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GRAFENRHEINFELD
„Und wir spielen weiter“
KKG-Abschaltung: Seit 20 Jahren gibt es am Kernkraftwerk Grafenrheinfeld eine Werkskapelle. Auch wenn die Anlage demnächst abgeschaltet wird, Passion und Freude am gemeinsamen Musizieren lassen sich die Musikanten nicht nehmen.
Die Werkskapelle unter ihrem musikalischen Leiter Thomas Fürst (rechts) wird weiterspielen, auch wenn das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld bald abgeschaltet wird.
Foto: D. Schneider
| Die Werkskapelle unter ihrem musikalischen Leiter Thomas Fürst (rechts) wird weiterspielen, auch wenn das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld bald abgeschaltet wird. Foto: D. Schneider
Von unserer Mitarbeiterin Daniela Schneider
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:14 Uhr

Mit der Schiffskapelle auf der Titanic wurde sie schon verglichen, die E.ON-Werkskapelle mit ihrem musikalischen Leiter Thomas Fürst. Ganz so dramatisch wird es nicht werden, denn auch wenn in Kürze das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (KKG) abgeschaltet wird, wird die Kapelle weiterspielen. „Wir werden uns den veränderten Begebenheiten anpassen“, betont Dirigent Thomas Fürst.

Ein bisschen Trotz schwingt mit, wenn Fürst im Pressegespräch über die weitere Zukunft der vor 20 Jahren gegründeten Werkskapelle berichtet: „Und wir spielen weiter.“ Auch wenn es die Kühlturmschwaden aus der umgedichteten Polka „Kraftwerk mit Herz“ so nicht mehr geben wird. Passion und Freude am gemeinsamen Musizieren lassen sich eben nicht einfach so abschalten.

Und einen Seitenhieb in Richtung Atomkraftgegner kann sich Fürst auch nicht verkneifen. Die Mitarbeiter hätten zwar mit dem Kapitel „Stromerzeugung“ abgeschlossen und würden nun der neuen Phase des Nachbetriebs entgegenschauen, sie seien aber doch sehr verletzt, was da rund um die Abschaltung des KKG geschieht. „Da wird auf dem Schweinfurter Marktplatz ein Abschaltfest gefeiert und keiner denkt darüber nach, dass viele Menschen auch einen prägenden Teil ihres Lebens mit der Abschaltung hinter sich lassen, vielleicht sogar den Job in Grafenrheinfeld aufgeben müssen.“ Das sei, als würde man einen Freudentanz aufführen, wenn in der Großindustrie eine Abteilung dicht gemacht. „Und das tut ja wohl keiner.“

Erst kürzlich hat die musikalische Formation ihr 20-jähriges Bestehen mit einem umjubelten Benefizkonzert in der rappelvollen Kulturhalle gefeiert. Der große Erfolg hat die Idee für ein jährliches Konzert bereitet.

Entstanden ist die Werkskapelle 1995 auf Initiative des einstigen Werkleiters Erich K. Steiner. Er hatte die Idee, die alljährliche Weihnachtsfeier – damals noch im KKG-Casino – mit Bläserklängen zu versüßen und stieß bei Herbert Göb, einem späteren Dirigenten, gleich auf offene Ohren. Die Musiker waren schnell gefunden und der erste Auftritt gleich ein durchschlagender Erfolg.

Da das Ganze als Überraschung geplant war, hatten sich die Proben äußerst schwierig gestaltet auf einem Gelände, das permanent überwacht wird. Die Wachmänner hätten sich schon sehr über die für ein Kraftwerk untypischen Töne gewundert, die immer dann erklangen, wenn in einer Lagerhalle heimlich geprobt wurde, erzählt Fürst.

Die Überraschung gelang, die Werkskapelle war geboren und fand erst in Steiner und später dann im neuen Werksleiter Reinhold Scheuring engagierte Gönner und Förderer, die viel Wert auf eine positive Außenwirkung legten. Einheitliche Uniformen wurden angeschafft, und schnell etablierten sich neben dem jährlichen Auftritt bei der Weihnachtsfeier weitere klangliche Traditionen. Die Kernkraftwerkskapelle wurde ein gern gesehener Akteur auf der Bühne im Grafenrheinfelder Kirchweihzelt, begleitete den Erntedankfestzug, trat bei der gemeindlichen Seniorenweihnachtsfeier auf und spielte bei dörflichen Vereinsfesten. Doch nie, so Fürst, sei man als Konkurrenz aufgetreten, sondern immer als Alternative und Bereicherung eine positive Beziehung zur Gemeinde und ihren Vereinen gepflegt.

Mittlerweile ist auch eine musikalische Partnerschaft mit der Werkskapelle in Gundremmingen entstanden. Getreu dem Motto „Wir Kernis halten zusammen“ wurden freundschaftliche Kontakte geknüpft und gegenseitige Besuche organisiert.

Drei Dirigenten führten die Kapelle in den vergangenen 20 Jahren: Erst war es Michael Wüchner, dann Herbert Göb, und nun ist es seit 2012 Thomas Fürst, Techniker und begeisterter Musiker, der mit viel Herzblut die Werkskapelle auf neue klangliche Wege führt.

Natürlich ist eine Werkskapelle auch immer Fluktuationen unterworfen, und die Wahrscheinlichkeit, dass man genau den Musiker in der Belegschaft findet, der das Instrument spielt, das man gerade braucht, liegt bei 1:1528. Das hat Fürst mal ausgerechnet. Und so greift er auch gerne auf Mitarbeiteranhang zurück, besonders treue und engagierte Stützen sind dabei die Werksrentner. Das Ensemble ist mittlerweile „sehr gut besetzt“ und das Ersatzspektrum groß. In den Wintermonaten steigt die Probenintensität, dafür gönnt man sich eine lange Sommerpause.

„Wir spielen weiter, solange wir da sind“, verspricht der Dirigent und zitiert abschließend eine Passage aus der von ihm gedichteten Kraftwerks-Hymne: „. . . die Kollegen tun ihren Dienst . . . und wir hoffen, dass es lang so ist.“

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