Sankt Johannis ist seit Sonntag wieder Vesperkirche. Viel ist längst Routine, klappt deshalb weit besser als bei der Premiere 2015, zumal die meisten der rund 250 Gastgeber „alte Hasen“ sind.
Am Montag vor einer Woche begann der Umbau der evangelische Kirche. Es ging alles Hand in Hand, „das bewährte Miteinander, das ist eine Wucht“, freute sich Cheforganisator Diakon Norbert Holzheid am Sonntag, gleich nachdem Diakoniechef Jochen Keßler-Rosa und Dekan Oliver Bruckmann Punkt 11.30 Uhr die vierte Vesperkirche (er)öffneten.
Menschen in den unterschiedlichsten Stimungslagen sind die Gäste
Zuvor – schon beim einleitenden Gottesdienst – gab es besonders bewegende Momente. Pfarrer Andreas Grell hatte sehr nachvollziehbar die verschiedenen Stimmungslagen der Gäste beschrieben. Einige, das sah man ihnen an, waren tatsächlich fröhlich, voller Energie, andere – vielleicht weil sie zum ersten Mal da waren – skeptisch, unsicher.
„Jeder bringt das mit, was ihn gerade bedrückt“, sagte Grell und forderte zu einem Moment der Stille, des Nachdenkens auf. Wäre eine Nadel zu Boden gefallen, man hätte das gehört, so still war es am Sonntagmorgen eine ganze Minute lang in dem riesigen Gotteshaus.
Oder die Momente in der Mitte und am Ende des Gottesdienstes: Kirchenmusikdirektorin Andrea Balzer spielte nicht nur Orgel, sie begleitete ihr Spiel auch mit Gesang. Stimmungsvoll war das wie zum Finale: In der längst proppenvollen Kirche stimmten wohl alle in den Weihnachtshymnus „Oh Du fröhliche“ ein. Johannes Daniel Falk hatte das „Dreifeiertagslied“ (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) vermutlich 1815 geschrieben. Als er vier seiner sieben Kinder durch eine Typhusseuche verloren hatte, gründete er in Weimar das „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“.
Bruckmann: Jeder und jede soll haben, was zum Leben nötig ist
Irgendwie Rettung ist für den einen oder anderen auch die Vesperkirche. Dekan Oliver Bruckmann ging in seiner Predigt darauf ein. Beginnend mit einer Erzählung des Evangelisten Matthäus, der schon ein Senfkorn Glaube als ausreichend erachtete, den Mitmenschen zu achten, niemanden einfach zu verurteilen, Reichtum zu teilen, „denn jede und jeder soll haben, was zum Leben nötig ist“.
Im Grunde sei das ja „wie in der Vesperkirche“, sagte Bruckmann: Da teilen wir das Leben, „niemanden geben wir verloren, da finden Menschen zusammen und mitten im Alltag ein Stück Glück“. Da werde sichtbar, „wie Gott sich das Leben gedacht hat, ein Aufstand für das Leben ist unsere Vesperkirche“.
60 Freiwillige leisten jeden Tag bis 11. Februar Dienst. Friedrich Appold schon zum vierten Mal, weil „diese Sache so viel Sinn macht“. 15 der 22 Tage hilft er mit, fährt extra aus Oberschwarzach nach Schweinfurt. Seit der Premiere ist erneut auch Christa Weinzierl dabei. Sie ist als „Bereichsleiterin“ für das Café verantwortlich, eingerichtet im linken Kirchenraum.
Auf jedem Tisch steht neben den Kaffeetassen mit der Aufschrift Vesperkirche eine kleine Vase mit einer frisch geschnittenen Tulpe drin. Sehr einladend ist das.
An den Tisch gibt es Geschichten, die das Leben schreibt
„Ich bin eine begeisterte Vesperkirchen-Gastgeberin“, sagt Weinzierl, die wegen des Formats unter dem Motto „Miteinander für Leib und Seele“ mithilft. Sie nennt ein Beispiel aus dem letzten Jahr, als eine Frau und ein Mann während des Mittagessens bemerken, dass sie Schulkameraden waren. 40 Jahre haben sie sich nicht gesehen, „das ist doch wunderbar“, sagt Weinzierl. „Es gibt viele solche Geschichten“, ergänzt Holzheid.
Erst 16 Jahre jung ist Cara Bettendorf, auch sie engagiert sich wie ihre ganze Familie zum bereits vierten Mal. „Das ist eine gute Sache und macht Spaß“, sagt sie und lässt den Reporter einfach stehen, weil sie die ersten Gäste an ihren Tischen bedienen muss. Auch sie trägt – Erkennungszeichen der Helfer – eine Vesperkichen-Schürze.
Am Sonntag gab es Suppe, Sauerbraten mit Kartoffelklößen und Apfelrotkohl, als vegetarische Alternative Kohlrabi-Medaillon mit Kartoffeln und Salat. Danach wechselten viele vom „Speisesaal“ ins Café, wo jede Menge verschiedene, gespendete Kuchen zur Auswahl standen.
Blutdruckmessen im Herrenchor
Ronny Krieg, beschäftigt beim Kufi, hat sich mit einem Freund zum Mittagessen getroffen, „weil das eine gute Sache ist“. Der Schweinfurter stand noch in der Schlange, hofft, dass es mit dem ihm noch unbekannten Tischnachbarn „zu spannenden Gesprächen kommt“. Dienstleister im Herrenchor waren am Sonntag die Johanniter, Blutdruckmessen boten sie an. Nutzten natürlich einige. Für die Sanitäter Leon Huppmann und Michael Gläntz Routine, wenngleich beide einräumten, dass der Ehrenamtsdienst bei der Vesperkirche dann schon doch „etwas Besonderes“ ist.
Tägliches Angebot ist die Kinderbetreuung. Die Turmecke ist dazu zur Spielecke umfunktioniert. Martina Tonn hat sich für diesen Job gemeldet. Sie ist Rollstuhlfahrerin. Holzheid imponiert das.
Am Sonntag sammelte auch ein Team des BR Stimmen und Stimmungen ein. Redakteur Volker Hensel, ein Schweinfurter, begründete das erneute Interesse der Fernsehleute mit der Vergabe des Sozialpreises der Landestiftung. Diese 10 000 Euro sind eine großartige Hilfe bei der Finanzierung, sagt Bruckmann.