Wenn man erst einmal aufgehört hat, sich zu fragen, wie das überhaupt funktionieren kann, was diese Leute da auf der Bühne machen, dann wird es richtig spannend: die ersten zwölf Präludien und Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier, Teil 1, umgesetzt, kommentiert, interpretiert mit Breakdance. Und man hört bald auf, sich das zu fragen, weil die pure Kraft dieser Musik und die pure Kraft dieses Tanzes eine so natürliche Verbindung eingehen. Mit der Show „Red Bull Flying Bach“ hat am Freitag im Konferenzzentrum der 13. Schweinfurter Nachsommer begonnen.
Eine recht hohe schwarze Bühne, links ein Flügel, rechts ein Cembalo. Es beginnt, natürlich, mit dem C-Dur-Präludium. Christoph Hagel, Erfinder und künstlerischer Leiter von Flying Bach, spielt die aufsteigenden Dreiklänge ganz schlicht, besinnlich fast. Noch tanzt niemand. Zu dem Stück wären auch nur langsame, fließende Bewegungen denkbar, unwillkürlich stellt man sich bedeutungsschweren Ausdruckstanz vor – nicht unbedingt die Botschaft von Flying Bach.
Und so schafft das Stück mit seiner ungestörten Ruhe und seiner Weisheit den idealen Raum für alles, was kommt. Und es kommt das Mädchen, um das sich alles drehen wird. Yui Kawaguchi ist keine Breakdancerin. Sie tanzt Contemporary und moderiert sozusagen mit katzenhaft natürlicher Anmut die erste Fuge und damit die weiteren Verwicklungen an. Die sieben Jungs werden sie umwerben, drängen, auf Händen tragen, scheuchen, ignorieren, beeindrucken, anziehen, abstoßen und ohrfeigen. Und so all die Affekte, Emotionen, Posen, Gedanken, Haltungen, Überzeugungen, Ängste und Hoffnungen umsetzen, die in der Musik anklingen. Die kommt mal vom Flügel oder vom Cembalo, mal vom Computer, mit wuchtigen Beats unterlegt und/oder sphärisch verfremdet. Das es-Moll-Präludium gibt's von der Konserve und vom Flügel, es wird so zu einer Art Wendepunkt, einer Meditation inmitten all der Turbulenz.
Wie Bach, der unter Einhaltung der strengen Regeln, denen mehrstimmige Musik unterliegt, Stücke von grenzenloser Freiheit geschaffen hat, nutzen die Flying Steps das klar umrissene Breakdance-Repertoire mit seinen kategorisierten Bewegungen – Moves – zu unendlich vielfältigen Aussagen. Da wird gekämpft und geprotzt, gelitten und gejubelt, geflogen und gerutscht, gebeten und gefordert, gelacht und geweint. Da gibt es eine kleine Anspielung auf Laurel und Hardy und eine auf Gene Kelly, da gibt es witzige Kommentare zu barocken Manierismen – etwa einen schnell wackelnden Hintern zum Triller –, und da gibt es vor allem unglaublich viel Energie, Präzision, Schwung und verwegene Anmut. Pirouetten auf dem Kopf, auf dem Unterarm oder nur auf einer Hand, Salti, Sprünge, die auf der Schulter landen und sofort in eine andere, physikalisch ebenfalls unmögliche, Bewegung übergehen, und das alles in perfektem Einklang der Truppe und mit der Musik. Die Motive der Musik werden zu Motivationen für Bewegungen, die keine direkte Visualisierung, sondern vielmehr in Bewegung umgesetztes Verstehen sind.
Christoph Hagel und der Choreograph Vartan Bassil verzichten darauf, die Musik sozusagen wörtlich zu übersetzen, sondern sie stellen die beiden Kunstformen einander gleichberechtigt gegenüber. Und so wird aus Bachs Vielfalt und der des Tanzes mehr als die Summe dieser Teile. Ständig gibt es etwas zu staunen und zu bewundern, ständig passiert etwas überraschendes. Zum Beispiel die Umsetzung einer Fuge nur mit einer überaus witzigen Armchoreografie oder ein herzhaftes Schneuzen des doch nicht ganz so ätherischen Mädchens. Aber das vielleicht faszinierendste ist, das die Flying Steps – anders als das Ballett – nicht die Schwerkraft vergessen machen wollen. Im Gegenteil, sie fordern sie unentwegt heraus und zeigen, wie man ihr ein Schnippchen schlägt. Seht her, was ich kann, ist die Botschaft. Was übrigens auch eine der Botschaften in Bachs Wohltemperiertem Klavier ist.
Bei der Aufführung ging es doch sehr um visuelle Eindrücke , die leider nicht so spitze rüberkommen, wenn der Boden der Bühne auf Augenhöhe ist.
Das Theater wäre ein viel geeigneter Aufführungsort gewesen.