Erst Paris. Jetzt Marrakesch. Für die unterfränkische Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber (CSU), langjährige Streiterin im Kampf gegen den Klimawandel, so sagt sie, fühlt sich das Mitmischendürfen im weltweiten Kampf gegen den Klimawandel noch immer unglaublich an. Unglaublich und gut.
Die Schweinfurter Juristin ist bei der 22. UN-Klimakonferenz in der marokkanischen Metropole Marrakesch vor Ort, wo 200 Staaten aus aller Welt noch bis zum Wochenende gemeinsam an der zügigen Umsetzung des im Dezember 2015 in Paris beschlossenen rechtsverbindlichen Weltklimavertrags arbeiten.
Ein knappes Jahr nur hat es gebraucht, bis das Abkommen in Kraft getreten ist. „Das ist sensationell“, sagt Weisgerber im Gespräch mit dieser Redaktion. „Normalerweise dauert so etwas zehn Jahre oder mehr.“ Die Politikerin ist mit der deutschen Delegation um Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) unterwegs, begleitet die Ministerin sowie Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bei Besprechungen und Vorträgen.
Triumphaler Auftritt für Weisgerber
Anders als in Berlin läuft hier beim Thema Klimaschutz die Zusammenarbeit der Großkoalitionäre offenbar reibungslos. Weisgerber zeichnet geradezu einen triumphalen Auftritt: „Wir werden in Marrakesch gelobt und gefeiert für unsere Vorreiterrolle im Klimaschutz.“ Natürlich würde das von den europäischen Nachbarländern auch mal als Vorpreschen kritisiert. „Aber entscheidend ist doch, dass dieses Vorpreschen Druck ausgelöst hat und jetzt alle mitziehen.“
Erst in dieser Woche hat das Bundeskabinett den Klimaschutzplan beschlossen, der den Weg in ein weitgehend treibhausgasneutrales Deutschland bis zum Jahr 2050 aufzeigt. Zuvor hatte es um die Umsetzung einen Regierungsstreit gegeben, nachdem Hendricks die Kanzlerin zu einem Machtwort aufgefordert hatte, weil sie Widerstände in der Union für die Hängepartie verantwortlich gemacht hatte. Angela Merkel hatte ihre Ministerin zurückgewiesen. Anfang der Woche gab es dann doch den entscheidenden Durchbruch. „Schwamm drüber“, sagt Anja Weisgerber zu den Streitigkeiten. Sie verteidigt die Differenzen als politische Willensbildung: „Es braucht auch dieses Ringen unter den Ressortchefs, um die Pläne auf Dauer erfolgreich durchzusetzen.
“ Dennoch, räumt sie ein, „war ich sehr erleichtert, als die SMS von Kanzleramtschef Peter Altmaier kam, dass alle zugestimmt haben“.
Fürsprecherin für die Entwicklungsländer
„Mit dem Klimaschutzplan können wir uns sehen lassen“, sagt Hendricks. Für das Jahr 2030 bekräftigt er das Gesamtziel einer Treibhausgasminderung von mindestens 55 Prozent gegenüber 1990. Enthalten sind auch Ziele für einzelne Sektoren, beispielsweise gehört zum Plan, einen „klimaneutralen Gebäudebestand“ hinzubekommen. Das soll über Neubaustandards, langfristige Sanierungsstrategien und die schrittweise Abkehr von fossilen Heizungssystemen geschen. Schon hat die deutsche Immobilienwirtschaft ihre Zusammenarbeit mit der Bundesregierung im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen auf Eis gelegt, weil sie aufgrund der „Mehrbelastung für den Gebäudesektor“ vorerst keine Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sieht.
