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Schweinfurt
Urban Priol im Land des tilten Flippers
Urban Priol zog ein amüsantes, aber letztlich doch düsteres Fazit über 2019. Warum der Aschaffenburger Kabarettist sich an seinem Geburtstag besonders freute.
Düster, amüsant, vielschichtig. Urban Priol zog im ausverkauften Stadttheater seine Bilanz des Jahres 2019.
Foto: Martina Müller | Düster, amüsant, vielschichtig. Urban Priol zog im ausverkauften Stadttheater seine Bilanz des Jahres 2019.
Josef Schäfer
 |  aktualisiert: 30.01.2020 02:10 Uhr

Mit dem Begriff Tilt (zu Deutsch: neigen, kippen) kann jeder etwas anfangen, der in den 1970-er Jahren aufgewachsen ist: Ruckelt man an einem Flipperautomat zu heftig, um die Kugel in die richtige Position zu bugsieren, schaltet sich der Strom ab und das Gerät verharrt in abgedunkelter Schockstarre, bis das runde Objekt der Begierde in der Auslaufkammer verschwunden ist. Insofern ist es stimmig, dass Kabarettist Urban Priol seinen satirischen Jahresrückblick Tilt genannt hat: Quasi die Analyse einer Gesellschaft, die immer heftiger ruckelt und zuckt, und einer Politik, die in ihrer Starre keine Antworten findet. 750 Gäste im Theater der Stadt Schweinfurt blickten mit zurück ins Jahr 2019.

Achterbahn der Wirrungen

Priol schob eine rassige Achterbahn an durch die Wirrungen des politischen und gesellschaftlichen Lebens im Land. Von Volksparteien, denen ihr eigener Niedergang entgeht, von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, den man gerichtlich bestätigt einen Faschisten nennen dürfe, von der SPD und deren Doppelspitzen-Bohei, von von der Leyens Aufstieg zur EU-Chefin als "größtes Schurkenstück" des Jahres, und natürlich vom Ibiza-Gate des Österreichers Heinz-Christian Strache, das ausgerechnet an Priols Geburtstag publik geworden ist. Letzteres zeige, dass ein Videobeweis hilfreich ist, Rechte vom Platz zu stellen.

Fast jeder der abgewatschten Figuren bekam einen Beinamen: Friedrich Merz, der Bierdeckelstratege. Söder, der Bienenretter. Kanzler Sebastian Kurz, die Schmalzlocke im Speck. Priol schien bemüht, wirklich jeden Protagonisten, jede Verwerfung, jede Widersprüchlichkeit aus 2019 in zweieinhalb Stunden zu pressen, weswegen das Programm gelegentlich gehetzt daherkam.

Düstere Zukunftsvision

Priol spielte mit erstaunlich viel Liedgut und wie immer mit viel Wortwitz und Parodie. Die inszenierte Stammtisch-Diskussion zum Klimaschutz, die in völlige Sinnlosigkeit und Absurdität abrutschte, hätte sich überall so oder so ähnlich abspielen können. Priols Zukunftsvision war in diesem Punkt eher düster: Der Klimaschutz werde an den geballten Einzelinteressen scheitern. Unter seinen Nummern mischten sich immer wieder ernst gemeinte Botschaften. Am meisten Applaus erhielt er für seinen Befund, kostenlose Zugtickets für uniformierte Bundeswehrsoldaten seien fehlinvestiert; sie stünden vielmehr Ehrenamtlichen, Pflegekräften und Bufdis vom Freiwilligendienst zu. Und insgesamt werde die Aggression in der Gesellschaft immer größer, ebenso wie deren Entsolidarisierung.

Priols Fazit: Mehltau hat sich in den lähmenden GroKo-Jahren übers Land gelegt. Und bei aller Klimadiskussion und Greta Thunbergs Wachmacher-Aktivitäten habe sich das vergangene Jahr als das gezeigt, in dem hierzulande noch nie so viele SUV-Autos zugelassen, die Deutschen noch nie so viele Urlaubsreisen unternommen und noch nie so viel Plastikmüll erzeugt haben. Insofern ist er sich in einem sicher: Das Jahr 2020 wird ebenso bescheuert wie 2019. Tilt.

 

 
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