Der Plot der Oper "Tosca" von Giacomo Puccini ist nichts für zart besaitete Seelen. Im Theater Gemeindehaus zeigte die Compagnia Nuova vor überschaubarem Publikum nun eine etwas veränderte, dennoch nicht weniger brutale Lesart dieses ursprünglich im Jahr 1800 verorteten Dramas.
Die Sängerin Tosca liebt den Kirchenmaler Cavaradossi. Dieser verhilft Toscas Bruder, dem politischen Flüchtling Angelotti, zu einem Versteck. Der brutale Polizeichef Scarpia jagt ihn und begehrt Tosca. Cavaradossi wird festgenommen, seine Folterqualen muss Tosca mit anhören und verrät Angelottis Versteck. Scarpia verspricht ihr Cavaradossis Leben gegen eine Liebesnacht. Zum Schein geht Tosca darauf ein, ersticht jedoch Scarpia – nach Angelotti, der sich inzwischen das Leben genommen hat, der zweite Tote. Nummer drei wird der als Gefangener hingerichtete Cavaradossi, als Nummer vier begeht Tosca Selbstmord.
Durchweg hochklassige Besetzung
Die Compagnia Nuova versetzt unter der Regie von Silvia Aurea De Stefano das Geschehen in die multimedial geprägte Welt eines brutalen Überwachungsstaates. Das muss nicht jedem gefallen und löste auch einige irritierte Gesichter im Publikum aus, ist aber durchaus nachvollziehbar und stimmig. Über dem Geschehen schwebt ein riesiges leuchtendes Auge, als Kerzen schaffen Lichtstäbe die Andeutung des Kirchenraums, in dem sich Cavaradossis Madonnenbild als Videoprojektion in Zeitlupe bewegt. Scarpia sitzt in seinem Überwachungsraum vor überdimensionalen Bildschirmen, alles ist verkabelt, selbst die Polizeischergen in ihren weißen Anzügen mit Barcode auf der Rückseite hantieren mit Laptop und Smartphone.
Das internationale Ensemble war mit Britta Glaser als Tosca, Michael Ha als Cavaradossi, Alejandro Lárraga Schleske als Scarpia, Israel Martins als Angelotti und Polizeiagent sowie Jeeyoung Lim als Kirchendiener, Gefängniswärter und Gendarm, durchwegs hochklassig besetzt. Stimmlich und darstellerisch "gaben sie echt alles", wie ein Besucher resümierte. Vielleicht hätte man ein paar leisere Facetten mehr herausarbeiten können, doch an Dramatik und Emotion war die Leistung kaum zu überbieten.
Chöre sind wegen der Ferien ausgefallen
Glasers tragische Arie "Vissi d’arte", in der sie über ihr zugrunde gerichtetes Leben nachsinnt, erhielt durch die Positionierung neben einem an Ketten aufgehängten Schweinekopf groteske Züge. Lárraga Schleske wirkte als Sado-Maso-Lüstling, der sich an Toscas Unterwäsche-Videos ergötzt, das seidene Morgenmäntelchen ablegt, mit seiner ordentlich behaarten Männerbrust protzt und Tosca begrapscht, sehr authentisch. Michael Has schmerzerfüllte Arie "E lucevan le stelle" umschloss wie eine kalte Hand die Herzen des Publikums.
Andrés Juncos am Klavier agierte als musikalischer Leiter virtuos, mitunter leicht großzügig und wenig differenziert. Nicht erzeugen konnte er natürlich die orchestralen Farben, was ein wenig Stummfilmatmosphäre ins Live-Geschehen einfließen ließ und an einigen Stellen banal wirkte ("Come è lunga l’attesa!"). Ausgefallen aufgrund der Pfingstferien: die Mitwirkung der Schweinfurter Chöre. Dafür gab es, passend zum Konzept, elektronisch überhöhte, verzerrte Zuspielungen.
Immer und überall überwacht und betrogen
Am Ende erlebt Tosca ein zweifaches Drama. Zum einen ist da der Verlust des Geliebten, zum anderen ihr eigener Tod: Die Compagnia Nuova lässt Tosca nicht einfach über die Brüstung der Engelsburg hinab in den Tod springen. Als Finalkunstgriff gibt es ein Selfie-Video: Man blickt der innerlich vernichteten Frau ins Gesicht, während sie – über endlos elektronisch verlängertem Schlussakkord – durch Räume, Gänge und ins Freie hetzt, schließlich ins Nichts stürzt, getrieben von der Erkenntnis, immer und überall medial überwacht und menschlich betrogen worden zu sein. Packend, beklemmend, verstörend.