Montagmorgen, 7.30 Uhr an der Mainlände in Bergrheinfeld. Matthias Pichl und seine Crew sitzen bei minus drei Grad noch im warmen Container, doch bald geht die Arbeit los. Durch das Fenster sehen sie schon das Schiff, auf das sie seit einer Stunde warten. Die „Eris“, ein 95 Meter langes Containerschiff, legt an. Ihre Fracht: drei jeweils 117 Tonnen schwere Kompensationsspulen. Die müssen an Land gehievt, auf einem Tieflader verladen und dann ins rund 3,5 Kilometer entfernte Umspannwerk der Firma Tennet gebracht werden.
Pichl ist der Koordinator für Schwertransporte bei Europas Marktführer auf diesem Gebiet, der österreichischen Firma Felbermayr. Die ist ganz andere Dimensionen gewohnt, hat erst im Dezember in Polen einen Transport-Weltrekord mit einem 482 Tonnen schweren Generator auf Schienen aufgestellt.
Um Rekorde geht es in Bergrheinfeld nicht, aber doch um ziemlich schwere Lasten und sehr professionellen Umgang damit. „Für uns ist das tägliches Geschäft, an sich ist das kein besonderer Transport“, erzählt Pichl, der seit elf Jahren solche Arbeiten koordiniert.
Organisation wichtig
Das A und O ist die Organisation. Schon am Wochenende wurde der mächtige rote Autokran mit 750 Tonnen Nutzlast aufgestellt, der sonst auch für den Aufbau von Windrädern mit bis zu 200 Meter Höhe genutzt wird. In Bergrheinfeld geht es bei weitem nicht so hoch hinaus, „wir brauchen schließlich Kraft“, so Pichl schmunzelnd. Und die hat ein Kran dann, wenn er nicht zu weit ausgefahren ist.
Die „Eris“ ist nun fest vertäut am Ufer, Pichl hat auch schon Lkw-Fahrer Andreas geweckt. Der hatte am Sonntag seinen Tieflader mit zwölf gelenkten Achsen zusammengestellt und von Vorarlberg nach Unterfranken gefahren. Jetzt ist die Nacht rum, die Arbeit ruft.
Die Männer gehen in aller Ruhe vor, Hektik ist bei diesen Lasten fehl am Platz. Der Kranführer wirft seinen „Big red one“, wie der Kran genannt wird, an. Die Matrosin an Bord der „Eris“ erteilt noch letzte Anweisungen, bevor zwei Arbeiter an Bord gehen und die an orangenen Tauen befestigten armdicken Stahlseile an den Transporthülsen der Kompensationsspulen befestigen. „Wenn ihr es angehoben habt, auf keinen Fall wieder ablassen, sonst fängt das Schiff zu schwanken an“, betont sie. Auch die richtige Reihenfolge beim Abladen ist wichtig, sonst könnte das Schiff Schaden nehmen.
Sorgfalt geht vor
Die Arbeit dauert, aber es läuft reibungslos. Sorgfalt vor Zeit, das ist hier die Devise. Die Sonne ist schon lange aufgegangen, mittlerweile ist es gegen 9 Uhr, als das erste 117 Tonnen schwere Element auf dem Tieflader seinen Platz findet. Es ist Zentimeter-Arbeit, die Männer stehen mit Zollstöcken da, messen immer wieder nach, damit auch alles genau da steht, wo es stehen muss. Immerhin ist eine Spule so schwer wie 83 VW Golf zusammen. Schließlich wird mit schweren Spanngurten alles befestigt und es kommt sogar ein Mitarbeiter des TÜV, um alles abzunehmen. Bei Transporten über 100 Tonnen ist das Pflicht.
Da die Spulen in der Türkei nahe Istanbul von GE Grid Solutions gebaut und über Rotterdam und dann den Rhein und den Main nach Bergrheinfeld verschifft wurden, wartet auch der Zoll an diesem Morgen mit zwei Beamten in Bergrheinfeld, um die Formalitäten bei der Einfuhr aus einem Nicht-EU-Land zu erledigen.
