Das weiß doch jedes Kind! So sagt man, wenn Dinge sonnenklar sind. Aber wie klar sind uns Erwachsenen eigentlich die Phänomene des Lebens? Wer weiß beispielsweise, wie ein Tornado entsteht? Er kann jetzt die Kinder des Kindergartens Storchennest in Grettstadt fragen. Sie wissen Bescheid. Sie verbringen ihre Zeit nämlich im Haus der kleinen Forscher. So darf sich der Kindergarten nun nennen. Eine Plakette schmückt den Eingangsbereich.
Wie ein kleines Kinderdorf mutet der moderne Bau an, in dem 100 Kinder ihren Alltag verbringen. Und es scheint, dass sie großen Spaß dabei haben. Alle Türen sind offen, nur hinten, im nagelneuen Anbau, wo die Krippenkinder ihren Schlaf halten, ist Flüstern angesagt. Im Küchenraum mit der großen Fensterwand sind einige Jungen und Mädchen konzentriert dabei, verschiedene Experimente auszuprobieren. Sie bewegen mit Magneten Kugeln und hantieren mit bunten Flüssigkeiten.
Die Auszeichnung „Haus der kleinen Forscher“ wird von der gleichnamigen Stiftung verliehen. Diese wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Wissen. Kindergartenleiterin Ulrike Brand ist ebenso stolz auf die Auszeichnung wie ihre Mitarbeiterinnen Andrea Müller, Agnes Pelka und Christine Hallaczek. Sie freut sich über den hohen Stellenwert, den der Kindergarten in der Gemeinde genießt.
Bürgermeister Ewald Vögler will die Einrichtung fördern, wo es nur geht. „Auch wenn wir nicht zu den reichen Gemeinden zählen, wollen wir als Wohnstadt mit unseren sozialen Einrichtungen punkten, da gehört ein sehr guter Kindergarten eben dazu.“
Der Weg zur Klassifizierung als Haus der kleinen Forscher war lang und intensiv. Er begann im Oktober 2013 mit dem Themenkomplex Wasser. Die Erzieherinnen forschten mit den Kindern ein Jahr lang zu unterschiedlichsten Themen. Sogar Baustellenforschung habe man betrieben, erzählt Brand lachend, denn als der Strom ausfiel, konnten die Kinder vor Ort erfahren, wie weit ein Bagger baggern darf. Alle Experimente wurden protokolliert und auch Fotos gemacht. Man habe sogar ein eigenes Bilderbuch hergestellt, sagt Hallaczek stolz.
„Kinder sind von Natur aus neugierig und wissensdurstig. Wenn dieser Drang spielerisch gefördert wird, können schon die Kleinsten zu großen Erkenntnissen gelangen“, weiß Andrea Müller aus der Erfahrung des Projekts. Bei den regelmäßigen Fortbildungen seien sie sehr gut ausgestattet worden, sagen die Erziehrinnen. Sie erhielten Arbeitsunterlagen und Materialien zum Forschen. Die Anforderungen im Vorfeld waren auch entsprechend hoch. So musste unter anderem ein Fragebogen mit 60 Seiten ausgefüllt, eine Projektbeschreibung abgeliefert und alles gründlich dokumentiert werden, erzählt Pelka. Nun könne man das Wissen an alle 16 Erzieherinnen des Kindergartens weitergeben. Wasser, Luft, Optik, Magnetismus, Licht, Akustik, eigentlich alle physikalischen Bereiche werden kindgemäß aufgegriffen.
„Die Kinder waren sofort sehr neugierig und experimentierfreudig“, erzählt Müller. Sie wollten wissen, warum und wie etwas funktioniert. Ob der Schnee sich auch färben lässt, wie man ihn am besten transportiert und was passiert, wenn er mit in die Küche genommen wird. Im Sommer wurde draußen geforscht. Mit der Ameise Fred, einer Handpuppe, gingen die Kleinen im großen Garten den echten Ameisen auf die Spur. Faszinierend fanden die Kinder, wie diese ihre Gänge bauen und ihre Eier legen. Aber auch, welche Färbekraft Blüten, Gras und Rinden haben können.
Der Garten verfügt sogar über eine Matschanlage. „Wir mussten nur kleine Impulse geben“, verweist Hallaczek auf den Experimentierdrang der Kinder. Meist geht es um Dinge aus dem Alltagsleben. Dass man mit Spüli und Strohhalm wunderbare Seifenblasen herstellen kann, das wissen Erwachsene auch. Aber herauszufinden, wie tragfähig diese sind, was man alles darauflegen kann, ohne dass diese in sich zusammenfallen – wie spannend ist das! So kann man das Phänomen Oberflächenspannung ganz locker kennenlernen.
Mit einer Spende des Elternbeirates wurden weitere Materialien angeschafft, ohne die man als kleiner Forscher nicht auskommt: Reagenzgläser, Pipetten oder Lupengläser zum Beispiel. Neben aller Spielfreude werde aber auch die Konzentrationsfähigkeit, die Genauigkeit und die Geduld geübt, so Pelka. Die Sinneswahrnehmungen werden trainiert und das Vergnügen des Sehens, Hörens, Riechens und Schmeckens entwickelt.
In der Gruppe kommen die unterschiedlichen Charaktere der Kinder positiv zur Geltung, berichtete Hallaczek. Manche würden lieber zusehen, andere aktiv an die Experimente herangehen, und alle könnten voneinander profitieren und lernen. Die Richtung des Forscherdranges hätten die Kinder weitgehend selbst bestimmt, neue Fragen seien bei jedem Experiment aufgetaucht. „Die Ideen der Kinder gingen viel weiter, als wir uns das vorstellten“, schildert Hallaczek den Fantasiereichtum ihrer Schützlinge.
Die offene Atmosphäre des Kindergartens zeigt sich auch daran, dass weitere Kinder begeistert in den Experimentiersaal kamen und mitmachten. Sogar die Krippenkinder werden eingebunden. Bei ihnen ginge es aber eher um die Wahrnehmung der verschiedenen Phänomene.
Auch die Eltern wurden mit eingebunden. Im großen Foyer war das Projekt in allen Phasen übersichtlich dargestellt. Es habe immer wieder Rückmeldungen gegeben, dass die Kinder ihren Forscherdrang auch mit nach Hause nehmen, so Müller. „Seit eurem Projekt steht unsere Küche öfter unter Wasser“, habe eine Mutter erzählt.
Eine Überforderung werde dadurch vermieden, dass die Kleinen ihr Tempo und ihre Themen selbst bestimmen können. Das große Ziel sei, dass dieses spielerische Lernen weitergehe durch alle Bildungsinstitutionen. So werden Grundlagen für bestmögliche Lernbedingungen bereits in früher Kindheit gelegt.