Eine Frau wie ein Sturm, eine, die ihr Frau-Sein genoss und dennoch keinen Handbreit ihrer Freiheit aufgab: Mit Lou Andreas-Salomé (1861 bis 1937) stellte Hans Driesel eine der ungewöhnlichsten Frauen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts vor. Dass diese ihn faszinierte, war unschwer zu merken: „Die Bandbreite ihrer Gedanken war gewaltig. Sie hatte es nicht nötig, sich im Licht großer Männer zu sonnen, sie hatte selbst genügend Strahlkraft.“
Eine Frau, die die Gleichberechtigung lebte. Eine, mit der sich nicht nur die 22. Frauenwochen gut eröffnen, sondern auch 25 Jahre Gleichstellungsstelle würdigen ließen. Die Gleichstellungsbeauftrage Heide Wunder begrüßte zu diesem Abend unter dem Titel „Ungesättigt wie die Flamme“ und stellte Lou Andreas-Salomé mit den Worten des schwedischen Psychotherapeuten Poul Bjerre vor: „Sie hatte einen ungewöhnlich starken Willen und Freude daran, über Männer zu triumphieren.“
Einfühlsam begleitet, untermalt und interpretiert von David Reß am Klavier stellte Driesel „eine intellektuelle Venus im Pelz“ vor. Geprägt vom Vater, den sie wie einen Gott verehrt, und von ihrem Erzieher Hendrik Gillot, der sie mit der Philosophie eines Spinoza, Kant, Schopenhauer und Feuerbach bekannt macht, entwickelt sie früh einen großen Freiheitsdrang. „Es war ihr egal, was die Leut‘ sagen“, kommentiert Driesel. Aber sie ist auch eine Frau, die eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Männer ausübt. „Fast jeder hat sich sofort in sie verliebt und ihr einen Heiratsantrag gemacht“, dieser Satz zieht sich wie ein Mantra durch den Abend. Beides lebt sie ein Leben lang, enge Freundschaft verbindet sie mit Paul Rée, und Friedrich Nietzsche, mit letzterem auch ein Liebesverhältnis.
Mit ihrem Geliebten Rainer Maria Rilke geht sie auf Russlandreise. Dabei lebt sie seit 1887 in einer Josefsehe mit dem Orientalisten Friedrich Carl Andreas zusammen, der sie nur durch einen Selbstmordversuch zu dieser Ehe überreden konnte.
Andreas-Salomé ist Schriftstellerin, Essayistin und Psychoanalytikerin. Mit Siegmund Freud verbindet sie ein freundschaftliches Verhältnis, mit ihm fachsimpelt sie und er erkennt sie als „Dichterin der Psychoanalyse“ in ihrer Kompetenz an.
Obwohl sie sich gegen ein „Haustier-Dasein der Frauen“ wehrt, ist sie doch keine „richtige“ Feministin. Überemanzipierte Frauen leiden ihrer Meinung nach „an einer unerfüllten Liebe zu einem Mann.“. In ihrem Essay „Der Mensch als Weib“ von 1899 erteilt sie der Gleichheit der Geschlechter eine klare Absage und kommt zu dem Schluss: Die Frau sei das stärkere, der Mann das schwache Geschlecht, weil dieser seinen Trieben ausgeliefert sei.
Lou Andreas-Salomé war eine Frau, die in keine Schublade passte, hochintelligent führte sie mehrere Leben gleichzeitig, das einer treusorgenden, asexuellen Ehe- und Hausfrau ebenso wie das einer femme fatale mit zahlreichen Affären und Liebesbeziehungen. Sie ist Schriftstellerin, Dichterin und Philosophin ebenso wie Autodidaktin und Psychoanalytikerin. Sie lebte, was sie sagte: „Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten, unübersteiglichen Schranken, die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!“ Und sie radierte viele der Kreidestriche des Lebens aus. Am Abend des 5. Februar 1937 erliegt Lou Andreas-Salomé einem Krebsleiden. Sie wird neben ihrem Ehemann, dem einzigen, in Göttingen beigesetzt.