulsivische Bewegungen seiner Tänzer wie bei Epilepsie- oder Geisteskranken. Bilder aus dem Film "Einer flog über das Kuckucksnest" drängen sich auf.
Ein beklemmendes Szenario
Manchmal schweigt die Musik und die Tänzer formieren sich neu. Zu Szenen des Kampfes am Boden, wo Leiber-Knäuel brutal auseinander gezerrt werden. Oder zu einer Szene der Ohnmacht, die sich in mühevollem Sich-Vorwärtsschleppen der Tänzer am Boden ausdrückt. Eine Tänzerin fasst sich an den Hals, droht zu ersticken, bricht zusammen. In einem Lamento strecken die Tänzer ihre Arme als stummen Hilferuf himmelwärts. Ein beklemmendes Szenario. Vivaldi?
Doch nach der Pause präsentiert sich Weis’ "Seasons" im strahlenden Glanz goldener Girlanden, dazu erklingt eine Rekomposition der "Vier Jahreszeiten" des Zeitgenossen Max Richter, ein gelungenes Remix der Originalkomposition aus Zitaten, Bearbeitungen und Eigenem. Dazu verwendet er auch Techniken aus der elektronischen Popmusik wie Looping oder Sampling, betont die groovigen Elemente von Vivaldis Musik.
Die Choreografie atmet unbeschwerte Verspieltheit. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer sind in ständiger Bewegung: Sie treffen sich zu liebevollen Begrüßungen, sie "spielen" Roboterbewegungen, sie bauen eine Statue auf einem Sockel menschlicher Körper. Es gibt humorvolle Szenen, in denen eine Tänzerin mit theatralischen Gesten auf sich aufmerksam zu machen versucht, am Boden zelebriert ein Paar seinen Tanz der Liebe, eine kurze Szene im Zeitlupentempo zum Klang einer Glasharfe. Das Ensemble überrascht immer wieder mit neuen Bildern voller Ästhetik und pulsierender Lebensfreude, in denen sie auch Vivaldis vorwärts drängende Power unterstützt. Stürmischer langer Beifall für die Gäste aus Rom.