
Ein ungewöhnliches Gerichtsverfahren ist beendet: Begonnen als sogenanntes Sicherungsverfahren, in dem ein schuldunfähiger Täter nach dem Urteil nicht ins Gefängnis kommt, sondern auf unabsehbare Zeit in die Psychiatrie, wurde nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung daraus ein Strafverfahren. In der Folge kam der Verdächtige aus der Klinik in Untersuchungshaft.
Nun hat die Große Jugendkammer des Landgerichts Schweinfurt am siebten Verhandlungstag ein Urteil gefällt: Der 20-jährige Angeklagte schuldig der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil eines 18-jährigen Freundes, dem er im Rahmen einer Feier im letzten Sommer in Schweinfurt nachts, beim Zigarettenholen, auf der Straße ohne jede Vorwarnung fünf Messerstiche versetzt hatte. Ohne sofortige Hilfe im nur wenige Meter entfernten St.-Josef-Krankenhaus wäre das Opfer gestorben. Das Gericht verurteilte den 20-Jährigen, der sich angeblich an nichts erinnerte und keinerlei Aussage machte, zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
Angeklagter voll schuldfähig
Laut Gericht war der Angeklagte zur Tatzeit voll schuldfähig und nicht akut psychotisch. Erst nach der Festnahme habe sich eine Haftpsychose ausgebildet, die zu seiner vorläufigen Unterbringung geführt habe. Rechtlich sei die Tat eine gefährliche Körperverletzung und versuchter Totschlag, von dem der 20-Jährige aber "strafbefreiend" zurückgetreten sei, als er den fliehenden Geschädigten nicht weiter verfolgte.
Der Staatsanwalt hatte die Messerstiche als heimtückisch angesehen und wegen versuchten Mordes eine Jugendstrafe von sechs Jahren gefordert. Der Anwalt des Opfers und Nebenklägers beantragte sogar nach Erwachsenenstrafrecht mindestens zehn Jahre. Die beiden Verteidiger zeigten sich zunächst zufrieden mit dem Wechsel vom Sicherungs- ins Strafverfahren, bedeute doch eine Unterbringung in der Psychiatrie Freiheitsentzug auf unabsehbare Zeit – im Gegensatz zu einem Hafturteil. Ihr Mandant sei ja zunächst "Opfer einer Fehldiagnose der psychiatrischen Abteilung in Würzburg" geworden, die eine katatone Schizophrenie diagnostiziert. Darauf gründete die "Antragsschrift" der Staatsanwaltschaft, die bei einer solchen überdauernden psychischen Erkrankung von der Schuldunfähigkeit des Angeklagten ausgegangen war und deshalb von vornherein auf eine Unterbringung abzielte.
Psychotisch nur am Tattag?
Der psychiatrische Gutachter im Hauptverfahren aber sah bei dem 20-Jährigen vor und nach der Tat sowie anhand der Zeugenangaben keine Anzeichen von psychischer Auffälligkeit. Demnach war dieser schuldfähig – und aus dem Sicherungs- wurde ein Strafverfahren. Die Verteidigung argumentierte dennoch, bei ihrem Mandanten könnte "eine akute vorübergehende psychotische Störung" vorgelegen haben, etwa wegen schulischen und persönlichen Versagens vor der Familie oder der kurz davor erfolgten Trennung seiner Freundin. In diesem Fall hätte der Angeklagte schuldlos gehandelt – und müsse freigesprochen sowie für die erlittene Untersuchungshaft entschädigt werden. Falls die Kammer zu einem anderen Urteil gelange, solle maximal eine Bewährungsstrafe mit Auflagen verhängt und der Haftbefehl aufgehoben werden.
Allenfalls eine gefährliche Körperverletzung sah die Verteidigung als verwirklicht an, keinen Mordversuch. Auch das Gericht sah das so, es kam aber zu keiner Bewährungsstrafe. Schädliche Neigungen und die Schwere der Schuld des Angeklagten erforderten mehr als nur Zuchtmittel. Dreieinhalb Jahre Haft seien erforderlich, der Haftbefehl bleibt in Kraft. Gegen das Urteil ist Revision möglich.