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SCHWEINFURT
Über Narren, die Kopf und Kragen riskierten
Hans Driesel bei seinem starken Narrenauftritt im Kolpinghaus.
Foto: Hannes Helferich | Hans Driesel bei seinem starken Narrenauftritt im Kolpinghaus.
Hannes Helferich
Hannes Helferich
 |  aktualisiert: 27.11.2017 03:10 Uhr

Der Saal im Kolpinghaus ist gut gefüllt, ein Heimspiel für Hans Driesel, der – gerade hat die „Fünfte Jahreszeit“ begonnen – unter dem Motto „Perlen, aber nicht vor die Säue" aus dem karnevalistischen Nähkästchen plaudert. Neben Betrachtungen zu amüsanten Texten aus 500 Jahren Narren- und Moralsatire widmet sich der langjährige Schwarze Elf-Aktivist besonders der politisch-literarischen Fastnacht.

Der Bühnenprofi Driesel braucht keine Anlaufzeit

Driesel braucht keine Anlaufzeit, sofort mittendrin, streut – natürlich frei – pausenlos Verse ein, nennt allbekannte Namen, schont sich selbst nicht. „Die Narrenkappe ist mir 1996 operativ entfernt worden“, erinnert er an das Ende seiner Zeit bei der Schwarzen Elf.

Die politische Fastnacht beginnt im spätmittelalterlichen Nürnberg mit dem Schembartlaufen, das der Magistrat einer Handwerkerzunft für politisches Wohlverhalten verliehen hatte. Schembart heißt „bärtige Maske“, erklärt Driesel. Dieses Privileg wandte sich gegen die Obrigkeit, als die Fastnachter den Umzug dazu nutzten, Kritik an ihr zu üben. So erschien 1523 ein Läufer in einem Ablassbrief-Kostüm. 1539 hatten die Schembartläufer den protestantischen Prediger Osiander auf einem Schiffskarren in Gesellschaft von Teufeln inszeniert. Daraufhin wurde der Umzug verboten.

Driesel sagt an dieser Stelle, dass sich die Zuhörer nicht sorgen müssten, irgendwann kämen sie schon nach Hause. Im Publikum macht er „Reinhilde“ aus, die der Bühnenprofi auffordert, ihm die „Rote Karte zu zeigen, wenn es zu lang wir“. Lautes Gelächter und Driesel hält Wort: Er überspringt 300 Jahre Narrengeschichte, macht „erst“ 1823 mit dem vom Kölner Bildungsbürgertum gegründeten Komitee Kölner Karneval.

Im 19. Jahrhundert ist die Zensur ein Dauerthema

Der Demokrat und Vormärz-Aktivist Franz Raveaux gründet eine „Gegengesellschaft“ für „normale“ Bürger, Raveaux gilt als Begründer des politischen Karneval. Er wechselt später von der Bütt ins Paulskirchenparlament, schreibt bis zu seinem Tod subversive Karnevalslieder.

Im 19. Jahrhundert ist die Zensur Dauerthema in der Bütt. „Ängstlich fragt das Fragezeichen - wird mich nicht der Zensor streichen – und ein gleiches still bei sich – dachte der Gedankenstrich …“.

Bevor es mit der schlimmen Zeit unter den Nazis weitergeht, streut Driesel „zur Auflockerung ein kleines Rätsel“ ein. Die Zuhörer erfahren, dass das gefährlichste Möbelstück „Die lange Bank“, das gefährlichste Musikinstrument „Die alte Leier“ ist.

Dann die Nazis, denen die politische Fastnacht natürlich suspekt war, wie übrigens später auch den Machthabern in der DDR. Driesel berichtet von mutigen Männern. Etwa dem Mainzer Seppl Glücker, der schon 1934 das Wort Dachau in den Mund nahm: „… einszweidrei im Keller schwitzte, einszweidrei in Dachau sitzt de“. Oder Martin Mundo, auch er aus Mainz, sagte in seinem Heringsvortrag: „… von Politik versteht er nix (der Hering) - kommt statt nach Dachau in die Büchs.“

Politische Voträge sorgen auch in Zeiten der Demokratie für Aufregung

Dass auch in Zeiten der Demokratie ein politischer Vortrag für Aufregung sorgen kann, zeigte Driesel am Beispiel des „Bonner Nachtgebets“ von 1974. Der legendäre Rolf Braun hatte im Verlauf der TV-Sitzung „Mainz bleibt Mainz“ den Lieben Gott zum Thema Franz Josef Strauß gebeten: „Lass ihn noch viele Feste feiern,/aber lass‘ ihn auch in Bayern“.

Jubel im Publikum, Aufregung in der CSU-Zentrale, bundesweit Debatten über Wahlhilfe aus der Bütt.

Auch lokal gab es unvergessene Größen. Driesel hat – natürlich – Walter Zänglein ausgewählt. Schon zu Zeiten, als die NPD noch ein kleines Häufchen war, hatte die Schwarze-Elf-Legende vor der braunen Dämmerung gewarnt: „Heut sieht man an allen Ecken/, schon wieder rostig-braune Flecken/, die schon einmal, nicht zu vergessen/, weite Strecken ganz zerfressen/, und radikal vernichtet haben – /Sehr schwer, die wieder abzuschaben.“ Verse eines Fastnachters vor 40 Jahren, „leider sollte er recht behalten“, sagt Driesel.

Driesel sorgt wenig später dafür, das wieder gelacht wird – mit Zänglein. Er zitiert aus dessen Betrachtungen zu einem Mallorca-Urlaub. Selbst diese Witznummer kam ohne (alte) Witze aus und wäre noch heute aktuell. Zänglein hatte den Massentourismus persifliert und Ferienzentren thematisiert, die am Tourismus erstickten. „Auch mit guten Witzvorträgen kann man die Finger in die Wunden der Zeit legen“, ist sein Fazit.

Auch Rote fühlen sich den Schwarzen wohl

Driesel erinnert, dass Alt-OB Schorsch Wichtermann, obwohl ein Roter, keinen der Schwarze Elf-Auftritte versäumte, diese genoss. Sein roter Nachfolger Kurt Petzold war nicht von Anfang an Fan, aber er wurde es. Driesel erinnert an den letzten Auftritt Petzolds, als er sich von der Bühne herab bedankte, immer fair behandelt worden zu sein. Driesel sagt, dass man Politiker durch den Kakao ziehen können müsse, aber fair.

Am Ende kurzweiliger zwei Stunden sagt Driesel, dass „gute, selbstgeschneiderte politische Vorträge selten geworden sind“. Leider fänden sich in den Programmen vieler Gesellschaften mehr und mehr Profis, meist Comedians, die man ganzjährig im Fernsehen oder im Sportheim um die Ecke erleben könne. Hintergründige Satire, die man genießen kann, die einen auch zum Nachdenken zwingt, sei das oft nicht.

 
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