Es ist ein Unikum in der Geschichte der Atomkraftnutzung in Deutschland: Als einziger Meiler Deutschlands hat Grafenrheinfeld keinen eigenen Gleisanschluss, um verbrauchte Brennelemente abzutransportieren. Im benachbarten Gochsheim sind die Castor-Behälter von Tiefladern auf Waggons gehievt worden. Bis 2006. Zuletzt begleitet von massiven Protesten und Blockaden.
Bis 1997 sind über 54-mal Behälter von Grafenrheinfeld in Gochsheim umgeladen worden. Es gibt immer wieder Aktionen, als sich zum Beispiel Greenpeace-Aktivisten an einen Waggon ketten. Die meisten Medien und der größte Teil der Bevölkerung nehmen die Transporte aber eher beiläufig wahr.
Das ändert sich mit dem so genannten Castor-Skandal, als deutsche Atommüllbehälter mit unzulässigen Strahlenwerten auffällig werden. Angela Merkel – damals Umweltministerin – stoppt die Transporte. In Grafenrheinfeld und Gochsheim werden sie 2001 wieder aufgenommen.
Doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Die Verladung von Atommüll findet am Gochsheimer Bahnhof in direkter Nähe von Wohnhäusern statt, dafür findet der damalige SPD-Fraktionschef im Gemeinderat, Manfred Deppert, deutliche Worte: „Das ist nicht nur unverantwortlich, ich würde sogar sagen, das ist illegal.“
Ein Anwohner ist an Leukämie erkrankt, sieht einen Zusammenhang mit den Verladungen und versucht im Schulterschluss mit der Gemeinde den Umladevorgang per Gerichtsbeschluss zu verbieten. In der Tat zeigen Messungen von Behörden und Anti-Atom-Initiativen vierfach erhöhte Strahlenwerte, wenn der PS-gewaltige Tieflader am Bahnhof eintrifft. Grenzwerte indessen werden nicht überschritten. Auch das Verwaltungsgericht sieht keine Gesundheitsgefährdung und lehnt die Anträge des Anwohners und der Gemeinde ab, den Transport abzusagen.
Die Öffentlichkeitsarbeit der örtlichen und regionalen Initiativen, der Krankheitsfall sowie die einzigartigen Verladebedingungen zeigen Wirkung: In Gochsheim und Umgebung wächst eine ungewöhnliche Allianz, die sich gegen die Castor-Transporte zur Wehr setzt – mit Demonstrationen und Fackelzügen. Jedes Jahr. Mit dabei Atomkraftgegner, Gochsheimer Einwohner, CSU, SPD, die Grünen, Bund Naturschutz. Der CSU-Ortsvorsitzende und spätere Bürgermeister Wolfgang Widmaier geißelt die Praxis, die Atombehälter in seiner Gemeinde umzusetzen.
Der 10. April 2001 liefert die wohl größten Schlagzeilen. Greenpeace-Mitglieder haben sich an Gleisen festgekettet und sich von einer Brücke in Sennfeld abgeseilt, um den Zug aufzuhalten. Aufwändig versuchen Polizisten, die Blockierer zu befreien. Es gelingt: Der Zug mit der strahlenden Fracht kann sich auf den Weg nach Frankreich zur Wiederaufarbeitung machen.
In dieser Phase wird in der Region intensiv darüber diskutiert, ob das Atomkraftwerk nicht doch mit einem Anschluss an das Schienennetz versorgt werden soll, um die inzwischen von großem Protest und Polizeiaufgebot begleitete Verladung in Gochsheim zu beenden. Kraftwerksbetreiber E.ON hat selbst einige Planvarianten im Köcher. Eine von ihnen beinhaltet sogar den Bau einer Brücke über den Main, um auf der Bergrheinfelder Seite an die Gleisstränge anzudocken.
Aus diesen Plänen wird aber nichts: Die rot-grüne Bundesregierung hat genug von den wiederkehrenden Castor-Protesten, die in Gochsheim und Grafenrheinfeld – gemessen an zum Teil gewalttätigen Aktionen im Bundesgebiet – gemäßigte Formen gewahrt haben. Berlin entscheidet sich für den Bau dezentraler Zwischenlager neben den Atomkraftwerken. Auch in Grafenrheinfeld.
Die Halle wird 2006 eröffnet. Mit dem ersten Castor, der dort geparkt wird, sind auch die Transporte via Gochsheim vorerst Geschichte. Auch die Diskussion um den Gleisanschluss ist vorbei.
wir haben das ausgebessert, danke. Der Autor kann das wohl unterscheiden, aber Fehler passieren nun mal.
MfG,
L. Meißner
Digitale Medien