Den Countdown hatte die Schweinfurter Antiatomkraftbewegung schon mal geübt, am ursprünglich angekündigten Abschalttermin am 31. Mai. Das KKG blieb aber vier Wochen länger am Netz. Am Samstag kurz vor Mitternacht folgte die Wiederholung. „Zehn, neun, acht. . ..“ Rund 70 Atomkraftgegner waren zum Picknick ans Wegkreuz in Grafenrheinfeld gekommen und je näher Mitternacht rückte, desto lauter wurden die Zahlen geschrien: „Zwei, eins“, die „Null“ ging im Jubel unter. Es wurde gesungen, mit Sekt angestoßen, ein spontanes Feuerwerk an diesem „historischen Tag“ (Bündnissprecherin Babs Günther) in den Himmel geschickt.
Das Picknick lief zäh an. Um 20.30 Uhr, zum offiziellen Start, waren die Journalisten aus nah und fern noch in der Überzahl. Entlang der Straße zum Kernkraftwerk hatten viele Hobbyfotografen mit ihren Stativen bereits Stellung bezogen. Sie wollten das KKG letztmals unter Dampf festhalten.
Und auf dem Platz am Wegkreuz richteten mehr und mehr Gruppen ihr Picknick ein. Manche kamen mit Tischen und Stühlen, andere saßen auf Decken, dritte machten es sich vor ihrem Campingfahrzeug bequem. Die Journalisten fanden nun ausreichend Gesprächspartner.
Jochen Belz von der SPD Schweinfurt freut sich, dass sich der „lange lange Widerstand“ gelohnt hat, er das Ende des KKG „erleben darf“. Das Zwischenlager nennt er aber „ein gefährliches Sankt Nimmerleinslager“. Erhard Bauer und die Eheleute Doris und Klaus Mischau aus Schweinfurt sitzen auf einer Decke im Schatten der Kühltürme. Sie haben bei vielen Demos das „Abschalten“ gefordert. „Heute ist für mich ein Feiertag“, sagt Bauer. Er wohnt am Bergl, müsse „endlich die Dampfschwaden nicht mehr sehen“. Seine Sorge aber: „Wohin mit dem Atommüll“.
Doris Mischau ergänzt: „Tschernobyl und Fukushima haben doch gezeigt, die Technik ist nicht beherrschbar, deshalb müssen wir komplett raus aus der Atomkraft“. Ihr Mann Klaus fordert stattdessen den Ausbau der regenerativen Energien auf regionaler Ebene, dann könne man auf Stromtrassen verzichten.
Immer wieder fällt der Satz: „Wir müssen wachsam bleiben“. Auch Kreisrätin und Stadträtin Birgid Röder (Gerolzhofen) spricht „von einem schönen Tag heute“. Sie traut dem Frieden aber nicht. Horst Seehofers Politik laufe doch auf eine Rückkehr zur Atomkraft hinaus. Ihr Kreistagskollege Walter Rachle erinnert, dass ihn der KKG-Bau 1981 zum Grünen und Atomgegner gemacht habe. „Ein langer Kampf bis heute, deshalb freue ich mich. Aber dieser Kampf muss weitergehen, wir müssen wachsam bleiben“, sagt auch der Sennfelder. Nachdenklich steht Gerhard Spitzner am Zaun, schaut auf die Kühltürme. Von Anfang an habe er gesagt, „gegen Atomkraft müssen wir was tun“. Vielleicht habe er wegen seiner Einstellung „sogar Kundschaft verloren“, sagt der Handwerksmeister aus Gochsheim. In seinem Dorf seien die Castoren umgeladen worden, „schlimm und gefährlich war das“.
Dass das KKG vom Netz geht, sei „schön, aber ich habe auch Traurigkeit beim Gedanken daran, was wir unseren Nachfahren hinterlassen“.
Der bekannte Aktivist Wolfgang Müller von der Anti-Aktionsgruppe aus Bad Steben war mit einem mit „Giftfässern“ beladenen Lkw aus dem Frankenwald gekommen. Im Kostüm von Queen Elizabeth forderte er von der Ladefläche herab einen Baustopp für ein umstrittenes britisches Atomkraftwerk neben einer bereits stillgelegten Anlage. „We don't want Hinkley Point“, ruft er.
Das Endlagerproblem beschäftigt viele. „Der Atommüll überlebt uns alle“, sagt Karin Zieg aus Bamberg. Sie ist seit dem Bau des KKG Atomkraftgegnerin, kam zu vielen Demos. Natürlich freut sie das Abschalten („ein schöner Tag“), aber die Gefahren bleiben. Vom Arbeitskreis Taunussteiner Energiewende ist Jens Garleff aus Wiesbaden angereist. Er sieht das genauso. Ein von Grafenrheinfeld ausgehender Super-GAU sei nicht mehr möglich, aber das Zwischenlager sei bis 2046 genehmigt und ein „sicheres Endlager gibt es nicht“.
Auch Susanne und Jürgen Rüster aus Marktbreit misstrauen der Politik, warnen vor einem „Wiederhochfahren“. Seehofer sei ein „Kasperl der Industrie“ sagt Susanne Rüster und ihr Mann ergänzt, dass die Energiewende ohne Atomstrom möglich sei, man müsse sie nur konsequent wollen.
Natürlich ist das BA-BI-Banner dabei. Darauf sind alle „meldepflichtigen Ereignisse" seit 1982 dokumentiert, die das KKG dem Bundesamt für Strahlenschutz melden musste. Das Banner ist über 80 Meter lang. Es trägt über 234 Störfälle. Gaby Gehrold von der BA-BI rollt es aus. Die Umweltaktivistin berichtet, dass sie zuletzt sogar von einem Reporterteam der New York Times interviewt wurde, auch wegen des Banners, um das sie sich seit vielen Jahren „kümmert“.
Auch Maria Mündlein war von einem Reporter der taz interviewt worden. Die BA-BI-Aktive organisiert seit 20 Jahren die Andacht am Wegkreuz immer am letzten Sonntag eines Monats. Dass die Andacht am Sonntag eine so „geschichtsträchtige“ würde, damit habe man nicht rechnen können, sagt Diakon Andreas Grell vor 60 Teilnehmern unter Hinweis auf das zweimalige Verschieben.
Seine Predigt steht unter dem Titel Seufzen und Hoffen. Seufzen, weil die Gefahr durch den Atommüll bleibt, hoffen, weil mit dem Abschalten ein weiterer Schritt zum Komplettausstieg gegangen worden sei. Auch Grell sagt: „Wachsam bleiben“. Am Ende gibt es Sekt und Häppchen. Die Musik lieferten Pfarrer Franz Feineis (Schweinfurt) und Johannes Rösch (Zeuzleben).