
Wenn zwei Menschen einander suchen, aber noch nichts ahnen, dass sie füreinander bestimmt sind, dann beschnuppern sie sich erst einmal vorsichtig. Beide sind unsicher – bis es so richtig funkt. So eine Verbindung kann dann sehr lange halten. Wenn zwei Gemeinden auf Brautschau sind, dann läuft das Kennenlernen meist ganz ähnlich ab. Und das Ergebnis kann ebenfalls sehr beständig sein. Die Partnerschaft zwischen Dingolshausen und Equemauville in Frankreich ist hierfür ein gutes Beispiel.
Vor über 31 Jahren, im Mai 1990, ist der Bund zwischen beiden Gemeinden offiziell per Vertrag besiegelt worden. Doch die Bande über die gut 1000 Kilometer zwischen dem Steigerwald und dem Departement Calvados an der Küste des Ärmelkanals hinweg gehen noch etwas weiter zurück. Im März 1988 waren der damalige Bürgermeister von Equemauville, Raymond Mautin, und der spätere Patenschaftsbeauftragte, Jacques Lemonnier, erstmals nach Unterfranken gefahren. Sie wollten hier Kontakt zu einer potenziellen Partnergemeinde knüpfen.
Gegenbesuch in Frankreich folgt noch im selben Jahr
Ihre Mission hatte Erfolg. Noch im Oktober desselben Jahres fuhr eine Delegation aus Dingolshausen zum Gegenbesuch in die Normandie. Da hatte es bereits gefunkt, wie es die Dingolshäuserin Edeltraud Leibold als eine Teilnehmerin der Fahrt in ihren Erinnerungen festgehalten hat. Im Jahr darauf kam es zu gleich zwei weiteren Begegnungen: einmal in Deutschland, einmal in Frankreich.
Als damaliges Gemeindeoberhaupt hat Erwin Loos die frisch erwachte Liebe zwischen beiden Gemeinden und deren Einwohner seinerzeit hautnah miterlebt. Der heute 86-Jährige mischt sich in die aktuelle Arbeit des Partnerschaftskomitees "nicht mehr ein", wie er sagt. Doch freut er sich, dass alles funktioniert und es stets frische Ideen gibt. Loos erinnert sich noch an sein Bangen und an schlaflose Nächte vor und während der ersten Treffen beider Seiten, als noch völlig offen war, wie das Ganze endet.
Er hielt eine Partnerschaft zwischen einer deutschen und einer französischen Gemeinde gut vier Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs für alles andere als für selbstverständlich. Nicht, dass er seinerzeit deren Wert nicht erkannt hätte. Misstrauen abbauen und Freundschaft suchen und pflegen, gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund beider Länder, das hielt Bürgermeister Loos von Anfang an für immens wichtig. Doch er machte sich Gedanken darüber, was die Akzeptanz einer solchen Partnerschaft in der eigenen Bevölkerung angeht: Hätten die Dingolshäuser nicht Vorbehalte, dass ihre kleine Gemeinde sich zu weit in die große Politik hinauslehne und mit einer Partnerschaft nur einem Modetrend folgen würde?
Kommunikation klappt auch ohne Dolmetscher
Loos wurde schnell eines Besseren belehrt. Auch in seinen persönlichen Erfahrungen. Gleich das erste Aufeinandertreffen zwischen den Gesandten aus Equemauville und ihm war freundschaftlich geprägt. Hände wurden herzlich geschüttelt, Schultern geklopft. Ein hinzugekommener Dolmetscher war – trotz der sprachlichen Hürden – überflüssig, erinnert sich Loos. Franzosen und Deutsche verstanden sich auch deshalb so schnell, weil sie gleich erkannt hatten: Auf beiden Seiten sind Menschen, die die gleichen Ziele haben: Versöhnung, Freundschaft – und nie wieder Krieg gegeneinander. Darauf ließ sich leicht aufbauen.

