
In Würzburg und Schweinfurt erhellte Anfang des 20. Jahrhunderts bereits elektrisches Licht die Dunkelheit. In der ländlichen Region um Gerolzhofen brannten dagegen noch Ölfunzeln und Kerzen. Bis die Unterfränkische Überlandzentrale (ÜZ) kam – in der Form einer Genossenschaft.
Ausgerechnet im kleinen und abgelegenen Lülsfeld kam Licht in die dunkle Zeit. Dem rührigen Bürgermeister Johann Ziegler war klar, dass kommerzielle oder staatliche Investoren für den Aufbau einer Stromversorgung auf dem flachen Land nicht zu gewinnen waren. Die Menschen mussten in Eigeninitiative dafür sorgen.
Dazu bot sich die Form der Genossenschaft geradezu an. Das Ziel: Gemeinsam eine Stromversorgung aufbauen und dabei die wirtschaftliche Souveränität jedes Einzelnen bewahren.
Gründung 1910 in Gerolzhofen
So gründeten 23 Gemeinden und 379 Mitglieder bei einer Versammlung am 5. Januar 1910 in Gerolzhofen eine Strom-Genossenschaft. Das war die Geburtsstunde der Unterfränkischen Überlandzentrale, die 108 Jahre danach ein moderner Stromversorger für rund 55 000 Kunden im mittleren und östlichen Unterfranken ist.
Bei der Gründung dabei waren Pfarrer, Lehrer und fortschrittlich denkende Landwirte, „die gesehen haben, was man mit Strom machen kann“, sagt Gerd Bock, der aktuelle Geschäftsführende Vorstand bei der ÜZ. Strom war nicht nur Licht-, sondern auch Kraftquelle. Nun konnte auch am Abend oder nachts gearbeitet werden.
Die Form der Genossenschaft bot eine Hilfe zur Selbsthilfe, zu Selbstverwaltung und Selbstbestimmung. Das ist für Gerd Bock ein bis heute überzeugendes Geschäftsmodell geblieben. „Die Genossen können selbst über ihr Wohl entscheiden.“ Rund 3300 Mitglieder hat die ÜZ zurzeit, jedes mit einem Geschäftsanteil von 1300 Euro.
Kleine Dörfer als erste am Netz
Der Lülsfelder Stromversorger wuchs schnell. Unter Schwierigkeiten gelang es, die nötigen 470 000 Mark für die Anfangsinvestitionen mit zwei Dieselmotoren zur Erzeugung des Stroms, einer Schaltanlage, Fernleitungen, Trafostationen und Ortsnetzen sowie der dafür notwendigen Gebäude zusammenzubringen. Dann leuchtete das elektrische Licht erstmals in den Gemeinden Lülsfeld, Rimbach, Järkendorf, Schallfeld und Eichfeld. Das war gerade einmal ein Jahr nach der Gründung. Erster Strom-Großabnehmer für elektrische Kraft war die Ziegelei Krönlein in Zeilitzheim.
Es gab immer wieder Widrigkeiten
Fast immer in ihren 108 Jahren hatte die Genossenschaft mit Widrigkeiten zu kämpfen, die von außen ins beschauliche Lülsfeld drangen. Schon bald nach der Gründung bricht der Erste Weltkrieg aus, dann galoppiert die Geldentwertung. Die Nazis zwingen der ÜZ eine politische Führung auf.
Die wohl größte Herausforderung für den kleinen genossenschaftlichen Versorger ist viele Jahre später die Liberalisierung des Strommarktes. Sie bedeutet das Ende des Gebietsschutzes und die Entlassung in den Wettbewerb – auch mit den deutschen Stromgiganten.
Exot auf dem deutschen Strommarkt
Aber die ÜZ überlebt als wirtschaftlich selbstständige genossenschaftliche Einheit und bleibt damit eine Besonderheit auf dem deutschen Strommarkt. Nicht zuletzt ist das der Treue der Kunden zu verdanken.
Heute ist die ÜZ die größte Genossenschaft in Bayern, die die Energieversorgung als Geschäftsfeld hat. Dieses Feld hat sich seit der Gründung nicht verändert. Nur, dass die Ressourcen jetzt andere sind. Die ÜZ war schon sehr früh Vorreiter bei den regenerativen Energien. Auch hier basieren neue Zusammenschlüsse auf der traditionellen Form der Genossenschaft, etwa bei der Bürgergenossenschaft ÜZ plus mit rund 1000 Mitgliedern.
Zum Wesen der Lülsfelder Genossenschaft gehört es, dass sie sich an ein fest umgrenztes Gebiet gebunden fühlt. Bei der ÜZ hat sich das seit Jahrzehnten nur unwesentlich verändert. So wie damals den elektrischen Strom will die ÜZ nun flächendeckend das Glasfaserkabel in die Region bringen. Denn wie einst beim Strom ist jetzt auch bei der Glasfaser der ländliche Raum benachteiligt, meint man in Lülsfeld.
Wertschöpfung bleibt in der Region
Mit dem Modell der Genossenschaft ist es auch weitgehend gelungen, die Wertschöpfung in der Region halten. „Hier hat noch nie jemand von außen Geld herausgezogen“, sagt Bock. Auch die Arbeitsplätze sind von Beginn an im Land geblieben. Welches Dorf mit rund 400 Einwohnern kann schon von sich sagen, ein Unternehmen mit gut 150 Arbeitsplätzen zu haben?
Raiffeisen und das Jubiläum
• Der Genossenschaftsgedanke geht auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurück, der am 30. März 1818 in Hamm an der Sieg (Westerwald) geboren wurde. Sein berühmtester Satz ist bis heute das Motto der Genossenschaften: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.“ Nach Jahren beim Militär und in der preußischen Verwaltung wurde Raiffeisen 1845 im Westerwald Bürgermeister. In den Folgejahren setzte er sich in dieser Funktion in mehreren Dörfern für die verarmte Landbevölkerung ein. Er gründete erst den „Brodverein“ und wenige Jahre später den „Hülfsverein für die unbemittelten Landwirthe“, um den Bauern zu helfen. Die Grundlage für die Genossenschaften war gelegt. 2016 wurde die Genossenschaftsidee in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
• Raiffeisen ist nicht der Einzige gewesen, der im 19. Jahrhundert den Genossenschaftsgedanken vorantrieb. Bekannt wurde hier vor allem auch Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883), mit dem Raiffeisen allerdings inhaltlich im Streit lag. Raiffeisen warb bis zu seinem Tod 1888 unermüdlich auf Vorträgen im ganzen Land für die Genossenschaften. Unbestätigten Berichten zufolge sprach er dabei im Mai 1880 auch in Prosselsheim bei Würzburg und im Oktober 1883 in Würzburg.
• Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird das Raiffeisen-Jubiläum das ganze Jahr über an verschiedenen Orten in Deutschland gefeiert. In Unterfranken sind allerdings keine Veranstaltungen geplant. Weitere Informationen: www.raiffeisen2018.de (aug)
war mein Großvater (gestorben 1936) einer der ersten in seinem Dorf der mit Hilfe der "Lülsfelder" Strom im Hause hatte und damit am Abend Zeitung lesen konnte.
Der Genossenschaftsanteil ist immer noch in der Familie.