
Nachts, am 4. Juni letzten Jahres, macht sich eine größere Mannschaft in Stollberg im sächsischen Erzgebirgskreis auf die Fahrt ins Unterfränkische. Mindestens neun Rumänen sind mit drei Autos und einem Lastwagen auf dem Weg zum Gelände des Kernkraftwerks in Grafenrheinfeld (KKG). Nach vier Stunden, etwa um 2 Uhr, erreichen sie ihr Ziel.
Kabel in handlichen Stücken
Ein Teil der Truppe klettert über den Zaun zu den Starkstrom-Kabelrollen. Einer schneidet mit einem speziellen Bolzenschneider das Kabel in transportfähige Stücke. Andere tragen diese zum Zaun und schieben sie durch die Maschen. Auf der anderen Seite warten weitere Helfer, welche die Teile durch die Zaunmaschen ziehen und über eine Wiese zum Lkw transportieren, mit dem die Beute anschließend weggefahren und später gewinnbringend verkauft werden soll. Den Dieben geht es um das Kupfer unter dem Gummimantel, mit dem sich im Schrotthandel gute Preise erzielen lassen.
Die Aktion findet zwar mitten in der Nacht statt, doch dank Videoüberwachung kriegt der Werkschutz alles mit. Als er anrückt, lassen die Diebe von ihrem illegalen Treiben ab und flüchten in alle Richtungen. Einige verstecken sich im Gebüsch, doch die Polizei ist schon unterwegs und sammelt sechs der Beteiligten im Umfeld des KKG ein. Es ist eine rumänische Truppe, die auf verschiedene Haftanstalten verteilt wird. Anfang Januar 2021 werden die geständigen Täter nach siebenmonatiger Untersuchungshaft vom Jugendschöffengericht Schweinfurt zu jeweils zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Zufällig da reingeraten?
An diesem Donnerstag nun steht ein 40-Jähriger, der damals fliehen konnte, vor dem Schöffengericht. Er räumt, wie die bereits Verurteilten, seine Beteiligung an dem versuchten, aber gescheiterten Kupferklau ein. Er sei "eher zufällig da hineingeraten", sagt sein Anwalt. Ein Bekannter, der im Januar schon verurteilt wurde, habe ihn zusammen mit einem anderen Landsmann zum Mitmachen angestiftet. Sie hätten sein Auto zum Transport der Helfer benötigt. Er habe vorher gewusst, dass es um Diebstahl ging, nicht aber, was gestohlen werden sollte.
Der 40-Jährige will kein "Chef" dieser kriminellen Aktion gewesen sein, sondern ein Helfer, der die durch den Zaun gesteckten Kupferkabelstücke weitergereicht habe. Seine DNA wurde an einer Trinkflasche gefunden, sein Handy war zur Tatzeit dort eingelockt und sein Auto am Tatort. Auch ohne Geständnis hätte man ihn überführen können, so das Gericht. Laut Anklage waren 200 Meter Kabel schon verladen, aber 1000 Meter von mindestens zwei Kabeltrommeln abgeschnitten und zum Abtransport bereit gelegt worden. Der Staatsanwalt rechnet den Mann nicht den "Helfern" zu, sondern den drei Personen, die Weisungen erteilten. Das bestreitet der Angeklagte.
Schrottwert: 23 500 Euro
Am Ende fordert der Staatsanwalt zweieinhalb Jahre Haft wegen versuchten Diebstahls mit Waffen in besonders schwerem Fall, wobei er den Bolzenschneider als Waffe ansah. Eine Bandenabrede sei nicht festzustellen gewesen. Der Verteidiger hält das für "völlig überzogen" und plädiert für eine Bewährungsstrafe (maximal zwei Jahre) und die Aufhebung des Haftbefehls. Dem folgt das Gericht. Es verhängt für den versuchten Diebstahl in einem besonders schweren Fall damit dieselbe Strafe wie vor viereinhalb Monaten das Jugendschöffengericht gegen die anderen sechs Tatbeteiligten. Angeklagter und Staatsanwalt verzichten auf Rechtsmittel, das Urteil ist bereits rechtskräftig. Der Haftbefehl wird aufgehoben.
Der Diebstahl von "Buntmetall" ist ein verbreitetes Delikt. Besondere Kupfer ist begehrt, weil es für die boomende Elektrifizierung benötigt wird. Preußen Elektra als Eigentümer der im KKG zum Abtransport bereitgestellten 1000 Meter Kupferkabel bezifferte den Wiederbeschaffungswert mit 43 500 Euro und den Schrottwert, den die Diebe hätten erzielen können, mit 23 500 Euro. Der Kilopreis soll bei sechs Euro liegen. In Deutschland zwei Tonnen Kabelstücke absetzen zu wollen, würde auffallen, hatte ein Polizeizeuge im ersten Prozess Anfang Januar gesagt. Das Kupfer sei wohl für Rumänien bestimmt gewesen.