
Am Donnerstag, 11. April, 19.30 Uhr, ist das Stephan-Max Wirth Ensemble mit seinem Programm „Passion“ zu Gast in der Disharmonie. Das Konzert wird vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet. Der Tenor- und Sopransaxofonist Stephan-Max Wirth, Jahrgang 1968, bekam ersten Unterricht bei Leszek Zadlo in München. Er studierte an der niederländischen Hochschule der Künste Arnheim bei Jörg Kaufmann. Seit 1999 lebt und arbeitet er in Berlin. Seine Musik vereint unterschiedlichste Einflüsse, er selbst nennt sie freien Jazz, nicht zu verwechseln mit dem Free Jazz, der ja alle harmonischen Anklänge verweigert und sich so wiederum selbst seiner Freiheit beraubt. Das Stephan-Max Wirth Ensemble wurde für den ECHO 2010 in der Kategorie „Ensemble des Jahres“ nominiert. Die CD „Passion“ war CD der Woche im April 2012 beim NDR. Mit Stephan-Max Wirth spielen Jaap Berends, Gitarre, Bub Boelens, Bass, und Florian Hoefnagels.
Stephan-Max Wirth: Wir fühlen uns schon als Jazzmusiker in dem Sinn, dass Improvisation im Vordergrund steht. Aber wir lassen alles zu, was uns zufliegt, was wir an Inspiration in uns tragen. Es gibt keine Beschränkungen. Da gibt es die im Jazz üblichen Akkordwechsel einerseits und andererseits Einflüsse aus Rock und Klassik. Der Musiker, der nur eine Stilistik hört, ist meiner Meinung nach ein bisschen zu schmal aufgestellt. Es gibt in allen Genres tolle Sachen, man muss eben gut filtern. Es gibt ja diesen Spruch: Einen guten Jazzmusiker erkennt man an dem, was er klaut.
Wirth: Mich hat das nicht gekümmert. Aber die Leute, die darüber geschrieben haben. Ich habe ja schon so blasphemische Dinge getan wie 1997 auf deutsch über Modern Jazz zu singen. Und dann auch noch deutsche Chansons. Damals kamen gleich vier Platten raus – Til Brönner hat die German Songs gemacht, Dieter Ilg hat Volkslieder genommen, und dann waren noch die van Horns in Berlin. Das wurde schon teilweise unterschiedlich beurteilt. Und eben nicht aufgrund von Qualität, sondern nach der Frage, kann man das bringen, ist das überhaupt erlaubt. Es gab dann eine Nachfolgeplatte, die hieß „Jazzchanson“, und tatsächlich: Drei, vier Jahre später gab es bei Saturn in Köln eine Sparte „Jazzchanson“. Das hat mich sehr gefreut.
Wirth: (lacht) Ja, zumindest Karsten Mützelfeldt vom WDR behauptet das. Der bekommt jährlich 2000 Platten zugeschickt, so viel kann ich gar nicht hören. Aber es stimmt schon: Diese Schubladendenkerei ist immer noch da. Es ist ganz schwierig, den Leuten zu vermitteln, was man macht, weil die eben gerne Schubladen haben möchten. Ganz oft sagen die Leute nach dem Konzert: „Wir wussten nicht hundertprozentig, was uns erwartet, und wir können es hinterher auch nicht beschreiben, aber wir kommen auf jeden Fall wieder.
Wirth: Ja, das kann man. Es geht darum, dass nach und nach immer mehr Leute unsere Musik kennen, und das funktioniert gut. Ich kann recht zufrieden sein. Aber es ist schon erstaunlich, in welchen Kategorien noch gedacht wird. Neulich waren wohl tatsächlich ein paar Leute aus der Dixieland-Fraktion etwas erschreckt. Da hatten wir dann – über einem hoch lobenden Artikel – die Schlagzeile „Ausnahmemusiker erschreckte konservative Jazzfans“. Dazu noch ein riesiges Bild, da wird dann schon reingelesen. Insofern ist das alles positiv.
Wirth: Die meisten Musiker tragen diese Schönheit ja in sich. Jazz ist für mich ein Synonym für Freiheit. Wenn man aber von freiem Jazz, oder eben Free Jazz spricht, denken die Leute wieder an eine Schublade: alles atonal, es darf nicht grooven. Sobald ein musikalischer Gedanke nach Schönheit auch nur riecht, wird er direkt zerstört. Das ist für mich aber eine Einschränkung der Freiheit. Die schönste Art von freier Improvisation ist für mich, wenn die Musiker direkt mitkriegen, wo Harmonien bestehen, die man weiterentwickeln kann. Viele unserer Stücke sind dadurch entstanden, dass wir in der Improvisation neue Akkordstrukturen kreiert haben. Es fängt total frei an, aber es kommt etwas sehr Harmonisches heraus. Und natürlich lebt alles immer vom Gegenpol. Nichts wirkt so schön, wie das, was gespielt wird, wenn vorher etwas Atonales war. Damit spielen wir sehr viel.
Wirth: „DADA Republic“ ist genau die richtige Nummer als Opener, um sich da hineinzuversenken. Die Konzerte sind durchaus unterschiedlich. Aber Einbrüche gibt es nicht. Die Musiker können immer etwas aus den Gegebenheiten des Tages, des Abends formulieren. Diese Konzentration ist immer da, und sie ist auch von einem professionellen Musiker zu erwarten. Dieses sich Fallenlassen, das sich Öffnen entsteht auch durch die Musik selbst. Und das geht ziemlich schnell. Ich habe kürzlich einen Film über Gehirnstrom-Messungen gesehen. Da wurde ein klassisches Gitarrenensemble verkabelt und gemessen, und man hat festgestellt, dass innerhalb kürzester Zeit die Gehirnströme der Musiker exakt gleich waren.
Wirth: Es gibt da eine Situation im Jazzkeller Erfurt. Das war ein Schlagzeugsolo. Wir waren alle total begeistert, aber keiner von uns weiß mehr genau, wie es war. Es ist wirklich schade, dass wir das nicht aufgezeichnet haben, dann hätten wir daraus ein Stück gemacht. Wir probieren schon, immer besser zu werden. Man spielt jeden Abend so, dass man zumindest alles gegeben hat, was man zu geben hat. Es wird dann immer wieder anders – ob es allerdings schöner wird, besser? Ich glaube schon, dass ich in den letzten zehn Jahren besser geworden bin. Aber den Vorsatz, es muss heute Abend genauso werden wie gestern, den darf man nicht haben. Dann wäre die Freiheit wieder weg. Dann würde die Konzentration sich auf Details beschränken und nicht mehr auf das Gesamtbild. Dann wird es technisch.
Wirth: Ich höre recht vielseitig. Von der letzen Platte von Johnny Cash bin ich begeistert, vom Mahavishnu Orchestra von John McLaughlin habe ich mir gerade ein paar Sachen aus Spaß an der Freude um die Ohren gehauen. Meine Frau hört viel Klassik, da bekomme ich auch viel mit. Aber es ist nicht so, dass ich das dann transkribiere und probiere, aus den Sachen etwas Neues zu gestalten. Meistens habe ich eine kleine Idee, die ich weiterentwickle. Hinterher höre ich dann, aha, da könnte aus dieser oder jener Ecke etwas gekommen sein. Das ist sehr intuitiv. Es kann vorkommen, dass ich zwei Monate lang kein Stück schreibe, und dann in kurzen Abständen relativ viel produziere. Es war in den letzten 20 Jahren glücklicherweise immer so, dass am Schluss genügend rausgekommen ist.