Das Beste kommt zum Schluss. Berlin – Alexanderplatz. Ein flippiger Selfie-Knipser hängt an der U-Bahn herum. Ein graues Mütterchen ist völlig überfordert, braucht Hilfe. Er ist genervt, bemüht sich dann doch um die Frau. Zwischen dem Graffitisprayer und der strickenden Alten entwickelt sich subtil eine innige Beziehung. Und das alles ohne Worte.
Wie bereits vor vier Jahren halfen die Pantomimen Wolfram von Bodecker und Alexander Neander dem Schweinfurter Theaterpublikum über den Jahreswechsel hinweg. Mit Geschichten aus dem Alltag, witzig zugespitzt, Phantasie anregend, nicht immer auf den ersten Blick zu entschlüsselnd, Unterhaltung, die auch fordert, ein schieres Vergnügen.
Kennengelernt haben sich die beiden Pantomimen als Studenten in der Schule des großartigen und streng fordernden Marcel Marceau. Er war ein feiner Beobachter, Menschenkenner und Menschenfreund. Dies hat er seinen Schülern mitgegeben, die seit über 20 Jahren gemeinsam unterwegs sind und im Dresdner Societaetstheater ihre künstlerische Bodenstation gefunden haben. Und im Sinne Marceaus enden ihre durchaus verzwickten Begegnungen immer auch versöhnlich. Es beginnt mit "Aquarell". Unter freiem Himmel soll ein Porträt entstehen. Das Model ziert sich. Will sich auf dem Bild nicht so recht erkennen. Ein kleiner Vogel löst die Spannung und dann macht ein Gewitterregen die schöne Arbeit zunichte. Der Maler gibt versöhnlich das Honorar zurück.
Bodecker & Neander zeigen acht Szenen auf der weit offenen meist schwarzgehaltenen Bühne: geschickt musikalisch und mit Lichteffekten unterleg, spannend aufgebaut, mit überraschenden Wendungen. Mit ihrem feinen Minenspiel, ihrer Gestik, gleitenden tänzerischen Bewegungen, fangen sie Stimmungen, Ängste und Freuden ein. Gar mehrfach fährt der alten Frau der Zug davon, schier verzweifelnd kämpft sie sich durch den zerfletterten Fahrplan. Und sitzt dann doch im richtigen Zug und er freut sich über den rot-weiß-gestrickten Schal. Und hat den nächsten Hilfesuchenden schon vor sich. Für die anspruchsvolle Rolltreppen-Simulation gibt es gleich mehrfach Szenenapplaus.
Beeindruckend auch "Newspaper". Ein Zeitungsverkäufer schreit die Schlagzeilen heraus, der Leser kämpft sich durch die anscheinend nicht endende Nachrichtenflut, über der er schließlich den Kopf verliert. Eine Szenerie, die für staunenswerte Schwarzlichteffekte geradezu geschaffen ist.
Oder: ein menschenverachtendes Casting, ein schwieriges Rendezvous, eine Arie, bei der sich der Pianist die Finger einklemmt oder der große Dompteur der Angst anheimfällt, das alles macht Spaß, gut zweieinhalb Stunde vor Jahresschluss.