Es ist Sonntag, 11.58 Uhr, – 32 Minuten vor der Aufstellung zum Festzug. Vorstand Helmut Büschel kommt zum Seiteneingang bei der Bühne in die Festhalle. „Es hört auf“, sagt er zu einer Gruppe der Semflder. Ein vielstimmiges „Gott sei Dank“ kommt zurück. Weil der starke Regen aufgehört hat, kann der Festzug wie geplant starten.
Die Trachtler haben drei Anlässe zu feiern. Am Wochenende richten sie die 5. Unterfränkischen Heimatkulturtage und das 4. Gautrachtenfest des Trachtenverbands Unterfranken anlässlich 90 Jahre Volkstrachten-Erhaltungsverein „Die Semflder“ aus. Höhepunkt ist der Sonntag mit dem Festumzug ab 13 Uhr. Voll ist jetzt das Festzelt, in dem am Vormittag ein ökumenischer Gottesdienst mit 800 Besuchern gefeiert wurde, und in dem nun die Jugend die Ehrentänze zeigt.
Über 1000 Aktive haben sich zum Umzug angesagt, die meisten sind schon im Zelt, stärken sich noch bei Krustenbraten und Hochzeitsessen, bei der Sennfelder Gemüsepfanne (warum nicht Semflder Pfanne?), beim Gerupften (wie der Obatzte in Franken heißt) oder mit einer Bratwurst.
Der Trachtler erkennt sofort, woher die Gäste kommen: die meisten aus Franken, aber auch viele aus Thüringen, Bayern und Hessen. Die Stimmung ist gut. Der Gottesdienst hat gezeigt, dass man eine große Gemeinschaft ist, dass man Freunde in fern und nah hat, etwa alle Sennfelder Chöre, die den Gottesdienst mitgestaltet haben. Dass die Tracht und das Brauchtum Stützen der Gemeinschaft sind, das haben die beiden Pfarrer Stefan Stauch und Heinrich Knauer gesagt. Die Fürbitten haben die Mitglieder der Patenschaftsvereine Sulzbach-Rosenberg und Nürnberg-Neunhof vorgetragen.
Sennfeld ist auf dem fränkischen Trachtenatlas ein bedeutender Ort. 302 Mitglieder haben die Semflder. Das ist „sehr gut“, sagt Helmut Büschel. In Oberbayern wäre man nur einer unter vielen großen, doch hier ist man einer unter den wenigen so großen Vereinigungen. Was dem Trachtler wichtig ist? Der Vorsitzende macht spontan folgende Rangordnung auf: die Gemeinschaft und die Freundschaftspflege, das Tragen der Tracht, die Tänze und das Brauchtum. Dazu passt, dass für die Trachtler die „Kirm“ das wichtigste Ereignis im Jahr ist. 15 000 Besucher Jahr für Jahr, darauf dürfen die Semflder stolz sein.
Stolz sind sie natürlich auch auf ihre Tracht, auf den Dreispitz der Männer. Als Kriegsbeute ist die Kopfbedeckung im 17. Jahrhundert nach Franken gekommen. Woher? Das lässt sich nicht mehr so genau sagen. Auf den Dreispitz gesteckt sind die Strumpfbänder, – Freundschaftsbeweise des schönen Geschlechts, die in der Ferne an die Damen erinnern sollten. Glücklich also, wer sich so etwas an den Hut stecken kann.
Bei den Damen fällt das Myrte-Kränzchen auf. Zumindest einst sagte es der Männerwelt, wer noch zu haben, wer nicht vergeben ist. Wenn die Trachtler etwas raushängen lassen, dann sind es die roten Taschentücher, – Tücher, die eigentlich zu fein für die Nase sind, die zeigen, wer sich welche Preiskategorie leisten kann oder will. Die gelben Kniebundhosen, die roten Westen, die blauen Jacken haben die Semflder alle an. Eine Uhrkette, geflochten aus Frauenhaar, hat nicht jeder. Auch diese Ketten erinnern an das schöne Geschlecht, übertreffen auch heute noch die Haarlocke in der Brieftasche.
Vor dem Festzelt sind Stände aufgebaut. In einem dieser weißen Gartenpilze ist ein Gast aus dem Bayerischen Wald am Werke. Er zeigt das 400 Jahre alte Handwerk des Schnupftabakherstellers. In der Mühle werden verschiedene Tabaksorten zerrieben. Eingelegt waren sie bis zu sieben Jahre lang zusammen mit Obst in Öl. Ein Schuss Bärwurz kommt jetzt zu dem Schmalzler.
An den anderen Ständen warten bunte Tücher, handgestickte Hosenträger für die Tracht, Hüte, Schuhe und Adlerflaum auf die Käufer. Und ehe es zum Umzug geht, stärkt ein Schnaps, egal ob es regnet, oder ob gerade die Sonne scheint.