
Ein Fächer, Pfläumli-Fläschchen, Sexualhygiene-Artikel oder ein Rotkäppchen-Schiebebild. Der Inhalt des Kübels, den das Publikum mit kleinen Geschenken füllen durfte, für den Sieger des „Dead or Alive Poetry Slams“ in der Disharmonie, war ein Kunstwerk eigener Art.
Rückblick auf neun wunderbare Veranstaltungen
Zum neunten Mal hatte Manfred Manger (vom Verein WortArtikulation) eingeladen. Zum letzten Mal: Angesichts des organisatorischen Aufwands soll es künftig keinen Worte-Wettstreit und Direktvergleich zwischen verblichenen Poeten und jungen, quicklebendigen Nachwuchs-Künstlern geben. Dennoch: „Es waren neun wunderbare Dead or Alives“, sagt Manger. Nie hätte er gedacht, diese Zahl zu erreichen, bei der Premiere 2007, mit den Schweinfurter Rezitatoren Christine Hadulla und Peter Hub am Start.
Einen letzten Abend lang durfte das Format zwischen lebendig und tot schweben, bei insgesamt vier Duellen. Die designierte U20-Bayern-Slammerin Tabea Schleier assistierte, fünf Juroren vergaben Punkte von eins bis zehn, die beste und schlechteste Wertung wurden gestrichen, dazu kam eine Sonderwertung durch das reichlich vorhandene Publikum.
Leichte Wehmut bot zum Einstieg schon „Opferlamm“ Paula Steiner, außer Konkurrenz: „Wenn die Nacht am tiefsten, steh ich oft am Fenster.“ Wen immer sie dabei erblickt: „Kommt rein, raucht Knallgas!“
Der Kölner Guido Grollman kam mit einem Werk des (von den Nazis ins Exil getriebenen) Dadaisten Kurt Schwitters: „Mein neues Hut“ nannte sich der Monolog eines heimatlosen Außenseiters, mit hohem Verschleiß an Kopfbedeckungen und absurd präziser Vorstellung von seiner Traumfrau.
Verblüffend passend war der Beitrag des Bochumers Jungstars Sven Hensel. Der Slammer suchte nach den richtigen Worten auf einer Party, in einer intoleranten Welt: „Ich bin nicht wunderbar, aber ein Wunderbärchen.“
Applaus für den Erlkönig
Dann raunte der „Erlkönig“: JW Goethes Naturballade war das starke Debüt des Schweinfurters Nico Lommatzsch. Der nebelumwallte Ritt von Vater und Sohn fand sein Gegenstück bei Darryl Kiermeier aus München: Der Nachwuchs einer Nageldesignerin ist leider ohne Vater oder Brüder aufgewachsen, somit ein „Sklave des weiblichen Willens und Scherge des Matriarchats“.
Können Sex, Lust und Leidenschaft poetisch sein? Och ja. Die Berliner Schauspielerin Marie-Theres Schwinn verkörperte US-Autorin Anais Nin. Auf der Bühne stand eine kluge Geschlechter-Psychologin, die ihr Innerstes in einem Spiel aus Ent- und Verhüllung entblößte, ohne es preiszugeben: dargestellt als raffinierter Kleiderwechsel „von innen nach außen“.
Ums biologische Endziel des Ganzen drehte sich Clara Nielsens Reimfeuerwerk, rund ums Kinderkriegen. Eine Erkenntnis der Regensburgerin, im Wechselbad aus Stress- und Glückshormonen: Als Mutter ist man eine „Milchbar mit 24 Stunden Happy Hour“.
„Ich habe Sie verloren“ klagte Jean Cocteau, über eine Amour fou im Jahrmarkttrubel: „Geht nie auf ein Fest, man findet sich, man verliert sich.“ Wunderbar rauchig und verletzlich interpretierte der Kölner Stefan Busch den unsterblichen Franzosen. Das „Erste Mal“ nannte sich das Gedicht des „Lebenden“ Friedrich Herrmann aus Jena. Es ging ums Weinen und es auch so Meinen, ums Knutschen und Mehr, oder die erste Sehnsucht nach deutschem Pumpernickel im Ausland. Beide zogen ins Finale ein.
„Sie war schon sehr weit ausgezogen“ hieß es dort bei Stefan Busch, in der Rolle des toten Dichters Arthur Rimbaud. Friedrich Herrmann konterte mit einer Trennungshilfe für alle, die in einer festen Beziehung stecken. Dazu gab es Träume, etwa zu Friedensgesprächen zwischen Assad und seinen Feinden in Aleppo, die als Orgie enden. Beflügelt von Publikums- und Porzellanschweinchen-Wertung, führte der temperamentvolle Thüringer das Team der Lebenden zum Sieg. Zur Belohnung gab es Blumen und Präsentkübel.