
Schlaflosigkeit, Haarausfall, Verstopfung, Depression: Kaum zu glauben, dass es für solch verschiedenen gesundheitlichen Beschwerden eine gemeinsame Ursache geben kann. Das Schlüsselwort heißt hier: Funktionsstörungen der Schilddrüse. Über deren Funktion, Erkrankungen, Diagnose und Therapiemöglichkeiten sprach bei einem Leopoldina-Online-Seminar Dr. Dan-Grigore Udrescu, Oberarzt an der Chirurgischen Klinik (Chefarzt Prof. Dr. Detlef Meyer).
Die Schilddrüse unterhalb des Kehlkopfes ist eine wichtige Steuerzentrale des menschlichen Körpers. Doch auch sie ist nur ein „Befehlsempfänger“ der Hirnanhangdrüse und des Gehirnbereichs Hypothalamus. Die von der Schilddrüse aus Jod und Eiweißbausteinen gebildeten Hormone Trijodthyroxin (T3) und Tetrajodthyroxin (T4) regulieren, ob der Stoffwechsel auf Hochtouren oder Sparflamme läuft.
Schmetterlingsförmiges Organ
Dadurch lenkt das schmetterlingsförmige Organ den gesamten Stoffwechsel, Herz und Kreislauf, Magen und Darm, Nerven und Muskeln, das Wachstum von Haut, Haaren und Nägeln. Aber die Schilddrüse beeinflusst auch Persönlichkeit und seelisches Wohlbefinden, Sexualität und Fruchtbarkeit. Eine besondere Rolle spielen die Hormone bei der Reifung von Ungeborenen im Mutterleib und bei der Entwicklung von Neugeborenen und Kindern.
Zu den Schilddrüsenerkrankungen zählen: Unterfunktion (Hypothyreose), Überfunktion (Hyperthyreose), Struma (Kropf), kalte und heiße Knoten, Entzündungen, Zysten und bösartige Veränderungen. Bei einer Struma ist ein jahrelanger ernährungsbedingter Jodmangel Ursache für die Vergrößerung der Schilddrüse mit knotigem Gewebeumbau. Mechanische Symptome der Struma sind Druck-, Enge- oder Kloßgefühl, Schluckbeschwerden, Luftnot bei Belastung, krankhafte Atemgeräusche.
Udrescu betont, dass noch immer ein Drittel der Bevölkerung unter der von der WHO geforderten Jod-Mindestmenge liege. In dieser Gruppe beträgt etwa für Schwangere und Stillende die empfohlene Jod-Tagesration 230 bis 260 Mikrogramm, tatsächlich werden nur etwa 110 bis 125 Mikrogramm aufgenommen.
Über- oder Unterfunktion
Bei Überfunktion: Vergrößerte Schilddrüse, Nervosität, Depression, starker Hunger, Gewichtsverlust, Durchfall, brüchige Fingernägel, erhöhte Temperatur, Haarausfall, erhöhte Herzfrequenz, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Muskelschwäche und Muskelkrämpfe. Beschwerden bei einer Unterfunktion: Müdigkeit, Gedächtnisschwäche, Depression, geschwollenes Gesicht, heisere Stimme, langsamer Puls, Gewichtszunahme, Verstopfung, Muskelkrämpfe, verminderte Potenz und Zeugungsunfähigkeit.
Zu einer „möglichst frühen“ Diagnose gehören der Ultraschall und die nuklearmedizinische Untersuchung (Szintigrafie) zur Knotenabklärung. In manchen Fällen eine Feinnadelpunktion (Biopsie) bei verdächtigend Knoten über einen Zentimeter Größe, bei schnell wachsenden Knoten, bei großen Zysten. Abhängig von der Diagnose ergeben sich als Therapiemöglichkeiten Medikamente, eine Radiojod-Therapie oder eine Operation.
Eine Operation ist notwendig bei einer Strumagröße Grad II bis III, bei einer mechanischen Beeinträchtigung (Luftröhre, Speiseröhre), bei einer Stauung der Halsvenen, Strumawachstum hinter dem Brustbein, Bösartigkeit und bei einem Rezidiv von Gewebeveränderungen. Udrescu erklärt, dass vor jeder Schilddrüsenoperation ein Gespräch des Chirurgen mit einem Nuklearmediziner und einem Endokrinologen zur umfassenden Vorbereitung gehört.
Zur Sicherheit: Neuromonitoring
Auch das so genannte Neuromonitoring dient der Sicherheit des Patienten. Damit kann der Chirurg die direkt über der Schilddrüse verlaufenden Kehlkopf- und Stimmbandnerven identifizieren, um sie vor Verletzungen zu schützen. Wird einer der so überwachten Nerven durch Kontakt mit dem Operationsbesteck gereizt, warnt das System den Operateur durch akustische und optische Signale. Während der Operation wird das entnommene Gewebe sofort in der Pathologie untersucht. Findet sich in dieser so genannten Schnellschnitt-Untersuchung eine bösartige Veränderung, kann bereits jetzt darauf reagiert werden.