zurück
Geldersheim
Tracht ist Heimat – Die letzten Frääli
Tracht und Tradition (Teil 5): Der Vorsitzender des Trachtenverbandes Unterfranken, Oliver Brust, gibt Einblicke in die Entwicklung der Tracht und deren Bedeutung heute.
1993 haben sich die letzten vier Galderschummer Frääli für ein Gruppenfoto angezogen. Von links: Ositha Müller, Hilde Treutlein, Margarete Wolz und Maria Treutlein. Müller und Wolz haben für das Foto ausnahmsweise noch einmal ihren Hochzeitskörres angezogen, während Hilde und Maria Treutlein im Blusenkleid (wie damals für Feiertage üblich) gekleidet sind. Die rote Farbe der Schürzen und Tücher steht für einen Feiertag und blau steht für Abtrauer.
Foto: Archiv Heimatverein | 1993 haben sich die letzten vier Galderschummer Frääli für ein Gruppenfoto angezogen. Von links: Ositha Müller, Hilde Treutlein, Margarete Wolz und Maria Treutlein.
Oliver Brust
 |  aktualisiert: 22.10.2020 02:16 Uhr

Eines der größten Trachtengebiete in Unterfranken ist der Schweinfurter Gau. Die Tracht hier wird auch Werntaltracht genannt. Das Gebiet der Werntaltracht erstreckt sich von Bad Kissingen/Münnerstadt über Karlstadt nach Würzburg/Kitzingen über Gerolzhofen Schweinfurt in Richtung Bad Kissingen. Es gab zwei große Trachtenepochen. Die erste große Epoche nennt man „alte Tracht“ (1800-1880), die zweite Epoche nennt man „neue Tracht“ (1900-1940). Danach ist die Tracht aber noch nicht ausgestorben, sondern wurde von einzelnen Frauen bis zum Jahrtausendwechsel getragen. Diese Frauen nannte man „Baurische“, weil sie auch im Alltag immer Tracht trugen. Zu jedem Anlass die entsprechende Tracht.

Entwicklung der „Blusakläder“

Die letzte Form der Tracht entwickelte sich aus den Körresklädern weiter. Bereits in der Zeit der „neuen Tracht“ gab es eine Weiterentwicklung der Körres (=korsettartiges Oberteil der Frauenfesttracht). Man versuchte die städtische Mode zu kopieren und trug verzierte hochgeschlossene Oberteile zum Trachtenfaltenrock mit Schürze. Also oben städtisch und unten baurisch. Während diese Oberteile („Blusen“ genannt) noch eng und unbequem geschnitten waren, entwickelte man daraus zuerst für die Arbeitstracht und später auch für die Festtracht bequemere Blusen.

Diese Blusen waren aber nicht mit dem heutigen Begriff „Bluse“ zu vergleichen. Sie waren bei der Arbeitstracht aus blauem, waschbarem Baumwollstoff und bei der Festtracht aus Wollstoff, Samt oder Seide gefertigt. Die Blusen wurden über dem Rock und darüber die Schürze getragen, so dass hinten ein etwa zehn Zentimeter langes Schößchen zu sehen war. An der Machart von Röcken und Schürzen veränderte sich nichts. Zu den sogenannten Bluseklädern wurde kaum mehr Schmuck getragen. Das goldene Kreuz und die Broschen waren ja nur zum Körres in Verbindung mit den Schultertüchern üblich.

Ein Winterbild aus dem Jahr 2001: Drei Frauen in Festtracht mit der Winter-Hinterbind-Hulla. Männertracht mit langer Hose und Pelzkappla.
Foto: Archiv Heimatverein | Ein Winterbild aus dem Jahr 2001: Drei Frauen in Festtracht mit der Winter-Hinterbind-Hulla. Männertracht mit langer Hose und Pelzkappla.

Als Kopfbedeckung trugen die verheirateten Baurischen ausschließlich das Kopftuch, das unter dem Kinn geschlungen wurde. Somit waren auch Ohrringe nicht mehr zu sehen. Diese Trachtenform hielt sich bis zum Schluss der lebendigen Trachtenform. In Geldersheim gab es 1988 noch 15 baurische Frääli – die letzte starb 2000. In manchen katholischen Orten im oberen Werntal hat sich die Tracht noch ein paar wenige Jahre länger gehalten.

Was war der Grund für das Aussterben der Tracht?

Die Veränderung des Kleidungsverhaltens in den Dörfern liegt schon viel früher, etwa in den 1920er-Jahren. Während vorher auf den Kommunion-Gruppenbildern noch nahezu alle Mädchen im Dorf baurisch waren und nur vereinzelte Mädchen in weiß gekleidet waren, änderte sich das Verhältnis Baurische zu Städtische ab etwa 1920. Da war nur noch ein geringer Teil der Mädchen in Tracht. Wer zur Kommunion nicht in Tracht eingekleidet war, ist in der Regel auch später nicht mehr baurisch geworden. Und dann kam noch der zweite Weltkrieg und im Anschluss die Wirtschaftswunderzeit.

Kommunion 1909: Nahezu alle Mädchen sind in Tracht gekleidet. Die Burschen tragen dunkle Anzüge mit Hut, aber keine Tracht mehr.
Foto: Archiv Heimatverein | Kommunion 1909: Nahezu alle Mädchen sind in Tracht gekleidet. Die Burschen tragen dunkle Anzüge mit Hut, aber keine Tracht mehr.

