„Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht.“ Dr. Rosemarie Klingele zuckt mit den Schultern, als Besucher ihres Vortragsabends im Haus der Begegnung nach der Zukunft ihrer ehrenamtlichen Ambulanz in den Conn Barracks fragen, wenn dorthin im nächsten Jahr das Ankerzentrum umgesiedelt wird. „So wie die Ambulanz jetzt besteht, kann sie nicht weitergeführt werden“, weiß die 80-jährige Ärztin. Denn alle Gebäude müssen geräumt werden. Aktuell befindet sich in den Conn Barracks eine Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von Unterfranken, in der etwa 800 Flüchtlinge leben. Für diese Menschen bietet Dr. Rosemarie Klingele seit 2015 zweimal in der Woche eine Sprechstunde an. Sie stellt Kontakte zu Apotheken, Haus- und Fachärzten sowie im Bedarfsfall zu den Krankenhäusern her.
Etwa 30 Patienten suchen die Ehrenamtspraxis an den Sprechtagen auf. Behandeln muss die 80-jährige Ärztin mitunter aber doppelt so viele. Denn oftmals kommen die Patienten mit einer Vertrauensperson zum Dolmetschen, „und dann untersuche ich die halt auch gleich mit“, erzählt Dr. Klingele schmunzelnd.
„Die Gelder aus der Entwicklungshilfe fließen vielfach in die falschen Kanäle“
Auf Einladung von Norbert Eusemann von der Asylhilfe referierte die 80-jährige Ärztin vor einem kleinen Kreis interessierter Zuhörer im Haus der Begegnung über ihre Arbeit in den Conn Barracks und über die Fluchtursachen von Menschen aus Afrika oder den arabischen Ländern. Dort kennt sich die Medizinerin sehr gut aus, hat sie sich doch gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann Dr. Herbert Klingele über viele Jahre für die Entwicklungshilfe vor allem in Afrika engagiert.
„Die Gelder aus der Entwicklungshilfe fließen vielfach in die falschen Kanäle“, sagt Klingele mit Verweis auf korrupte Regierungen. Krieg, Gewalt, Verfolgung, Diskriminierung, Armut und Perspektivlosigkeit – fast immer hängen diese Fluchtursachen mit der zunehmenden globalen Ungleichheit zwischen reich und arm zusammen. Viele Patienten habe sie in den Conn Barracks gesehen, deren Körper von Narben gezeichnet seien. „Das sind mutige Leute, die gegen das Unrechtsregime aufgestanden sind.“ Ihren Mut hätten sie mit Haft und Folter gebüßt. Und Rosemarie Klingele formuliert den eindringlichen Appell, alle Menschen zu achten, egal aus welchen Ländern dieser Erde sie kommen.
„Ich habe mir alles mühsam zusammengebettelt“
Mit ihrer ehrenamtlichen Ambulanz in den Conn Barracks gibt die 80-Jährige ein bewundernswertes Beispiel. Als sie 2015 die ambulante Arztpraxis eröffnete, musste sie bei Null anfangen. „Ich habe mir alles mühsam zusammengebettelt.“ Tische, Stühle, Behandlungsliege, medizinische Basisausstattung – nichts war vorhanden. „Und von der Regierung von Unterfranken habe ich bis zum heutigen Tag keine Unterstützung erhalten“, ist Klingele enttäuscht. Ebenso von vielen niedergelassenen Kollegen. Erst nach langem Suchen habe sie eine Praxis gefunden, die medizinische Mithilfe anbietet.
Dass ein hoher Bedarf an medizinischer Betreuung bei den Flüchtlingen in der Gemeinschaftsunterkunft besteht, zeigt der Andrang bei den Sprechstunden. „Die Hälfte der Patienten ist psychisch gestresst und projiziert das ins Organische“, sagt Klingele. Dankbar ist sie deshalb, diese Menschen in die Obhut der Ambulanz für seelische Gesundheit geben zu können, die auch zweimal in der Woche vor Ort ist. Dankbar ist die 80-jährige Ärztin auch, dass sie in ihrem hohen Alter noch so aktiv sein kann. Und sie verspricht: „Solange es geht, werde ich weiterkämpfen für die Vergessenen, Vernachlässigten und Verzweifelten.“