Gegen 10 Uhr kommt die Polizei vorbei, bespricht sich mit Matthias Pichl. Beim Transport wird die Mainbrücke für den Verkehr gesperrt, „vorher haben wir natürlich mit einem Statiker gesprochen, ob die Brücke das auch aushält“, erklärt Pichl. Tut sie, natürlich. Zu den 117 Tonnen für eine Kompensationsspule kommt noch das Gewicht des Lkw und des Tiefladers, insgesamt müssen 185 Tonnen bewegt werden.
Auffahrt zu schlammig
Das Gewicht wird kurzfristig zum Problem, als Lkw-Fahrer Andreas auf dem schlammigen Platz an der Mainlände wenden muss und dreimal an der Rampe Richtung Hauptstraße hängen bleibt. Die ist durch das nasse Wetter aufgeweicht, der Weg erst im oberen Drittel geteert. Trotz 800 PS und vier angetriebenen Achsen bleibt das Gespann hängen. Doch Matthias Pichl bleibt ganz ruhig, von Hektik keine Spur.
Nachdem die dritte Spule aus dem Schiff ausgeladen wurde, ist einer der Arbeiter frei, um eine weitere Zugmaschine an den Transporter vorne anzuhängen. Mit vereinter Kraft geht es dann den Berg hinauf, Problem gelöst. Die nächsten lassen nicht lange auf sich warten.
Keine Probleme im Dorf
Mit Polizei- und Geleitschutz geht der Transport gegen 11 Uhr endlich los, 3,5 Kilometer von der Mainlände bis zum Umspannwerk. In Bergrheinfeld selbst ist bis auf einen Mini-Stau alles im Lot, selbst der Kreisel an der Kirche bereitet keine Probleme. Bei dem auf der B 26 Richtung Werneck aber muss der Lkw ganz schön rangiert werden, um rum zu kommen. Und sein Meisterstück liefert Andreas ab, als er an der engen Einfahrt zum Umspannwerk neben der Eisenbahnbrücke umdreht und die knapp eineinhalb Kilometer auf dem geteerten Weg inklusive einer 90-Grad-Kurve rückwärts fährt, weil das einfacher ist.
Knapp eine Stunde braucht man, um endlich am Umspannwerk angekommen zu sein. Mittlerweile ist es fast Mittag, aber Matthias Pichl ist sehr zufrieden, alles verlief reibungslos. Im Umspannwerk wird die Spule auf ein Hubgerüst verladen und später auf ihr Fundament gezogen. Jetzt, wo Pichl weiß, wo die Probleme sind, werden die Transporte der beiden anderen Kompensationsspulen am Montagnachmittag und Dienstmorgen einfacher. Routine, könnte man fast sagen.
Daten & Fakten
Der Schwertransport von der Mainlände in Bergrheinfeld zum TenneT-Umspannwerk wurde für drei so genannte Kompensationsspulen benötigt. Diese benötigt man zur Regulierung der so genannten Blindleistung im Stromnetz, die physikalisch bedingt entsteht. Früher wurde die für den Netzbetrieb notwendige Blindleistung vom Atomkraftwerk Grafenrheinfeld geliefert, nach dessen Abschaltung übernimmt die Bereitstellung und Kompensation der Blindleistung der Netzbetreiber TenneT.
Dafür baut er in seinem Umspannwerk in Bergrheinfeld, in das rund 100 Millionen Euro investiert wird, auch die drei Kompensationsspulen ein. Die auf Garstadter Gemarkung stehende Anlage „Bergrheinfeld West“ ist eine der modernsten in Deutschland und das wichtigste Umspannwerk in Nordbayern.
Im vergangenen Sommer wurde bereits ein ebenfalls für die Blindleistung benötigter 360 Tonnen schwerer Phasenschieber eingebaut, nun folgen in den nächsten Wochen die Kompensationsspulen, die im Herbst in Betrieb gehen sollen. Noch eingebaut werden zwei Transformatoren, die den herbeiströmenden 380-Kilovolt-Strom auf 110 Kilovolt herunterregeln, um ihn in der Region zu verteilen.
Anfang 2019 wird das neue Umspannwerk voll einsatzfähig sein. Laut TenneT wird das alte Umspannwerk Bergrheinfeld zurückgebaut, die Anlage neben dem ehemaligen Atomkraftwerk bleibt aber auf jeden Fall erhalten. Außerdem ist man noch auf Standortsuche für die nötige Konverterhalle, die für den Anschluss der Gleichstromtrasse „Südlink“ benötigt wird.