Mit einem nicht alltäglichen Modell geht Martina Reitz die Wiedereröffnung des Biomarktes „Vitabella“ in der Schweinfurter Innenstadt an. Um die Finanzierung zu sichern, hat die aus den Haßbergen stammende 33-Jährige Genussrechte im Wert von 100 000 Euro angeboten. Mindestinvestition: 1000 Euro. Die bisher über 20 Förderer, die Genussrechte für über 50 000 Euro erworben haben, machen die Wiedereröffnung der Vitabella Genusswelt – wieder in der Siebenbrückleinsgasse 8 – nun möglich. Im April soll es losgehen.
Kurzer Rückblick: Vitabella-Gründerin Emma Kloppe traf mit ihrer Vision von chemielosen Lebensmitteln vor über zwei Jahrzehnten den Nerv vieler. Das 1996 noch unter dem Namen „Nova Vita“ in der Judengasse eröffnete Geschäft lief jedenfalls bald so gut, dass mehr Verkaufsfläche nötig wurde. Die fanden Kloppe und Co. 2001 in der Siebenbrückleinsgasse. Nach einer gescheiterten Nachfolgesuche verkaufte Kloppe auch aus gesundheitlichen Gründen ihr mit Enthusiasmus betriebenes Geschäft aber Ende 2014 an die Firma „denn's Biomarkt“. denn's wiederum schloss im April 2017 die Pforten.
Nervenaufreibende Monate bis zur Entscheidung
Martina Reitz war zuletzt die Filialleiterin. Schon bei der Schließungsankündigung habe sie darüber nachgedacht, den Laden zu übernehmen: „Der Vita Bella Biomarkt war lange Zeit fester Bestandteil der Schweinfurter Innenstadt und soll es wieder werden.“ Es folgten nervenaufreibende Monate bis zur endgültigen Entscheidung, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. „Ich habe mir das nicht ganz so hürdenreich vorgestellt“, räumt Reitz ein. Mit ausschlaggebend war, dass die gelernte Einzelhandelskauffrau und Handelswirtin ihr „altes Team“ von der Vitabella-Wiederbelebung habe überzeugen können. Anfangen wird Reitz mit fünf Beschäftigten in Voll- und Teilzeit.
Um die Startinvestitionen – vor allem für die Ladeneinrichtung, dickster Batzen dabei ist eine neue Kühltechnik und Thekenanlage –, das Corporate Design, die Internetseite und die Grundausstattung an Waren zu „schaffen“, war ein finanzieller Grundstock nötig. Das in der Biobranche nicht unübliche „besondere Konstrukt“ kannte sie, Reitz arbeitete dabei mit Genussrechte-Profis zusammen. Als das Projekt stand, informierte sie über ihr Vorhaben mit Flyern, via Soziale Medien und in Zeitungsanzeigen. Anfang Oktober 2017 präsentierte die 33-Jährige bei einer Veranstaltung das Genussrechtemodell – erfolgreich.
Bio aus Überzeugung
Martina Reitz, die einst bei Rewe lernte und arbeitete, hat sich früh mit Bio beschäftigt und lebt das Thema heute aus Überzeugung, wie sie sagt. Das künftige Sortiment will sie „regionaler und noch ursprünglicher gestalten“, Kundenorientierung und eine familiäre Atmosphäre nennt sie „oberste Prämissen“. In erster Linie werden Frischeprodukte in Bioqualität angeboten – wieder an Bedientheken für Käse, Wurst, Fleisch, Backwaren und Bistroartikel. In Selbstbedienung gibt es Molkereiprodukte, Obst, Gemüse, Trockensortimente, Getränke, Drogerieartikel und Kosmetik – alles zusammen auf rund 350 Quadratmetern.
Lieferanten sind bekannte Bionamen wie Ökoring, Weiling und Herrmannsdorfer. Neben einem neuen Lieferservice soll ein Bistrobereich eingerichtet werden. Reitz hat dabei das bisher nur als Lager genutzte Untergeschoss im Auge. Im Bistro werden verschiedene, täglich wechselnde Tagesgerichte angeboten, vegan, vegetarisch und eines mit Fleisch, in jedem Fall vollwertig und frisch, sagt sie. Ergänzt wird das Tagesangebot mit allerlei Snacks, Kaffee und Gebäckspezialitäten. Geplante Öffnungszeiten: Jeden Werktag von 9 bis 18 und samstags von 9 bis 14 Uhr.
Genussrechte
Genussrechte sind Beteiligungen am Erfolg eines Unternehmens und sowohl in der Industrie als auch in der Biobranche nicht unüblich. Der Anleger erwirbt Genussscheine. Diese werden als Genussrechtskapital bezeichnet. Der Inhaber des Genussrechts hat als Gläubiger am Ende der Laufzeit einen Rechtsanspruch auf die Rückzahlung seines Kapitals. Denn das Genussrecht ist ein rein schuldrechtliches Kapitalüberlassungsverhältnis. Allerdings hat der Genussschein-Inhaber im Gegensatz zu Aktionären weder ein Stimm- noch ein Mitwirkungsrecht. Anders als bei Anleihen ist die Ausschüttung bei Genussscheinen an die Gewinnsituation des Herausgebers gebunden. Die Ausschüttung erfolgt grundsätzlich dann, wenn der erwirtschaftete Bilanzgewinn ausreichend hoch ausgefallen ist.
Im Modell der Vitabella Biogenusswelt wird den Anlegern eine vergleichsweise gute Rendite von bis zu 3 Prozent des Genussrechtskapitals als Barzins oder maximal 3,6 Prozent bei Auszahlung als Warengutschein gewährt – ohne versteckte Kosten, Gebühren oder Provisionen. Der Anleger haftet nur mit dem eingelegten Kapital. Die zugesagte Verzinsung wird auch nachgeholt, wenn sie in einem Verlustjahr einmal ausfallen sollte. Die Laufzeit ist unbestimmt. Eine Kündigung ist frühestens zum Ende des siebten Kalenderjahres möglich. Wird nicht gekündigt, verlängert sich die Laufzeit jeweils um ein Jahr. Auch während der Laufzeit können die Genussrechte an einen Dritten verkauft werden. hh