Energie lässt sich nicht nur an großen Flüssen gewinnen. Die kleine Wern dient seit kurzem als Versuchsstandort für eine weltweit neuartige Form der Energiegewinnung aus Wasser. Ohne großes Kraftwerk, ohne Turbinen, ohne Fischhäcksler, nur mit einer stark dehnbaren neuartigen Elastomer-Folie soll die mechanische Energie der Wasserströmung direkt in elektrische Energie umgewandelt werden. Ein spannendes Projekt des Würzburger Fraunhofer-Instituts, das die Energiegenossenschaft Oberes Werntal begleitet.
Bis solch ein neues Kleinstkraftwerk möglicherweise zu kaufen sein wird, um es in Form einer Ladestation für E-Bikes zu betreiben oder um es vielleicht mit auf den Campingplatz zu nehmen und dort am Bach das Handy aufzuladen, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Aber die Grundlagenforschung, die das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC) in der Nähe der Storchenmühle bei Kronungen betreibt, ist vielversprechend.
Degreen nennt sich das Projekt, Dielektrische Elastomer-Generatoren für regenerative Energien. Ziel ist, ergänzend zu heutigen großtechnischen Anlagen auch kleinere, umweltschonendere Energiequellen zu erschließen, eben die Stromgewinnung aus kleinen Fließgewässern.
Um zu testen, wie die vom ISC entwickelte dehnbare Elastomer-Folie gerade mit geringen Fließgeschwindigkeiten und geringen Wassertiefen zurechtkommt, suchte das Institut entsprechende Versuchsstandorte. Über Netzwerke wurde die Energiegenossenschaft Oberes Werntal (EOW) darauf aufmerksam und bot ein Wehr an der Wern an, erklärt Werner Göbel, EOW-Aufsichtsratsvorsitzender. Neben diesem Standort bei der Storchenmühle dient auch die Tauber bei Werbach für den dreijährigen ISC-Praxisversuch bis 2019.
Um das aktuelle Trockenheitsproblem und damit den Niedrigstand der Gewässer abzufangen, installierte die EOW im Mai am Abzweig des Mühlbaches von der Wern ein zweites Wehr, ein Einwegwehr, um ein Becken als Zwischenpuffer für den Wasserablauf zu füllen. „Damit der für die Versuche immer gleich ist“, erklärt Göbel. Alle Maßnahmen erfolgen in Absprache mit dem Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen.
Schon etliche Versuchstage am Wasser haben die ISC-Mitarbeiter Thomas Gerlach und Thomas Nierla hinter sich. Mit simplen Mitteln wie Rohren, Schläuchen und Klemmen sowie Messgeräten bepackt, bauen sie an diesem Vormittag die einfache Konstruktion des Elastomer-Generators auf. Nierla steigt mit Gummistiefeln in die Wern, um ein Kunststoffrohr mit einem Venturi-Trichter am Wehr anzubringen.
„Die Rohrverengung erhöht die Fließgeschwindigkeit des ablaufenden Wassers“, erklärt Werner Göbel. Dadurch entsteht ein Unterdruck im Steigrohr, weshalb sich die Elastomer-Folie, die in einem weiteren Rohr aufgespannt und über einen Luftschlauch angeschlossen ist, nach innen wölbt. Über das Schließen eines selbststeuernden Ventils wird der Unterdruck entlüftet, so dass sich die Folie wieder entspannt.
Über ein Oszilloskop messen die Fachmänner die entstehende Spannung, sichtbar über eine Sinuskurve auf dem Display. „Jetzt geht's noch darum, das so hinzukriegen, dass der ,bekannte‘ Strom mit den üblichen 220 Volt und 50 Hertz entsteht“, vereinfacht Göbel. „Wir testen hier die Mechanik“, erklärt Maschinenbauingenieur Gerlach, konkret die Dehnung der Folie.
Weitere Komponenten des Versuchs sind die Elektrik dahinter und die Materialentwicklung. Dieses Zusammenspiel macht das Forschungsvorhaben einmalig. „Wir sind weltweit die Ersten, die das aufgreifen.“
Wenn die Ergebnisse zur Dehnung der Folie ausgewertet sind, könnte unter Umständen eine andere Rezeptur die Folge sein, erklärt Maschinenbautechniker Thomas Nierla. „Man ist hier noch weit weg von effizienter Nutzung des Wassers oder von einer Serienfertigung des Elastomer-Generators“, ergänzt Werner Göbel. Zwar seien die Parameter bekannt, aber das Zusammenspiel müsse erst optimiert werden.
Eine wichtige Erkenntnis haben die ISC-Mitarbeiter schon gewonnen: „Wir bräuchten gar nicht so viel Wasser wie hier“, meint Nierla, „das funktioniert auch mit weniger Tiefe und Strömung.“
Weil sich die Energiegenossenschaft an diesem Tag am „Sommerkinder“-Programm der Schweinfurter Großbetriebe beteiligt, können etliche Jungen und Mädchen den Elastomer-Versuch beobachten. Interessiert tasten sie die eingewölbte schwarze Folie und lassen sich von EOW-Vorsitzendem Jürgen Hack über das Thema Wasser, Mühlen und Turbinen aufklären. Weil sie zuvor an der nahen Weidenmühle eine echte Turbine bestaunt und an der Storchenmühle Solar-Bausätze zusammengefügt haben, sind sie für das Thema Energiegewinnung aus Wasser sensibilisiert.
„Wir wollen Aufklärung und Bildung, gerade auch für Kinder“, zitiert Hack die EOW-Vereinssatzung. „Denn das ist die Zukunft.“