Viele Frauen wollten nicht mehr „rückständig“ sein und moderne Kleidung tragen, die man einfach waschen und reinigen kann. Meine Urgroßmutter Anna Schmitt aus Greßthal beispielsweise  war Bäuerin und hatte mit ihrem Mann Johann zusammen einen Landhandel. Sie trug anfangs im Dorf noch die Tracht und ging aber städtisch, wenn sie mit meinem Urgroßvater ausging. Später dann nur noch städtisch. Die Tracht passte nicht mehr zu ihrem Leben. So ging es vielen Frauen, und in den Dörfern blieben nur noch wenige Baurische übrig.

Die Trachtenfrisur

Zur Tracht werden die Haare niemals offen getragen. Die hochgesteckten Zöpfe werden mit einem Steckkamm und verzierten Haarnadeln geschmückt.
Foto: Oliver Brust | Zur Tracht werden die Haare niemals offen getragen. Die hochgesteckten Zöpfe werden mit einem Steckkamm und verzierten Haarnadeln geschmückt.

Mit dem Ablegen der Tracht änderte sich auch die Frisur. Eine Trachtenfrau hatte immer lange Haare, die zu Zöpfen geflochten wurden und zu einem Knoten hochgesteckt wurden. Meist wurden dazu zwei Scheitel gezogen. Einer von Ohr zu Ohr und einer mittig von der Stirn in den Nacken. Die beiden hinteren Stränge wurden zu je einem Zopf geflochten. Manchmal sogar mit sieben oder mehr Strähnen. Die Flechtmuster hießen „Reiherli“ oder „Fäisti“. Zwischen die beiden hinteren Zöpfe wurde über dem Scheitel eine große Haarnadel gesteckt Über diese wurden die beiden vorderen Haarstränge, die nur in sich gedreht und nach hinten geführt wurden, verschlungen. Sie bildeten den Unterbau für das „Haarnest“ (=Knoten), das aus den beiden hinteren, geflochtenen Zöpfen gesteckt wurde. Kurzhaarfrisuren waren zu Tracht undenkbar.

Die Frääli im Fernsehen

1988 haben wir in Geldersheim unseren Trachtenverein, den „Verein für Heimat- und Brauchtumspflege Geldersheim e.V.“ gegründet und die Frääli zu Ehrenmitgliedern gemacht. Insbesondere die „Wolze Rettl“ (Margarte Wolz, geb. 1905) hat uns viel über die Trachten erzählt. Es gab in der Anfangsphase unseres Vereins auch einige Fernsehaufzeichnungen, wo sie als 85 bis 90-Jährige erzählte. Ein prägender Satz war: „Früher sen mer wacha unnerer Bauernkläder verspott worn, wenn mer nach Schweifert sen und allerweil, sen mer sou guad aagsahn und sogar im Fernseh.“

Das Samtblusenkleid ersetzte die Festtracht mit dem Körres. Hier wurde das eigentliche Winter-Kopftuch („Hinterbindhulla“) als Schultertuch wie bei der alten Tracht getragen. Auffällig ist auch die uni-farbene Seidenschürze mit eingewebtem Blumenmuster.
Foto: Oliver Brust | Das Samtblusenkleid ersetzte die Festtracht mit dem Körres. Hier wurde das eigentliche Winter-Kopftuch („Hinterbindhulla“) als Schultertuch wie bei der alten Tracht getragen.

Sie und die anderen baurischen Frääli haben die Entwicklung unserer jungen Trachtengruppe intensiv mitverfolgt und positiv begleitet. Es war ein großes Glück, dass wir nicht nur eine Tanzgruppe gegründet haben, die sich ein Kostüm zum Tanzen angeschafft hat, sondern dass wir auch in unserem Verein die Vielfältigkeit der Tracht übernommen haben. An den Frääli konnten wir sehen, dass es  keinen Wintermantel oder Anorak zur Tracht gab, sondern, dass im Winter eben mehrere wollene Unterröcke und unter und über der Bluse noch Strickwestchen angezogen wurden.

Trachtendepot in Geldersheim

Viele der Trachten aus Geldersheim und den Nachbardörfern sind an unser Vereinsdepot gegeben worden. Dort werden sie sortiert, katalogisiert und archiviert. Manche Teile aus der Sammlung werden von unseren Mädchen und Frauen im Verein noch getragen. Ganz besondere Stücke bewahren wir nur für Ausstellungszwecke auf.

An dieser Stelle möchten wir uns auch herzlich für die in den letzten Tagen übermittelten Trachtenspenden bedanken. Meist erfolgten sie mit den Sätzen: „Das sind Sachen von meiner Mutter. Ich habe die nun jahrzehntelang aufgehoben. Nun bin ich selber alt und meine Nachkommen haben kein Interesse daran. Ich freue mich, wenn die Tracht bei Euch weiter in Ehren gehalten wird.“  Kontakt: Oliver Brust, Tel. (09721) 802423 oder E-Mail an olliebrust@t-online.de

Das Samtblusenkleid ersetzte die Festtracht mit dem Körres. Hier wurde das eigentliche Winter-Kopftuch („Hinterbindhulla“) als Schultertuch wie bei der alten Tracht getragen. Auffällig ist auch die uni-farbene Seidenschürze mit eingewebtem Blumenmuster.
Foto: Oliver Brust | Das Samtblusenkleid ersetzte die Festtracht mit dem Körres. Hier wurde das eigentliche Winter-Kopftuch („Hinterbindhulla“) als Schultertuch wie bei der alten Tracht getragen.

In der nächsten Folge der Serie „Tracht und Tradition“ geht es dann um die Tracht heute. Welche Bedeutung hat die Tracht heute für die Trachtenvereine, die Tanzgruppen, die Kirchweihgruppen und die Bevölkerung im Allgemeinen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Geldersheim
Anoraks
Blusen
Brauchtumspflege
Kleidung
Mädchen
Oliver Brust
Schürzen
Tracht und Tradition
Trachten
Trachtenvereine
Unterröcke
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top