
Auch bei der Tour de France 2014 ist wieder ein klein wenig Schweinfurt mitgefahren. Neun der 18 Teams fuhren mit Rädern, die Wälzlagerkäfige der Firma Ros aus Schweinfurt bewegten. Dass auch der Sieg des Italieners Vincenco Nibali aus dem nicht unumstrittenen Rennstall Astana mit diesem kleinen, aber höchst effektiven Kunststoff-Produkt „made in Schweinfurt“ erfolgreich unterwegs war, wer weiß das schon.
Das Mutterunternehmen des Schweinfurter Ablegers „Kunststofftechnik Ros“ wurde 1926 in Coburg gegründet. Ros ist der Name der Gründerfamilie. Zur Schweinfurter Krisenzeit Anfang der 1990er wurde die Käfigfertigung von FAG herausgekauft. Das neue, speziell auf Kunststoffkäfigproduktion spezialisierte Unternehmen wurde 1994 gegründet. Dass daraus eine Erfolgsgeschichte mit einer rasanten Entwicklung werden würde, konnte man damals nicht ahnen, freut allerdings Geschäftsführer Werner Beuerlein. Er ist der erste Verantwortliche für die Roswerke Küps (bei Kronach) und Chef in Schweinfurt.
Ros erwarb – zunächst gemietete – Gebäude und Grund der Firma Mechanicca im Gewerbegebiet Süd und begann mit der Herstellung von Präzisionskunststoffteilen für die weltweite Wälzlagerindustrie. Anfangs mit acht Maschinen und kleiner Mannschaft. Heute zählt Ros Schweinfurt 36 Mitarbeiter. Weil die Produktionsfläche längst nicht mehr ausreicht, entsteht auf dem Gelände in der Silbersteinstraße ein Erweiterungsbau mit knapp 1500 Quadratmetern. Für Auftragsspitzen, Verpackung, Lagerung und künftiges Wachstum wird mehr Raum gebraucht. Der Neubau wird zum Jahreswechsel bezogen.
Mit der Erweiterung sind Kapazitäten für Mitarbeiter im Projektmanagement und moderne Messtechnik möglich, was sich auch in neuen Arbeitsplätzen niederschlägt. Darunter wieder Ausbildungsplätze für den zukunftsträchtigen Beruf „Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschukfertigung“, berichtet Fertigungsleiter Tiemo Stürzenberger. Er sagt, dass sich der bisherige „Fremdkörper“ Kunststoff zu etablieren beginnt. Bei Speed-Datings (Ausbildungsmesse, Kontaktanbahnung für Schulabgänger) zeigte sich: Benötigter Nachwuchs „findet sich“.
Seit 2003 werden hier nun auch die Wälzlagerkäfige hergestellt, die in vielen Tour-de-France-Rädern verwendet werden. Ausgangsprodukt ist der hochtemperaturbeständige Kunststoff Polyetheretherketon (PEEK), den die Firma „Kunststofftechnik Ros“ schon seit vielen Jahren verarbeitet und seit 2000 auf der Hannover-Messe interessierten Kunden vorstellt. Ein Kilogramm des Rohprodukts kostet heute bis zu 150 Euro. Für die Verarbeitung ist Know–how gefragt – und hoher Druck: mit bis zu 300 Tonnen müssen die Werkzeughälften bei der Herstellung der Kunststoffteile zusammengepresst werden. Der fertige Käfig vermindert die Reibung der Kugeln im Wälzlager, zur Schmierung ist kein Fett mehr nötig.
Hier kommt Jacob Csizmadia ins Spiel, ein ehemaliger SKF-Mitarbeiter. 1998 war es dem Dänen gelungen, mit selbst hergestellten PEEK-Kunststoffkäfigen den Inliner-Weltrekord von 402 Kilometern in 24 Stunden auf 505 Kilometer zu steigern. Für seine neu gegründete Firma „Ceramic Speed“ war Csizmadia auf der Suche nach einem kompetenten Partner, der die Kunststoffkäfige für seine Keramik-Lager herstellt. Auf der Hannover-Messe 2003 traf er Beuerlein.
Schon 2005 gelang es, das erste Fahrrad auf der Tour de France mit den innovativen Käfigen auszustatten. Es war das Rad von Michael Rasmussen aus Dänemark. Bei der Olympiade 2008 fuhren 50 Radsportler und Ruderer sehr erfolgreich mit PEEK-Käfigen.
Nach einer wirtschaftlichen Delle 2009, als man die Produktion zurückfahren musste, ging es steil bergauf. Die Kunststoff-Wälzlagerkäfige aus Schweinfurt sind gefragt, weltweit, wovon die Adressen auf den Verpackungen im Lager zeugen: Indien, China, Brasilien, Japan „und Europa nach wie vor“, sagt Beuerlein. Der Umsatz der Firmengruppe Ros mit fünf Betriebsstätten liegt bei rund 56 Millionen Euro. Der Fahrrad-Markt – Kunststoff-Wälzlagerkäfige von Ros finden man im Tretlager, der Radnabe, in der Schaltung und Lenkung – ist nur eine Nische.
Der Geschäftsführer bricht beim Gespräch einmal mehr eine Lanze für die Kunststofftechnik, die in Schweinfurt langsam aus dem Schatten der Metall verarbeitenden Großbetriebe tritt. Kunststoffkäfige von Ros begegneten den Menschen jeden Tag, in Maschinen, Autos, Röntgengeräten, bis hin zu Fluglagern. Und auch ICE-Hochgeschwindigkeitszüge im In- und Ausland bewegen Wälzlager mit Kunststoffkäfigen von Ros. Rund 1500 verschiedene Artikel werden hier gefertigt.
Der Erweiterungsbau – rund drei Millionen Euro – ist die größte Einzelinvestition der Gruppe der letzten zwei Jahre. Beuerlein sieht darin ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland – und zu Schweinfurt.


