
Peter Weiß hört Hardrock-Musik, wenn es kribbelt, wenn es sich anfühlt, als würden Ameisen über seinen Körper krabbeln. Manchmal hilft auch ein Spaziergang, manchmal eine Entspannungsübung. Er schreibt gerne Briefe oder Karten an Freunde, sagt er. Zu Ostern habe er eine an das Caritas-Tageszentrum (TAZ) in Schweinfurt geschickt, in dem er seit 22 Jahren betreut wird. Weiß ist schizophren, hinzu kommen schwere Depressionen. Als das TAZ wegen der Corona-Pandemie geschlossen wurde, brach für ihn die dringend notwendige Struktur weg.
Weiß, der in Wirklichkeit ganz anders heißt, ist einer von 21 Menschen, die werktags im Tageszentrum für psychische Kranke, das vom Caritas-Verband Schweinfurt getragen wird, betreut werden. Sie leiden unter Schizophrenie, Depressionen, Ängsten, bipolaren Störungen. Sie kommen in die Einrichtung, um Struktur in ihr Leben zu bringen, um Kontakte zu knüpfen.
Manche sagen, sie gehen "auf Arbeit", Weiß sagt, er gehe ins Tageszentrum. Vier Stunden täglich. Gehirnjoggen, Gymnastik, Spazierengehen, Bolzen – eine Arbeitstherapie, bei der die Teilnehmer Kleinteile für Lkw-Kupplungen herstellen – Kochen, Putzen. Eine Hauswirtschafterin leitet sie an, wie man das richtig macht, wie man mit den Lappen arbeitet, wo man im Raum anfängt und wo man aufhört. Patienten sagen sie im Tageszentrum nicht, sie sagen Teilnehmer oder Klienten.
Fast ausschließlich telefonischer Kontakt
Seit die Einrichtung wegen Corona geschlossen ist – die meisten Menschen dort gehören zur Risikogruppe -, besteht der Kontakt fast ausschließlich telefonisch. "Wir versuchen die Teilnehmer täglich zu erreichen", erklärt Carolin Weber, die das Tageszentrum seit 2011 leitet. Die Telefonate dauern zwischen zwei und 20 Minuten. Darüber hinaus suche man sie auch persönlich auf. Nicht in deren Wohnung und auch mit nötigen Sicherheitsabstand. "Für die meisten unserer Klienten ist es schwieriger am Telefon", stellt die 47-Jährige fest. Man müsse eine andere Konzentration mitbringen und: "Man sieht das Gegenüber nicht." Auch für die Betreuer sei es schwieriger, denn sie sehen keine Mimik, keine Reaktion. Merken nicht, ob da noch etwas anderes da ist, als gerade formuliert wurde.
Karin Rudolf wird seit drei Jahren im Tageszentrum behandelt. Die Struktur fehle, und der Tagesablauf, erzählt die 45-Jährige, die unter Depressionen leidet. Aber ihr fehle auch die Gemeinschaft. Rudolf, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, lebt alleine. Stricken hilft ihr durch den Tag zu kommen. Oder sie macht die Wohnung sauber. "Ich habe schon alle Schränke geputzt", sagt sie und klingt zurückhaltend am Telefon. "So geht der Tag rum." Täglich melde sich das TAZ bei ihr, ein- bis zweimal die Woche komme es auch zu einem persönlichen Gespräch. Das Haus verlässt sie nur zum Einkaufen. Angst, sich mit dem Virus anzustecken, hat Rudolf nicht.

Angst vor Corona hat auch Peter Weiß nicht. Bei ihm sei es eher so gewesen, dass das Tageszentrum ihm mitteilen musste, was überhaupt erlaubt ist und was nicht. Leiterin Carolin Weber habe ihm erklärt, er dürfe zum Arzt, zur Apotheke und zum Supermarkt. "Und zur Post", sagt Weiß, und Weber antwortet: "Ja, stimmt, weil er ja auch die Briefe schreibt."
Aufklärung ist nötig
Es brauche immer wieder Aufklärung. Der 58-Jährige hat keinen Fernseher, kein Internet. "Wir sind die Informationsgeber und versuchen, die Informationen, die auf uns einprasseln, zu filtern und in einer klaren Sprache weiterzugeben", sagt Weber. Viele ließen sich "den ganzen Tag zurieseln" von den Informationen. Da sei am Telefon die Wallung so groß, da müsste man erstmal die Gedanken sortieren, eine Struktur reinbringen, Beruhigung einbringen.
Anfangs dachte Weiß, es sei die Pest, weil die Leute Abstand zu ihm hielten. "Wir mussten ihm erklären, warum die Menschen Abstand halten und dass das nichts mit ihm zu tun hat", sagt Weber. Menschen mit psychischen Erkrankungen müssten sich in Krisensituationen oft schützen, indem sie verdrängen, indem sie Dinge gar nicht bewusst werden lassen, erklärt die 47-Jährige.
