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SCHWEBHEIM
Verhutzelte Äpfel: Was nach einem Winter übrig bleibt
Robert Lauers Leidenschaft sind Äpfel. Von den 91 eingelagerten Sorten sind manche länger haltbar als gedacht, andere schon früher verdorben.
Foto: Anand Anders | Robert Lauers Leidenschaft sind Äpfel. Von den 91 eingelagerten Sorten sind manche länger haltbar als gedacht, andere schon früher verdorben.
Julia Haug
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:42 Uhr

Die Ironie an der Geschicht': Der Apfelliebhaber ist allergisch gegen Äpfel. Robert Lauer muss selbst lachen. Dieses leichte Kribbeln auf den Lippen kommt meist dann, wenn er einen ungeschälten rohen Apfel isst. Es hindert den 50-Jährigen aber nicht an seiner Leidenschaft für die knackige Frucht, die schon Adam und Eva ein Begriff war. Auf Latein heißt der Apfel „Malus“, übersetzt „das Böse“, symbolisch für den biblischen Sündenfall.

Eigentlich – das gesteht Lauer auf seiner Schwebheimer Terrasse inmitten von Steigen voller Äpfel – findet er ja Birnen noch spannender. Beides sind Rosengewächse. Doch durch Zufall haben bei Lauer Äpfel die Oberhand über Birnen gewonnen, sowohl in seiner dunklen und temperierten Garage als auch auf seiner Streuobstwiese in Altenmünster. Dort hängen im Sommer und Herbst an den meisten der 150 Obstbäume Äpfel.

Rund 1000 Apfelsorten gibt es in Deutschland

Fotoserie

Von rund 1000 Apfelsorten, die in Deutschland wachsen, hat Lauer seit Herbst genau 91 in seiner Garage untergebracht. Bei Minusgraden temperiert er sie auch hin und wieder mit einem Gasradiator. „Eigentlich wäre ein luftfeuchter kühler Keller der bessere Lagerort“, sagt Lauer. Vielleicht nächstes Jahr. Nur ein Viertel der 91 Sorten, so schätzt er, stammen von seinen eigenen Bäumen: Erstmals hat Lauer heuer „aus Interesse, wie sich Äpfel verändern“, nicht nur seine eigenen aufbewahrt, sondern auch viele andere, die ihm 2016 zugefallen sind. Aus dem Bekanntenkreis oder durch seine Kontakte im Landkreis Haßberge, wo er am Landratsamt als Fachkraft für Naturschutz und Landschaftspflege arbeitet, erfährt er immer wieder von Sorten, die ihm noch fehlen.

Äpfel sehen sich Experten immer mit der Blüte nach oben, und dem Stiel nach unten an. Dieser Apfel der Sorte Signe Tillisch ist auch im April noch gut essbar.
Foto: Anand Anders | Äpfel sehen sich Experten immer mit der Blüte nach oben, und dem Stiel nach unten an. Dieser Apfel der Sorte Signe Tillisch ist auch im April noch gut essbar.

Robert Lauer wehrt sich, wenn man ihn Pomologe nennt. Dafür kenne er sich noch zu wenig aus. An aht Wochenenden hat er über zwei Jahre eine Fortbildung über Obergehölzpflege gemacht. Ein Modul umfasste die Obstsorten. Schon seit fünf Jahren liest Lauer in den wenigen guten Fachbüchern, die es gibt – die besten noch aus DDR-Zeiten –, fotografiert Äpfel aus verschiedenen Perspektiven – immer mit dem Blütenvertiefung nach oben –, heftet deren Kerne in Ordner ab, und schaut möglichst oft erfahrenen Pomologen über die Schulter. Ein paar wenige Experten gibt es in Deutschland. Doch auch die sind sich nicht immer einig. „Wenn jemand eine Bestimmungsquote von 80 Prozent hat“, ist etwas faul, sagt Lauer.

Zur Bestimmung braucht es fünf Äpfel der gleichen Art

Apfelchips
Foto: Anand Anders | Apfelchips

Wenn ihm Leute einen Apfel unter die Nase halten, kann ihnen Lauer selten mit einer eindeutigen Antwort helfen: Form, Farbe, Kerngehäuse, Geschmack, alles kann zwischen Exemplaren einer Sorte variieren. Typische Merkmale gibt es dennoch: „Der Gelbe Richard hat einen groben Rostklecks“, sagt Lauer und dreht den Richard zwischen seinen Fingern. Eine raue Stelle auf der Schale rund um den Stiel ist charakteristisch für ihn.

Mindestens fünf der gleichen Art brauche es schon, um eine Sorte sicher zu bestimmen. „Man spricht auch erst von einer Sorte, wenn mehr als ein einzelner Baum davon existiert.“ Wildlinge, also ein Zufallssämlinge durch einen verwehten Kern, gibt es zuhauf. Nur die wenigsten davon schmecken; denn sie haben mit dem Vater-Apfel kaum mehr etwas zu tun. Um eine Sorte rein zu erhalten, müssen Triebe, so genannte Edelreiser, an eine neue „Unterlage“ angesetzt werde. Diese von Fachleuten Veredeln genannte Prozedur guckte sich Lauer schon als Kind von seinem Großonkel ab: „Der konnte das sogar nur mit einer Hand.“ Die andere hatte er im Zweiten Weltkrieg verloren.