Aber Marokko ist weit. Weisgerber, die viele Jahre Sprecherin der CSU für Umwelt im Europäischen Parlament war, ist in diesen Tagen in Nordafrika in den europäischen Delegationen ein gern gesehener Gast, wie sie berichtet. Sie sieht sich als Kontaktbrücke vor Ort zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten, aber auch als Fürsprecherin für die Entwicklungsländer, die Unterstützung benötigen. Nicht nur finanziell, auch beim Know-how in der Umsetzung. Deutschland hilft ärmeren Ländern dabei, Strategien zu entwickeln, um ihre Klimaziele durch entsprechende Maßnahmen zu erreichen. Dabei sind die sogenannten NCD-Partnerschaften ein Leuchtturmprojekt. So jedenfalls formulierte es Bundesumweltministerin Hendricks beim offiziellen Startschuss für die gemeinsame Initiative von Entwicklungs- und Umweltministerium in Marrakesch. Initiativen gründen, Details ausarbeiten, die Finanzierung sicherstellen, private Mittel mobilisieren. Genau darum geht es bei dieser Weltklimakonferenz.
Sicherer Klimaschutzplan ist nötig
Die Welt braucht für ihren Klimaschutz einen Fahrplan. Einen sicheren Fahrplan. Einen, auf den man sich verlassen kann. Forderungen und Ziele müssen entsprechend formuliert und konkrete Vereinbarungen sowie Sanktionen bei Nichtbeachtung des Vertrags ausgehandelt werden. „Wir schauen hier dabei alle noch einmal auf die entsprechenden Papiere, denn viele Augen sehen einfach mehr und es werden keine Details übersehen“, so Weisgerber. Das ist in der Regel harte Arbeit. Doch auch die zähesten Verhandlungen sind in Marrakesch getragen von einem ganz großen Wir-Gefühl.
„Dieser gemeinsame, riesige Erfolg von Paris beflügelt immer noch alle Vertreter der Staaten hier“, sagt Anja Weisgerber und auf die Frage, ob der kommende US-Präsident Donald Trump entscheidende Pläne zunichtemachen könnte, antwortet sie mit einem klaren „Nein“.
„Hier ist diesbezüglich eine ganz starke Jetzt-erst-recht-Stimmung zu spüren.“ Dass der völkerrechtliche Vertrag von Paris so schnell und damit vor der US-Wahl ratifiziert wurde, eben auch von den USA und China, erweise sich nun als großes Glück. „Paris und Marrakesch sind das Spannendste in meinem bisherigen politischen Leben“, sagt Weisgerber. Eine persönliche Belohnung. Das Einatmen von Atmosphäre, das unmittelbare Dabeisein an weltweit wichtigen Entscheidungsprozessen, das könne glücklich, geradezu euphorisch machen. Weisgerber sieht Deutschland als gefeierten Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Andere sehen das anders. Im Vergleich zu anderen Ländern sei Deutschland beim Klimaschutz weiter abgerutscht, so die Umweltorganisation Germanwatch – hinter Länder wie Indien, Indonesien oder Ägypten. Negativ schlägt vor allem zu Buche, dass Deutschland weiter keinen Plan für den Ausstieg aus der Braunkohle hat. Der beschlossene Klimaschutzplan wird in der Analyse allerdings noch nicht berücksichtigt.
„Die Ziele müssen erreichbar sein.“
Es scheint jedoch, als verblasse nationale Kritik, Streit, Uneinigkeit zwischen den betroffenen Ressorts Umwelt, Entwicklungshilfe, Wirtsschaft, Verkehr und Landwirtschaft gerade ein wenig in dieser globalen Aufbruchstimmung unter der Sonne Marokkos. Das erbitterte Ringen, der Kampf um die ressorteigenen Interessen, wird aber weitergehen. „Deshalb ist es ja so wichtig, alle auf unserem Weg zu diesem ambitionierten Klimaziel von 40 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2020 mitzunehmen.“
Weisgerber zeigt sich realistisch. „Die Ziele müssen erreichbar sein. Bei allen Maßnahmen müssen wir auch die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft, die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch auf die Arbeitsplätze beachten.“ Die Umsetzung von Klimaschutzzielen wird immer wieder national und international an Grenzen stoßen. Ohne Kompromisse ist er nicht zu haben. Dass er aber zu haben ist, das sei nach Paris und Marrakesch der Welt klar geworden.