Göttervater Jupiter hatte die Lösung für ein „Endlagerproblem“ eigener Art: Als sein unsterblicher Sohn Castor und dessen sterblicher Bruder Pollux das Zeitliche segneten, entschied er, dass die unzertrennlichen Zwillinge je einen Tag lang zusammen auf dem Olymp, je einen Tag in der Unterwelt des Hades verbringen durften: im Rotationsverfahren, sozusagen.
Von den simplen Lösungen antiker Mythen ist die heutige Atomindustrie weit entfernt. Übernommen wurden nur die Namen der beiden Helden: „Castor“ ist das englische Akronym eines Transport- und Zwischenlagerungsbehälters für hochradioaktiven Atommüll.
„Pollux“ soll einmal die leichtere, hantelförmige Variante zur unterirdischen Endlagerung werden, es gibt bislang nur Prototypen: Eine Erkenntnis des Vortragsabends in der Disharmonie, zu den Folgen des KKG-Rückbaus.
Gutachter in mehreren Klageverfahren gegen Atommülllager
Auf Einladung des „Schweinfurter Aktionsbündnisses gegen Atomkraft“ (SWAB) referierte der Landshuter Diplomphysiker Wilfried Attenberger, zum Thema „Castorbehälter und ihr Inhalt – Risiken der Lagerung von Atommüll“ vor rund 30 Interessierten. Das Mitglied des Facharbeitskreises „Energie & Atomkraft“ des Bund Naturschutz (BUND) ist bereits als Gutachter in mehreren Klageverfahren gegen Standort-Atommülllager aufgetreten.
Der rechtlich nötige Nachweis, dass die Betreiber ihren Atommüll am Ende sicher entsorgen könnten, bleibe fiktiv, so Attenberger. In Grafenrheinfeld sollen nach einer vier bis fünf Jahre dauernden Abkühlungsphase Brennstab-Bündel aus dem Abklingbecken ins benachbarte Brennelemente-Lager („Bella“) verbracht werden.
Die Betonhalle „hat die Funktion eines Wetterschutzes“
Attenberger verdeutlichte das Standard-Modell am Beispiel Landshut: Eine einfache Betonhalle mit Lüftungsschlitzen, 85 Zentimeter Wandstärke und 55 Zentimeter Deckenstärke. „Sie hat die Funktion eines Wetterschutzes“, sagt der Referent.
Die Castoren böten den einzigen Schutz, sei es gegen Flugzeugabstürze oder bei Terroranschlägen - etwa mit der Panzerfaust.
Im „Bella“ werden sich über Jahrzehnte die Castoren reihen, wahrscheinlich weit über das Ende der Betriebsgenehmigung 2046 hinaus. Laut Gesetz solle das Endlager 2051 bereitstehen, so Attenberger. Bruno Thomauske, Experte der deutschen Endlager-Kommission habe jedoch einen Zeitpunkt ab dem Jahr 2083 errechnet.
Wie ist der Castor aufgebaut?
Der Castor besteht aus Gusseisen (nicht Stahl) mit abschirmendem Kugelgrafit. Dazu kommt ein innerer und äußerer Stahldeckel, plus Drucküberwachung. Bei den Deckeln hängt alles an der Dichtigkeit: „Problematisch ist die Kombination aus Metallen“, sagt der Fachmann.
Das in der Dichtung vorhandene Aluminium könne durch Feuchtigkeitsreste korrodieren, da die Castoren unter Wasser beladen und getrocknet werden müssten. Im Notfall müsste man das Fass wieder zurück ins AKW bringen. Nur: „Das funktioniert nicht, wenn das Kernkraftwerk abgebaut wird“. Möglich wäre dann nur noch das Anbringen eines Abdichtungsdeckels: „Es existiert ein Fügedeckel in Deutschland. Damit endet die ganze Geschichte.“
Attenberger: Für den Ernstfall gibt es kein Konzept
Somit gebe es kein Konzept bei systembedingtem Versagen des Castors, der eigentlich als Transportbehälter gedacht und nicht mit realen Fall-, Hitze- und Drucktestserien überprüft worden sei. Bei der Lagerung fehle es an Langzeiterfahrungen – und derzeit sogar an Castoren. Jedenfalls werde ein Grundprinzip in kerntechnischen Anlagen – die mehrfache Absicherung – nicht mehr eingehalten: „Alles hängt am Castor.“ Versagt der Behälter in irgendeiner Form: „Wir wüssten in diesem Moment nicht weiter.“
Auch beim Absturz eines Großflugzeugs auf ein Zwischenlager seien weitaus höhere Temperaturen und eine längere Branddauer realistisch, als es die Tests voraussetzen: „Es wird zu Dichtigkeitsproblemen kommen“.
Der nukleare Dauerbeschuss im Inneren werde zudem die Materialermüdung beschleunigen. In jedem Castor stecke soviel Radioaktivität, wie in Tschernobyl freigesetzt wurde, warnt Attenberger, wenngleich bei einer Freisetzung radioaktiver Gase und Stoffe „nur“ mit regionaler Kontamination zu rechnen wäre.
BUND-Kreisvorsitzender sieht zu Standortlager keine Alternative
Edo Günther, Kreisvorsitzender des BUND, sieht in einem Transport des Atommülls ins Zwischenlager Mitterteich oder nach „Schacht Konrad“, wie auf Kreisebene gefordert, keine Alternative zum Standort-Zwischenlager: Anderswo fehle es einfach an Akzeptanz und zeitnahen Lagerungs-Möglichkeiten. Nun müsse die Lagerung hier so sicher sein wie möglich.
Günther verliest die Forderungen der Endlagerkommission, nach regelmäßiger Überprüfung, geschultem Personal, professionellem Alterungsmanagement, Transportfähigkeit der Castoren sowie Möglichkeiten zum Umpacken und Reparieren am Standort. Die Umsetzung sei eine politische Frage, so der Umweltschützer: „Vom Betreiber kommen Weichspülversuche.“
Die Debatte drehte sich unter anderem um die Sorge, als unbedenklich freigegebenes („freigemessenes“) schwach radioaktives Material des KKG könnte in der Umgebung verbaut werden. Jegliche Art von Strahlen könne zu Krankheiten führen, hieß es, auch natürliche Strahlung, oder die globalen Folgen früherer Atombombenversuche. Generell gelte hier wie bei den Castoren, dass nicht alles, was rechtlich genehmigt sei, damit ungefährlich sei.
Am Ende stand die nicht neue Erkenntnis, dass es derzeit keine Lösung zur dauerhaften Entsorgung von Atommüll gebe.
Die Transmutation, eine Art radioaktives Gegenfeuer, das dessen Halbwertszeiten durch Bestrahlung senken könnte, stecke im Laborstadium, wäre aufwendig, abfallintensiv und teuer, so Attenberger: „Man müsste mehr Energie hineinstecken, als durch Kernkraft erzeugt worden ist.“