Ob es das Wort Konversion im kasachischen Wortschatz überhaupt gibt, weiß ich nicht.
Dass es aber auch hier, mehr als 6000 Kilometer von Schweinfurt entfernt, Altlasten gibt, die von russischer Hand an den Staat Kasachstan gingen, das ist gewiss.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde auch Kasachstan 1991 ein eigenständiges Land. Deshalb musste auch das russische Militär seine Stützpunkte auf kasachischem Gebiet aufgeben und viele Menschen, die aus Russland in diesen Teil der ehemaligen Sowjetunion umgesiedelt waren und hier Arbeit gefunden hatten, verließen das Land wieder.
Am Balkash-See gab es einen großen Militärstützpunkt: Ploschatka 38. Eine Halbinsel, fast 100 Quadratkilometer groß, am Seeufer war mit einem Flughafen, Radaranlagen, einem Paradeplatz und einer Wohnsiedlung für das Personal und deren Familien ausgebaut worden. Eine ganz eigene Stadt mit Wohnblocks, Offizierswohnungen, einer Banja, einem Restaurant und allem, was eine Stadt so braucht, war entstanden. Es gab einen Strand am Seeufer und Restaurants außerhalb, es wurden Zufahrtsstraßen gebaut und Gasrohre verlegt, die die Häuser versorgten.
Nun ist alles verlassen. Die Zufahrtsstraße, seit mehr als 20 Jahren ungepflegt, ist übersät mit Schlaglöchern, die Natur holt sich den Wegrand zurück, Unkraut wuchert übers Bankett bis auf die Reste des Asphalts.
Die Stadt ist eine Geisterstadt, die Wohnblocks ragen als Betonskelette in den blauen Sommerhimmel, die Fenster sind ausgebaut, Glas und Fensterrahmen wurden fortgebracht. Irgendwo quietscht ein Scharnier, sonst herrscht hier unheimliche Stille. Die Straßen wurden aufgerissen, die Abwasserrohre und die Gasrohre wurden entfernt. Viele Gebäude sind halbzerstört, die Dächer abgedeckt, manche Wände schon eingefallen. Betonteile liegen herum, man kann die Fliesen der Wandverkleidung sehen, die Erde sieht schwarz aus, als habe es hier gebrannt.
Etwa einen Kilometer weiter liegt das militärische Gelände in der Steppe. Hier gibt es eine Stacheldrahtumzäunung, alt, ebenfalls verrostet, aber sie umgibt das ehemalige Militärgebiet und auch zwei Wachposten finden wir hier. Bereitwillig zeigen sie uns die Überreste der sowjetischen Anlage: Ein Radargerät, aus 1500 Tonnen Stahl errichtet, liegt am Boden, Hallen, in denen einst militärisches Gerät untergebracht war, verrotten vor sich hin, eine astronomische Anlage trotzt dem Verfall.
Nördlich der Kentberge, am Rande eines wunderschönen Naturschutz- und Erholungsgebietes liegt der Ort Karaghayli. Die Berge ringsum sind reich an Erzen und Edelmetallen wie Gold und Kupfer. Ein Bergwerk entstand und zahlreiche Arbeiter wurden gebraucht.
„17 000 Menschen lebten hier“, erzählt uns ein Einwohner, „Mit der Ablösung von der Sowjetunion wurde das Bergwerk stillgelegt und die Arbeiter wurden nicht mehr gebraucht. Weil die meisten hier lebenden Menschen ihre Heimat in Russland hatten, verließen sie die Stadt. Heute sind gerade mal 6000 Bewohner übrig.“
Auch hier sind Wohnblocks sowjetischer Bauart zu finden, die demontiert in den Himmel ragen. Auch hier wurden die Fenster mit Gläsern und Rahmen ausgebaut und wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, die Häuser seien nie fertiggestellt worden. Mitten im Dorf, umgeben von einfachen Bauernhäusern und Arbeiterbaracken stehen die Betonklötze im Gelände. Gras wuchert hoch, Unkraut dazwischen, Disteln und Gesträuch machen sich breit. Nur Kühe weiden auf dem Gelände, suchen Schatten in den ehemaligen Hauseingängen, ziehen sich manchmal in die ehemaligen Erdgeschosswohnungen zurück. Gespenstisch wirkt die Stille auch hier, die meisten Einwohner meiden das Gelände.
Der gesamte Wohnkomplex wurde demontiert, alles Verwertbare entfernt, Kanaldeckel fehlen, die Betontreppen bröseln vor sich hin, die Vordächer halten dem Druck nicht mehr Stand und brechen herunter, das Gelände ist alles andere als sicher und doch nicht abgesperrt, ein gefährlicher Ort.
Vor sieben Jahren fand sich ein privater Investor für das Bergwerk, das vor den Toren des Dorfes liegt. Es wurde wieder in Betrieb genommen, aber in sehr viel kleinerem Umfang als früher. Am Rande der Siedlung sehen wir vereinzelt mit Pappe und Blech verrammelte Fensteröffnungen, notdürftig angebrachte Türen und Schlösser. „Manchmal ziehen hier Wanderarbeiter ein, die im Bergwerk Arbeit finden. Sie wohnen dann ohne Gas- und Wasserversorgung in den leer stehenden Wohnungen“, erzählt der Dorfbewohner. Die Einheimischen ignorieren die leer stehenden Häuser und die Wanderarbeiter so gut es geht.
Wie wird die Konversion in Schweinfurt gelingen? Das fragen wir uns, als wir zwischen den Häuserruinen stehen. Gut, dass die Stadt Schweinfurt sich schon seit einiger Zeit Gedanken darüber machen kann, wie das Gelände und die Gebäude weiter genutzt werden können und der Abzug der amerikanischen Truppen nicht so überraschend kommt, wie hier in Kasachstan, wo die kleinen Orte angesichts der geschichtlichen Umwälzungen überfordert waren und die Gemeindekassen es wohl auch heute noch sind.