Weber sagt, den meisten falle die Decke auf den Kopf, sie können ihren Tag nicht selbst strukturieren. Zudem erlebe sie, dass Teilnehmer, die vorher gerne spazieren waren, sich nun nicht mehr trauen, das Haus zu verlassen. "Die Symptome, die unsere Teilnehmer mitbringen, werden eigentlich verstärkt. Die Ängstlichen werden noch ängstlicher, die Antriebslosen werden noch antriebsloser."
Weiß sagt, antriebslos sei er nur beim Kochen manchmal. "Die Kameraden fehlen mir", die Freunde geworden sind, mit denen er sich draußen zum Rauchen beim TAZ zusammentut. Deshalb gebe es aktuell bei ihm oft Fertigprodukte, Essen aus Dosen. "Die gesunde Ernährung fällt gerade hinten runter", sagt Carolin Weber und lacht ein wenig so, als wäre das das kleinste Übel in dieser Situation. Schließlich gebe es auch Teilnehmer, die nicht mehr regelmäßig essen, die das TAZ am Telefon oder bei persönlichen Treffen an die eigene Versorgung erinnern müsste.
Schrittweise in die Einrichtungen zurückkehren
Schrittweise sollen die Einrichtungen der Caritas nun wieder öffnen, erklärt Jutta Münch, Geschäftsführerin des Caritas-Verbands Schweinfurt. "Wir merken, dass die Versorgung von psychisch kranken Menschen vom persönlichen Kontakt lebt." Die Menschen müssten wieder in das Zentrum zurückgeführt werden.
"Wenn ich mit einem Rückzug reagiere, was manche tun, dann müssen wir wieder schaffen, dass sie wieder aktiv werden, einen Antrieb finden und zu uns kommen", sagt Carolin Weber. Dabei müsse man auch mit Rückschritten rechnen und, dass "Fähigkeiten versandet sind, die wir immer wieder trainiert haben".
Man habe aktuell einen Arbeitsschutzstandard entwickelt, der bis Ende der Corona-Krise gültig sei, erklärt Geschäftsführerin Münch. Es gehe darum, einzelne Klienten in die Einrichtung zurückzuholen. Bis die Gemeinschaft aber wieder vollständig zusammenkommen könne, werde wohl noch einige Zeit vergehen müssen.
Wenn es dann aber wieder so weit ist, freut sich Peter Weiß am meisten auf die Feiern. Schließlich werde im TAZ traditionell jeder Geburtstag gefeiert und während Corona, das weiß er ganz genau, seien das einige gewesen, die ausgefallen sind.
Ich finde es eine Sauerei das hier so fahrlässig von allen Seiten gehandelt wird! Möglicherweise geht es hier auch um Leben oder Tod!
Corona hier Corona da - wie viele Leute anderswo bis hin zum Tod deswegen auf der Strecke bleiben wird so gut wie nie debattiert; einfach weil man sich ein Versagen der Politik und Unmenschlichkeit nicht eingestehen will! Beispiele:
- Krebspatienten deren Therapien oder Operationen unterbrochen oder aufgeschoben werden
- psychisch Kranke die nun allein dastehen
- Familien die unter häuslicher Gewalt leiden
- Angehörige die ihre sterbenden Angehörigen fälschlicherweise nicht mehr sehen durften oder sie nicht auf den Friedhof begleiten dürfen.
Daran muss sich die Politik messen lassen; nicht daran ob man Fußball spielen darf und nicht, ob man urlauben kann oder nicht usw.
Auch an den vielen Pleiten die auf uns zurollen, verbunden mit Arbeitslosigkeit, wird sich die Politik messen müssen. In die Schlagzeilen geraten nur prominente Unternehmen wie die LH - und die werden mit Sicherheit mit unseren Steuergeldern vor der Insolvenz bewahrt. Die vielen kleinen Betriebe, die vielen Einzel-Selbstständigen hingegen haben keine Lobby. Die gehen den Weg in die Insolvenz, allein, sang- und klanglos. Niemand kümmert es.
Das ist die Politik mit der wir alle leben müssen. Dafür haben die von Ihnen genannten 98jährigen noch ein paar schöne Tage....
Man möge mich deswegen asozial nennen. Aber ist es wirklich sozial so viele Menschen in die Arbeitslosigkeit, in die Insolvenz, in einen Schuldenberg zu drängen?
Ist es sozial die Bundesliga zur Freude der Fans wieder zu eröffnen während zahlreiche Unternehmen immer noch nicht arbeiten dürfen und dies in absehbarer Zeit auch nicht möglich sein wird?
Die Grundrechte werden momentan eingeschränkt mit dem Verweis auf das Infektionsschutzgesetz. Die Frage ist doch, was dabei anderswo auf der Strecke bleibt und ob die gezwungenermaßen sehr überhastet getroffenen Entscheidungen überall gerechtfertigt sind (Negativbeispiele siehe z.B. Artikel).
Jede Medaille hat zwei Seiten - mir scheint es wird mit dem Totschlagargument "Recht auf Leben" derzeit aber nur eine Seite betrachtet!
Mit dieser Argumentation müsste man z.B. auch das Rauchen verbieten - das wäre mit weit weniger Grundrechtseinschränkungen verbunden und würde ungleich mehr Leben retten...