Lauer will einen Baum mit lauter DDR-Apfelsorten veredeln

Auch Marmelade und Apfelbrei lassen sich aus Lauers Äpfeln machen.
Foto: Anand Anders | Auch Marmelade und Apfelbrei lassen sich aus Lauers Äpfeln machen.

Nicht mehr lange, dann steht auch im Frühjahr 2017 wieder das Veredeln an: Dieses Jahr will Lauer in Altenmünster einen „DDR-Baum“ schaffen, kündigt er mit viel Ironie an: Sechs bis sieben alte Sorten aus der Deutschen Demokratischen Republik, wie zum Beispiel die Alkmene, sollen dann an einem einzigen Baum wachsen. In der DDR sei mehr Wert auf die Kultivierung verschiedener Apfelsorten gelegt worden als seinerzeit in der Bundesrepublik.

Lauer streift mit dem Blick über die roten, gelben, kleinen, großen, prallen und verhutzelten Äpfel. Auch aus Supermärkten bekannte Jonagold oder Boskop sind darunter. Doch auch abenteuerliche Namen wie Geheimrat Dr. Oldenburg, Seestermüher Zitronenapfel oder Horneburger Pfannkuchen. Ganz zu schweigen vom Langen Grünen Gulderling oder der Goldrenette von Blenheim. Dann kommen noch die Namen dazu, unter denen mancher Apfel mehrfach bekannt ist: Der Kaiser Wilhelm heißt zum Beispiel eigentlich Ernst Broich. Die Sorte wurde zu Wilhelms Zeiten neu benannt, dabei hatten den Apfel schon einmal andere benannt.

Der „Goldberger“ bleibt ihm ein Rätsel

Robert Lauer sammelt im Ordner Apfelkerne statt Münzen.
Foto: Anand Anders | Robert Lauer sammelt im Ordner Apfelkerne statt Münzen.

Ein Rätsel bleibt Robert Lauer und auch den Pomologen, die er um Rat fragte, ein mittelgroßer rotbackiger Apfel, der ihm vom Obstbaumbesitzer als „Goldberger“ vorgestellt wurde. Doch ein solcher Sortenname ist in keinem Verzeichnis bekannt. Auf der Suche nach der richtigen Sortenbestimmung reiste Lauer mit dem Kind ohne Namen schon nach Kassel und nach Bielefeld. Doch kein Expertentreffen wusste Rat.

Der „Goldberger“ sieht noch knackig rot aus. Etwas anders ergeht es einem seiner Nachbarn: „Der Rheinische Winterrambur hat mich enttäuscht.“ In Fachbüchern war er als bis in den Frühling lagerfähig angegeben, doch in der Lauerschen Garage war er schon früher nur noch bedingt genießbar gewesen.

Robert Lauer, Apfelliebhaber
Foto: Anand Anders | Robert Lauer, Apfelliebhaber

„Es ist auch jedes Jahr anders“, sagt Lauer. Tipps fürs richtige Einlagern gibt es trotzdem: Nur die „feinsten“ Äpfel einlagern etwa. Aus Wurmlöchern und matschigen Stellen wird sonst im Nu eine ganze Epidemie. Außerdem auch den Erntezeitpunkt beachten: Je länger der Apfel am Baum gehangen hat, desto länger hält er auch im Keller bei optimalen zwei bis sechs Grad Celsius aus. Und: Den Apfel möglichst an einem kühlen Morgen pflücken, nicht in der Mittagshitze. Auch der letzte Regenschauer sollte schon ein paar Tage zurückliegen, so dass das Obst trocken in die Steige wandert. Regelmäßig, optimal alle 14 Tage, so empfiehlt Lauer, das Lager nach faulen Früchten durchsuchen und diese aussortieren. Es bietet sich an, die Äpfel nur in zwei Schichten zu lagern. In einem tiefen Korb behält man nur schwer den Überblick.

Der Croncels-Saft schmeckt sowohl süß als auch sauer

Was beim Aussortieren in den Korb wandert, lässt sich wunderbar für allerlei Apfelprodukte verwenden. An dieser Stelle kommt Lauers Frau Angelika ins Spiel. Sie isst zwar generell nichts Süßes, doch am Herd und vor dem Ofen hat sie den Dreh raus. Apfelchips stehen auf dem Tisch im Wintergarten, daneben Apfelmarmelade – gerne Apfelgelee aus unreifen Äpfeln. Auch Likör hat Angelika Lauer aus den Äpfeln ihres Mannes schon gemacht. Vom Apfelsaft, den es jedes Jahr gibt, profitieren auch hin und wieder seine Amtskollegen. 2017 zum erstenmal auch sortenrein. „Der Croncels schmeckt mir am besten – harmonisch, sowohl süß als auch sauer.“

Können die Beiden denn Äpfel angesichts dieser Fülle noch ausstehen? „Auf jeden Fall“, sagt Robert Lauer, und sticht genüsslich mit der Gabel in ein Stück Apfelstrudel. Es ist ein Familienrezept.

Apfelsaft aus der Sorte Croncels
Foto: Anand Anders | Apfelsaft aus der Sorte Croncels
 
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