Die folgenden, regelmäßigen Treffen in Equemauville und Dingolshausen bestätigten dies immer wieder neu, bis heute. Für Barbara Behr, die aktuelle Partnerschaftsbeauftragte in Dingolshausen, ist die Liaison mit Equemauville ein kleines, aber wichtiges Puzzleteil "für Frieden und Verständigung in Europa". Sie selbst kam vor rund 20 Jahren erstmals mit den "Freunden aus Frankreich" in Kontakt. Berührungsängste hatte sie keine, wie sie sagt. Sie war oft geschäftlich in Frankreich unterwegs.
Nach einem ersten Gemeinschaftsabend in Dingolshausen fuhr sie im folgenden Jahr mit nach Equemauville und traf dort auf sehr gastfreundliche Menschen. Und sie erlebte: "Auch wenn man die Sprache nicht oder nur wenig spricht: Mimik und Gestik sind einfach überwältigend." Die unzähligen Erlebnisse gemeinsam mit den Franzosen bedeuten ihr viel.
Verständnis für Kultur und Mentalität wächst
Die Familie von Marion Heger hatte bereits in den ersten Jahren der Partnerschaft im Rahmen eines Austausches Kontakt zu Jugendlichen aus Equemauville. Die jetzige Zweite Bürgermeisterin von Dingolshausen, die auch im Partnerschaftskomitee mitwirkt, meint: "Ich habe es von Anfang an sehr bewundert, wie offen die Menschen für diese Freundschaft waren und wie sie trotz der Sprachbarrieren Wege gefunden haben, sich zu verständigen und eine erlebnisreiche und wertvolle Zeit zu gestalten." Das Kennenlernen und das Verständnis für die Kultur und die Mentalität der europäischen Nachbarn "wuchs ganz nebenbei", so Heger.

So ist bis heute das Zwischenmenschliche der Kitt, der die Partnerschaft der beiden Gemeinden zusammenhält. Mit Herzlichkeit und Freundschaft, stimmt Altbürgermeister Loos zu, lassen sich alte Feindschaften überwinden. Er macht dies am Beispiel zweier früherer Wehrmachtssoldaten fest, die während des Kriegs als Besatzer in der Normandie stationiert waren – von den Menschen dort aber genauso freundschaftlich aufgenommen wurden wie der Rest der Delegation aus Dingolshausen.
Frühere Bürgermeister schreiben sich noch immer Briefe
Als im Frühjahr 1996 Erwin Loos' Zeit als Bürgermeister nach 30 Amtsjahren endete, ging einer seiner letzten Briefe mit dem offiziellen Briefkopf der Gemeinde an seinen Amtskollegen in Equemauville, Albert Mortagne. Obwohl die Gemeinde-Partnerschaft damals noch keine zehn Jahre alt war, stellte Loos bereits fest, was er auch heute noch genauso formulieren könnte: "Die Patenschaft zwischen unseren beiden Gemeinden hat uns Freundschaft und Versöhnung geschenkt. Sie hat uns erkennen lassen, wie wichtig es ist, mit der Idee einer Europäischen Gemeinschaft den Frieden zu erhalten." Briefe schreiben sich Loos und Mortagne bis heute regelmäßig.
Doch wie eine Beziehung zwischen zwei Menschen Pflege braucht, so gilt das auch für die Partnerschaft zwischen zwei Gemeinden – und vor allem für die Begegnung der Menschen. Insoweit hofft die Patenschaftsbeauftragte Behr sehr, dass es um Christi Himmelfahrt 2022 nach zwei Jahren Corona-Pause wieder einen Besuch der Freunde aus Equemauville in Dingolshausen geben wird. Heger bezeichnet es als große Herausforderung, die Partnerschaft auf die nächste Generation zu übertragen. "Wir möchten deshalb gerade Familien mit Kindern und Jugendlichen aktiv in diese wunderbare Freundschaft einbeziehen und sind zuversichtlich, dass wir nach der Pandemie hier einen guten Weg finden werden."